Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Frühlingsgefühle nach zwei Jahren Pause
Fulminanter Auftakt des Bodenseefestivals mit Schlagzeug-Star Martin Grubinger
FRIEDRICHSHAFEN - Erleichterung war Alexandra Gruber anzumerken. Bei der Eröffnungsfeier des 34. Bodenseefestivals in Friedrichshafen verlieh die Geschäftsführerin ihrer Freude darüber Ausdruck, dass man nun endlich nach zwei Jahren pandemiebedingter Einschränkungen wieder Live-Auftritte anbieten könne. Etwa 60 Veranstaltungen an mehr als 20 Orten rund um das „Schwäbische Meer“widmen sich bis zum 6. Juni dem diesjährigen Festivalmotto „Natur“. Neben einem stilistisch breit gefächerten Musikangebot gibt es Tanz, Theaterprojekte, Lesungen, ein Singwochenende, Familien- und Picknickkonzerte sowie Klang-Exkursionen ins Freie.
Zum Auftakt des Festivals im Graf-Zeppelin-Haus machte sich der österreichische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Raoul Schrott in seinem Eröffnungsvortrag Gedanken über das zwiespältige Verhältnis von Mensch und Natur. Einerseits sehe sich der Homo sapiens der Natur gegenüber stehend und instrumentalisiere sie zunehmend, weil er sich in ihr behaupten müsse. Andererseits sei er aus ihr hervorgegangen und trage sie deshalb in sich. Schrott holte weit aus, um diesen Zwiespalt einzukreisen. Bis fast zum Urknall zurück ließ er die Entstehung von Leben im Universum Revue
passieren. Im Eilschritt ging es dann zur Entstehung der Gattung Mensch, die schließlich im Trotz gegen die Natur immer mehr Wissen als Ersatz für Glauben angehäuft habe. Er selbst finde in solchem ertrotzten Wissen jedoch auch Trost.
Beim anschließenden Konzert stellte sich der international bekannte Schlagzeuger und Multi-Perkussionist Martin Grubinger als „Artist in Residence“der diesjährigen Festivalsaison vor. Als Einstimmung auf das Motto „Natur“präsentierte das Residentie Orkest Den Haag unter der Leitung von Anja Bihlmeier zunächst jedoch den zweiten Satz aus Gustav Mahlers dritter Sinfonie mit dem Titel „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählten“. Gespielt wurde eine Bearbeitung für kleineres Orchester von Benjamin Britten. Während draußen das regnerische Wetter über dem Bodensee eher nebelverhangene Fjord-Landschaften assoziieren ließ, zauberte er akustisch im Hugo-Eckener-Saal ganz wundervoll das Bild einer Frühlingswiese herbei. Elegant bat eine Oboenkantilene zum Tanz. Luftige Streicher-Pizzicati steuerten Wiener Charme bei. Fröhlich lärmende Episoden suggerierten ein munteres Treiben, das sich immer wieder in selig kreisendem Reigen zusammenfand.
Mit einem lauten Urknall startete dann Martin Grubinger in das dreisätzige Schlagzeugkonzert „Frozen in Time“des israelischen Komponisten Avner Dorman (Jahrgang 1975). Der sympathische Meister sämtlicher Perkussionsinstrumente war im schwarzen kurzärmeligen T-Shirt auf die Bühne gekommen und ließ die Atmosphäre vom Tänzchen auf friedlicher Blumenwiese sekundenschnell explodieren. Mit zwei Schlegeln in jeder Hand machte er sich über das Marimbaphon her und entfesselte dann ein mitreißendes Gewitter auf der ganzen rund fünf Meter breit vor ihm aufgebauten Schlagzeugbatterie. Was er da schon im ersten Satz von Dormans Konzert vom Stapel ließ, könnte selbst versierteste Metal-Kollegen neidisch machen.
Der zweite Satz führte die betörend vielfältigen Farben und Klangabenteuer vor Ohren, die mit Schlaginstrumenten auch ohne treibende Rhythmen erzeugt werden können. Zwischen geheimnisvollem Raunen des Vibraphons und silbern leisem Glasstäbchenrauschen entfaltete sich ein phantastisches Panorama. Grubinger nahm das Publikum mit auf eine Hörreise durch die unendlichen Weiten das Weltraums inklusive Sternschnuppenschauer. Im Finalsatz prasselte dann wieder ein virtuoses Feuerwerk von Perkussionssalven mit zunehmender Einschlagsdichte auf verschiedenste Instrumente nieder. Grubinger wurde mit tosendem Applaus wie bei einem
Rock-Konzert gefeiert. Als Zugabe zeigte der Tausendsassa aller rhythmischen Disziplinen eine jedem Schlagzeuger als Double bekannte Übung, die auf der kleinen Trommel abwechselnd jeweils zwei Schläge links und rechts aufeinander folgen und durch stetige Beschleunigung zu einem Wirbel anschwellen lässt. Grubinger garnierte das artistisch präsentierte Kunststück mit knalligen Randschlägen und steigerte es geradezu hypnotisch bis zur Ekstase. Das sei aber eher Leistungssport, meinte er wegwerfend, als das Publikum mit Johlen, Trampeln und Pfeifen reagierte. Um auch verfeinerte Kunst zu Wort kommen zu lassen, spielte er abschließend die Sarabande aus Johann Sebastian Bachs dritter Cellosuite auf dem Marimbaphon: eine geheimnisvoll flüsternde Version, deren Melodien durch den perkussiven Holzklang nur andeutungsweise vernehmbar waren. Auch dabei erwies sich der Österreicher als Ausnahmekünstler.
Nach der Pause schlug die aus Schwäbisch Gmünd stammende, mittlerweile international erfolgreiche Dirigentin Anja Bihlmeier mit Robert Schumanns überschwänglicher „Frühlingssinfonie“den Bogen zurück zur Naturthematik. Mit dem Residentie Orkest Den Haag, das sie seit dieser Saison als Chefin am Pult leitet, gelang ihr eine erfrischend lebendige Interpretation.