Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ein Ereignis
Musikalisch fabelhaft: „Lady Macbeth von Mzensk“bei den Salzburger Festspielen
SALZBURG - Ein extremes Orchestercrescendo – und Nina Stemme hält sich als Katerina Ismailowa die Ohren zu. Der gewalttätige Schwiegervater Boris erinnert sich an seine Jugend, und schon erklingen süßliche Operettenfetzen aus dem Orchestergraben. Es gibt nur wenige Opern, in denen Musik und Szene so eng miteinander verflochten sind wie bei Dmitri Schostakowitschs Skandalstück „Lady Macbeth von Mzensk“. Nach einen Verriss in der Parteizeitung „Prawda“im Januar 1936 war es in der Sowjetunion lange mit einem Aufführungsverbot belegt. Mariss Jansons’ Salzburger Operndebüt ist ein Ereignis.
Die große Orchestermaschine
Der lettische Dirigent, Chef des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, macht mit den Wiener Philharmonikern die gesamte Bandbreite der Partitur hörbar – vom elegischen, dunkel timbrierten Orchesterklang bis zu den schrillen, hysterischen Panikattacken der Piccoloflöten, von dumpfer Gewalt bis zum vagen Hoffnungsschimmer. Die Schlagzeuger arbeiten mit einer beängstigenden Präzision. Die vielen sarkastischen Passagen in den tiefen Bläsern haben Biss. Und wenn Jansons bei der großen Sexszene zwischen Katerina und ihrem Liebhaber Sergej die Orchestermaschine anwirft und die Wiener Philharmoniker zum Fauchen und Stöhnen bringt, dann wird die ungezügelte Leidenschaft ganz konkret, zumal nach dem Höhepunkt die schlaffen Posaunenglissandi die schrumpfende Männlichkeit hörbar machen.
Regisseur Andreas Kriegenburg spiegelt den Naturalismus zumindest phasenweise auf der Bühne wider. Die brutalen Massenszenen wie die Vergewaltigung der Köchin Aksinja (Evgenia Muraveva) oder die Auspeitschung von Sergej beschönigen nichts. Der gewaltige, geschärfte Klang des Wiener Staatsopernchors (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) hat Wucht. Die Inszenierung ist nah an der Musik und lässt auch Raum für Zwischentöne. Die speziell beleuchteten Traumszenen (Licht: Stefan Bolliger), die die Konturen verschwimmen lassen, offenbaren Katerinas Innenleben.
Das Einheitsbühnenbild von Harald B. Thor ist eine schäbige Betonsiedlung mit zersplitterten Fenstern. Zwei rollbare Elemente zeigen Katerinas goldenes Schlafzimmer und das nüchterne Büro ihres Ehemannes Sinowi. Im vierten Akt wird daraus das Straflager in Sibirien. Die Schwächen der Inszenierung liegen im Detail. Der Flachbildschirm von Sinowis Computer lässt an eine ganz konkrete Gegenwart denken, die im Setting aber so nicht vorkommt. Die Arbeiterlumpen sind zeitlos und klischeehaft (Kostüme: Tanja Hofmann), die groteske Polizeiszene bleibt in Salzburg harmlos. Eine echte Idee für das Stück entwickelt Kriegenburg nicht.
Nina Stemme ist eine Katerina mit mächtigen dramatischen Ausbrüchen und einer dunklen Tiefe. Ihr gelegentlich brüchiger Stimmansatz zeigt, mit welchem Risiko die Schwedin die Partie angeht. Dass sie in Kriegenburgs Inszenierung ihre Konkurrentin Sonetka (Ksenja Dudnikova) beim Selbstmord nicht aus dem Affekt heraus mit in den See stößt, sondern an den Galgen knüpft, traut man ihr nicht zu. Der Schwiegervater Boris dagegen ist in der grandiosen Interpretation von Dmitry Ulyanov ein schmieriger Brutalo, der schon bei der ersten Szene in Katerinas Schlafzimmer latscht und übergriffig wird. Brandon Jovanovich singt den treulosen Liebhaber Sergej mit viel Glanz und einer dünnen Tiefe. Maxim Paster ist mit seinem engen, quäkenden Tenor als Sinowi eine Karikatur des in jeder Hinsicht impotenten Ehemannes. Mit einem letzten, brutalen, scharf abgerissenen Crescendo beendet Mariss Jansons das Drama. Ein letzter Schrei der Verzweiflung nach einem besseren Leben.