Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Und ewig rauscht der Fluss
Lechweg, Folge 4: Die Wanderung von Elbigenalp bis Stanzach führt durch den Naturpark
Die berühmte Geierwally leistet uns heute Morgen Gesellschaft. Natürlich nicht leibhaftig, ist die mutige Frau, die eigentlich Anna Stainer-Knittel heißt, doch 1915 schon verstorben. Außerdem könnten wir mit ihr vermutlich kaum Schritt halten. Denn die Tochter eines Büchsenmachers und spätere Kunstmalerin war ein Kind der Berge und zeigte den jungen, ängstlichen Burschen vom Dorf, wie man am Seil hängend im schroffen Fels einen Adlerhorst ausräumt. Das machte die emanzipierte Frau zu einer Romanund Filmheldin, die weit über ihre Heimat hinaus bekannt wurde.
Besuch in der Wunderkammer
Auch wenn wir weder das Buch von Wilhelmine von Hillern noch die diversen Verfilmungen kennen – in Elbigenalp, einem Etappenziel des Lechwegs und Geburtsort der Anna Stainer-Knittel, wird uns das toughe Tiroler Mädel schnell zur ständigen Begleiterin. Sei es im Restaurant „Zur Geierwally“, in dem man nicht nur hervorragend speist, sondern das zugleich als kleines Museum fungiert, für das Wirt Guido jahrelang Geierwally-Gegenstände gesammelt hat. Oder auf der imposanten Geierwally-Freilichtbühne, auf der neben anderen Stücken in regelmäßigen Abständen auch die Geschichte der Anna Stainer-Knittel nachgespielt wird. Und selbstverständlich ist die Geierwally auch ein zentrales Thema der Wunderkammer in Elbigenalp. Bevor wir uns heute auf den Weg machen, besuchen wir dieses Schmuckkästchen. Allein schon die Architektur des kleinen, modernen Museums imponiert, mehr noch aber hinterlassen die Geschichten, die dort dokumentiert werden, einen bleibenden Eindruck: über die Lechtaler ganz allgemein; über Königin Marie – Mutter von Bayerns König Ludwig II. –, die so gerne in Elbigenalp ihre Sommerfrische verbracht hat; über den Sammler, Lithografen und Förderer der Region Johann Anton Falger sowie derzeit in einer Sonderausstellung (bis 8. April 2018) über die Schwabenkinder. Sie zogen einst vom armen Lechtal über die Berge, um im reichen Schwabenland ihr Glück, das allzu oft im Unglück endete, zu suchen.
Wie haben sich die Zeiten geändert! Wir kommen aus dem Schwabenland und finden unser Wanderglück im Lechtal! Am Fluss entlang verläuft der Lechweg kurz nach Elbigenalp ziemlich flach bis Häselgehr, wo bei heißem Wetter ein kleines Freibad mit Kneipp-Anlage zum erfrischenden Bad einlädt. Uns tun’s ein Eiscafé und ein nettes Gespräch mit dem Bademeister, um anschließend beschwingt und frohen Mutes weiterzuwandern. Das Glücksgefühl lässt dann allerdings schlagartig nach, denn jetzt zeigt der Lechweg Mittelgebirgscharakter und führt stetig nach oben. Zudem wird der Schatten spendende Wald immer lichter, die Sonneneinstrahlung umso stärker.
Doch dann ist endlich wieder für Abkühlung gesorgt. Der Doser Wasserfall, der donnernd und mächtig aus einer Felsgrotte herausbricht, versprüht einen feinen, kühlenden Wassernebel. Herrlich! Man möchte an diesem mystischen und erfrischenden Plätzchen gerne verweilen und staunen. Umso mehr, wenn man um die Geschichte dieses Wasserfalles weiß. Denn er versiegt jedes Jahr an St. Martin im November und entspringt erst wieder im darauffolgenden Jahr an St. Georg (23. April). Der Sage nach soll ein Drache dafür verantwortlich sein, der hier wohnt und den Berg zur rechten Zeit öffnet und dann wieder verschließt. Jedes Jahr. Tatsächlich aber sorgt ein kleiner See in einer unterirdischen Berghöhle, der wegen des Schmelzwassers im Frühjahr überläuft, für dieses Phänomen.
Verweilen geht aber nicht, denn die heutige Etappe ist sehr lang, und im Naturparkhaus Tiroler Lech wartet Geschäftsführerin Anette Kestler auf uns. Also wandern wir weiter über sonnige Almwege und kühle Waldpfade oberhalb des Lechs Richtung Elmen, bis wir bei Klimm durch einen Wald steil zum Fluss hinabsteigen, um im Naturparkhaus, das raffiniert als Brücke über den Lech gebaut wurde, eine kleine Verschnaufpause einzulegen. Wobei der Begriff Pause für diesen Aufenthalt eher ungeeignet scheint, denn interessante Ausstellungsobjekte und Dokumentationen über den Naturpark Lechtal und seinen schäumenden Bewohner nehmen unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Hier erfahren wir unter anderem, dass der Naturpark 41 Quadratkilometer groß, der Lech der einzige wilde Gebirgsfluss der Nordalpen und 278 Kilometer lang ist, bei Donauwörth in die Donau mündet und seine einzigartige türkis-milchige Farbe durch das Zusammenspiel gelöster Karbonate und dem Sonnenlicht erhält. „Bei den Kelten hieß der Lech Lik, bei den Römern Liccus, was so viel wie steinreich heißt“, erklärt Kestler.
Was die alten Römer damit genau meinten, werden wir erst in den kommenden Tagen erfahren beziehungsweise erlaufen. Noch aber verwehrt uns der Lech meist einen Blick auf sein steiniges Bett. Und überhaupt wenden wir uns noch einmal ab von ihm, steigen hoch zum Krackweg. Erst einige Kilometer weiter kehren wir zurück zum immer noch jungen Wilden. Ein Schotterweg führt jetzt an seinem Ufer entlang nach Stanzach. Dort ist unser Ziel die Pension Waldhof, die zu den rund 120 Lechweg-Partnerbetrieben gehört und direkt am Fluss liegt. Was zur Folge hat, dass der Lech mit seinem steten Rauschen und Gurgeln uns bis kurz vor dem Einschlafen nicht aus dem Sinn gehen mag.
Etappe 5 von Elbigenalp bis Stanzach: 21,5 Kilometer, Gehzeit ca. sieben Stunden, 760 Meter bergauf, 830 Höhenmeter bergab. Tipps: Bis Mitte Juni blühen in Martinau nahe des Naturparkhauses unzählige Orchideen, denn dort liegt das größte Frauenschuhgebiet Europas.
Im Juli und August wird die imposante Geierwally-Freilichtbühne in Elbigenalp bespielt. In diesem Jahr gibt es noch bis 26. August „Die Schwabenkinder“, 2018 wird das Stück „Lechufer Anno 1800“gespielt. Weitere Informationen unter
Die Recherche wurde unterstützt von der Werbegemeinschaft Lechwege.