Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Einsamkeit des Soldaten
Heinrich Böll stand sechs Jahre lang im Feld an verschiedenen Fronten des Zweiten Weltkriegs. In Frankreich, in Rumänien, in der Ukraine. Seine Erlebnisse, das ganze Ausmaß seiner Einsamkeit hat er in seinen „Briefen aus dem Krieg“geschildert, die 2001 erstmals erschienen sind.
Die damalige Leseerfahrung wird aber nun durch die Veröffentlichung von drei Kriegstagebüchern überlagert, die Böll ursprünglich nicht für eine Publikation vorgesehen hatte. Kurz vor seinem Tod, so schreibt sein Sohn René Böll im Vorwort, habe ihm der Vater von den ursprünglich insgesamt sechs Kriegstagebüchern die drei erhalten gebliebenen übergeben – mit der Zusage, dass sie zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden dürften.
Die Notizen in Heften und Kalender beginnen im Oktober 1943 und reichen bis zum September 1945 nach der Entlassung Bölls aus amerikanischer Gefangenschaft. Daraus entstanden ist ein Dokument absoluter Verzweiflung in einer ebenso absurden wie hoffnungslosen Ausnahmesituation, die das Leben und Sterben einer ganzen Generation geprägt hat. „Abends vorne eingeschlossen. Morgens Trommelfeuer durch Artillerie. Granatwerfer, Flieger, Panzer; zwischendurch Panzerangriff. 3 Panzer sind vor unserer Linie erledigt!“
Fester Glaube an Gott
Im Dezember 1943 kuriert er im Lazarett eine Splitterverletzung in der Kopfschwarte aus und setzt in einem Anflug von bitterer Ironie darauf, dass man den Krieg gewinnen werde, „denn die Verwundeten mit einem Arm wichsen die Stiefel und waschen ihre Kragenbinde“.
Bölls hieroglyphenähnliche Aufzeichnungen über den Kriegsalltag werden häufig unterbrochen durch flehende Anrufungen Gottes und Traumerinnerungen an Anne-Marie, die er 1942 kirchlich geheiratet hat. Er weiß nicht, ob sie sich jemals wiedersehen werden. Womöglich hat Böll in Russland die letzten Kraftreserven aus einem festen Glauben an Gott bezogen. „Gott lebt, Gott lebt!“schreibt er immer wieder. Und von sich verlangt er, häufiger und ernsthafter zu beten. Am 20. Juli 1944 notiert er lakonisch: „Attentat auf Hitler während wir im Konzert sind.“Und am 2. Mai 1945, sechs Tage vor der deutschen Kapitulation: „Hitler Tod/Gott sei ihm gnädig.“Diese drei Tagebücher zeigen unverstellt das Leiden eines noch jungen Autors, der aus dem Krieg als gläubiger Pazifist in seine zerbombte Heimatstadt Köln zurückkehrt.
Heinrich Böll: Man möchte manchmal wimmern wie ein Kind. Kriegstagebücher 1943 bis 1945. Hrsg.von René Böll, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017. 352 Seiten. 22 Euro.