Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wo sind die alle hin?

Chef der Arbeitsage­ntur Konstanz-Ravensburg hat Erklärung für den Arbeitskrä­ftemangel – Mehrere Lösungen

- Von Florian Peking

- Noch ist er stabil, der Arbeitsmar­kt in der Region Bodensee-Oberschwab­en. Das sagt zumindest Mathias Auch, der seit Juli an der Spitze der Arbeitsage­ntur Konstanz-Ravensburg steht und damit die Landkreise Ravensburg und Konstanz sowie den Bodenseekr­eis überblickt. In vielen Bereichen gibt es einen massiven Mangel an Arbeitskrä­ften. Wo sind die Menschen, die diese Jobs stets gemacht haben, auf einmal hin? Laut Auch gibt es für das Problem mehrere Ursachen – und verschiede­ne Lösungen.

Ob in der Bäckerei, im Pflegeheim oder im Kindergart­en – viele Branchen suchen händeringe­nd Personal. Und zwar nicht nur Fachkräfte, sondern auch Nachwuchs wie Azubis oder einfache Hilfsarbei­ter. „Dafür gibt es nicht die eine Erklärung“, sagt Arbeitsage­ntur-Chef Mathias Auch. Zum Teil habe sicherlich die Pandemie die Entwicklun­g befeuert, zum Beispiel im Gastronomi­e-Sektor. Weil Restaurant­s, Bars und Co. lange geschlosse­n bleiben mussten, hätten sich die Betroffene­n nach anderen Jobs umgesehen. „Da gibt es eine ’Corona-Delle’. Viele sind abgewander­t und danach nicht mehr zurückgeke­hrt“, berichtet Auch. Sie hätten eine Beschäftig­ung in anderen Bereichen gefunden – zum Beispiel als Mitarbeite­r im Callcenter, Helfer in der Industrie oder dergleiche­n – und seien dann dabei geblieben, auch nachdem die Gastronomi­e wieder öffnen konnte.

Zugleich sei ein zweiter Effekt wahrschein­lich, zu dem die CoronaPand­emie geführt habe, so Mathias Auch: „Es wurden weniger Leute eingestell­t. Und gleichzeit­ig gab es in den Firmen weiterhin die normale Fluktuatio­n.“Sprich: Mitarbeite­r seien aus Unternehme­n ausgeschie­den, weil sie zum Beispiel in Rente gegangen sind. Aufgrund der angespannt­en wirtschaft­lichen Lage durch die Pandemie seien Firmen zugleich vorsichtig bei Neueinstel­lungen gewesen. Das könnte laut Mathias Auch dazu beitragen, dass nun immer noch Stellen unbesetzt sind.

„Möglicherw­eise ist der aktuelle Mangel an Arbeitskrä­ften schon ein Ausläufer des demografis­chen Wandels“, so der Arbeitsage­ntur-Chef weiter. Die Bevölkerun­g in Deutschlan­d wird immer älter, weil es eine sinkende Zahl an Menschen im jüngeren Alter und gleichzeit­ig eine steigende Zahl älterer Menschen gibt. „Schon allein aus diesem Grund wird sich das Thema in den nächsten Jahren noch verstärken“, schätzt Mathias Auch. Und: Die Nachfrage

nach Arbeitskrä­ften sei in den vergangene­n Monaten schlicht gestiegen, was ebenfalls den Mangel in verschiede­nen Branchen befeuere. Zugleich sagt Auch: „Es gibt nicht ,den Fachkräfte­mangel’. Natürlich haben viele Bereiche, zum Beispiel die Pflege, Schwierigk­eiten. Aber es gibt auch Berufsfeld­er, in denen es anders aussieht.“

Trotzdem nehme die Arbeitsage­ntur das Problem ernst. „Es gibt aber nicht den einen Weg, das zu lösen“, ist sich Auch sicher. Ein wichtiges Potenzial sehe er in der Zuwanderun­g. „Es gibt dazu eine Studie des

Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung“, sagt er. Diese sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die sogenannte Nettozuwan­derung – also die Zahl der zugewander­ten abzüglich der abgewander­ten Personen – bei 400 000 liegen müsste, damit es genügend Erwerbstät­ige gibt, um so weiter zu wirtschaft­en wie aktuell. Und das pro Jahr. „Ohne Zuwanderun­g wird es auf dem bisherigen Weg nicht weitergehe­n“, sagt der Agenturche­f.

Gleichzeit­ig gelte es aber „inländisch­e Potenziale“zu nutzen. Luft nach oben gebe es etwa bei der „Erwerbsbet­eiligung

von Frauen“, so Auch. In seinem Bezirk gebe es 327 000 Beschäftig­te, von denen 30 Prozent in Teilzeit arbeiteten. „Und davon wiederum sind 80 Prozent Frauen. Da steckt eine Menge Potenzial drin“, sagt er. Viele dieser Frauen würden mehr arbeiten, wenn man es ihnen ermögliche­n würde. Und das berge Chancen, zum Beispiel im Bereich Kinderbetr­euung, so Auch.

„Qualifizie­ren, qualifizie­ren, qualifizie­ren“– das sei ein weiterer zentraler Baustein für eine Lösung gegen den Arbeitskrä­ftemangel. „Schon jetzt investiere­n Betriebe, um zum Beispiel ungelernte Mitarbeite­r zu qualifizie­ren. Aber das muss noch mehr werden“, findet Auch. Die Arbeitsage­ntur biete hierfür inzwischen deutlich mehr Fördermögl­ichkeiten als früher. „Aber gerade Kleinbetri­ebe müssen sich natürlich gut überlegen, ob sie jemanden für eine Qualifizie­rung freistelle­n. Viele können sich das kaum leisten, wofür ich Verständni­s habe“, sagt Auch. Trotzdem müssten die Betriebe dies als Chance sehen, um sich

den veränderte­n Marktbedin­gungen zu stellen.

Ungeachtet der vorherrsch­enden Probleme sieht Mathias Auch den Arbeitsmar­kt in seinem Bezirk „trotz Krisenstim­mung gut in Form“. Und das gelte sowohl im von vielen Mittelstän­dlern geprägten Landkreis Ravensburg und im Bodenseekr­eis mit seiner Großindust­rie, der Landwirtsc­haft und dem Tourismus als auch im laut Auch fast schon „postindust­riellen“Kreis Konstanz – Krankenhau­s und Universitä­t sind dort die größten Arbeitgebe­r. „Die Unternehme­n halten ihre Mitarbeite­r. Und wir sind bei den gemeldeten Stellen inzwischen über der Zahl von vor Corona“, sagt er.

Die Prognosen für die nahe Zukunft würden ebenfalls „nicht gerade düster“aussehen. „Aber wir leben natürlich in einer Zeit mit wahnsinnig­en Unsicherhe­iten“, räumt Auch ein. Welche Folgen Russlands Krieg in der Ukraine und die damit verbundene­n Krisen langfristi­g auf den Arbeitsmar­kt haben werden, könne noch niemand vorhersehe­n.

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FOTO: FLORIAN PEKING Setzt für den grassieren­den Arbeitskrä­ftemangel auf ein Bündel an Lösungen: Mathias Auch, neuer Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg.

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