Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Union holt die roten Socken aus dem Schrank
CDU und CSU warnen die Wähler vor einer Regierungskoalition mit den Linken – Das setzt SPD und Grüne unter Zugzwang
BERLIN- Fast hatte man in diesem Wahlkampf vergessen, dass es die Linken noch gibt, da holt die Union die Rote-Socken-Kampagne aus der Mottenkiste. Die Linke jubelt, und die anderen Parteien müssen nun ihre Positionen abstecken.
Vorschriften streichen, Steuererhöhungen verhindern, Friedrich Merz in die Bundesregierung holen – Armin Laschet gibt den Zuhörern, was sie hören wollen: Laut klatscht das Publikum vom Wirtschaftsrat der CDU. Am lautesten aber, als Laschet am Ende gegen die Linkspartei austeilt: „Es ist keine Spielerei mehr, ob diese Leute mit am Kabinettstisch sitzen oder nicht.“Von SPD-Konkurrent Olaf Scholz verlangt er zum xten Male Klarheit in Sachen RotGrün-Rot. Jubel im Saal. Für Laschet haben diese Angriffe gleich mehrere strategische Vorteile: Er kann die eigenen Leute mobilisieren und von eigenen Schwächen ablenken, er kann den Blick an dem beliebten Olaf Scholz vorbei auf die schon weniger beliebte SPD richten, und er kann überspielen, dass es auch an ihn und seine Partei heikle Abgrenzungsfragen gibt: die nach dem umstrittenen CDU-Bundestagskandidaten HansGeorg Maaßen zum Beispiel.
„Es besteht jetzt die ganz große Gefahr, dass es eine Mehrheit jenseits der Union geben kann“, warnt CSU-Chef Markus Söder. Die Gefahr ist so groß, dass sich sogar die wahlkampfmuffelige Kanzlerin in die Debatte einmischte. Angela Merkel verwahrte sich gegen die verbreitete Wahrnehmung von Vizekanzler Scholz als ihren legitimen Nachfolger. Schließlich schließe Scholz ein Linksbündnis nicht aus.
Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim hält die Rote-Socken-Kampagne für geschickt: „Laschet adressiert mit seinem Kurs die CDU-Wechselwähler, die mit dem Kanzlerkandidaten fremdeln, sich nach Stabilität sehnen und erwägen, zur SPD zu wechseln.“Indem Laschet das Linksbündnis betone und damit auch von seiner Person ablenke, versuche er die Abtrünnigen zurückzugewinnen. Denn er zeige damit auf: „Mit der SPD bekommt man mitnichten Stabilität, sondern ein echtes Novum: die Linken in der Bundesregierung.“
Bei den Sozialdemokraten versteht man die ganze Aufregung nicht. Erstens gebe es einen Parteitagsbeschluss aus dem November 2013, heißt es in Führungskreisen. Der mache ausdrücklich eine Koalition mit den Linken möglich. Aber unter Bedingungen. Zu denen gehört „eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik“. Zweitens gebe es die Unionskampagne doch nur, weil jetzt Panik bei CDU und CSU herrsche. „Union und Grüne waren sich sicher, dass sie zusammen die Regierung bilden würden“, sagt Axel Schäfer, SPD-Bundestagsabgeordneter seit 2002. Nun hat sich die Lage verändert. Schäfer befürwortet schon lange ein Bündnis mit Grünen und
Linken. Gesprochen wird in Abgeordnetenkreisen darüber im Rahmen des Parlamentarierzusammenschlusses „Denkfabrik“. Doch auch dort hat mit der „R2G“-Debatte kaum noch jemand gerechnet.
Es sind alte Reflexe, meint Axel Schäfer. „In den 50er-Jahren hieß die Kampagne der CDU gegen die SPD: ‚Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau.‘ Auf den Plakaten waren Rotarmisten zu sehen. Später kam ‚Freiheit oder Sozialismus‘, da stand die sozialliberale Koalition zur Debatte.“So ging es eben immer weiter. Zumal dann die Linken kamen.
Die jedenfalls können ihr Glück kaum fassen. „Herzlichen Gruß an die Kollegen von CDU und CSU“, sagt Jan Korte. „R2G ist jetzt in aller Munde. Da hat die Union doch endlich mal etwas Brauchbares geleistet.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der linken Bundestagsfraktion erlebt gerade an den Wahlkampfständen neuen Zuspruch und die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow stimmt in den Jubel mit ein. „Ja, die Chance ist da und ich möchte, dass wir sie ergreifen. Es gibt große Schnittmengen in den Programmen der Linken, der SPD und der Grünen. Und es gibt einen sehr ähnlichen Blick auf die gesellschaftlichen Herausforderungen.“So ähnlich sieht es auch der Sozialdemokrat Axel Schäfer. Es gehe aber auch „um das Vertrauen in die handelnden Personen. 2013 hat Gregor Gysi erklärt, er könne bei einer Koalition mit vier Stimmen Mehrheit nicht für seine Fraktion die Hand ins Feuer legen. Deswegen ging das damals nicht.“
Und heute? Es sind nicht zuletzt die Grünen, die sich zwar wieder alle Optionen offenhalten müssen, mit den Linken aber fremdeln. Am Mittwoch zum Beispiel verkündete Annalena Baerbock, dass sich die Linken mit ihrer Afghanistan-Politik „selbst ausgeschlossen“hätten. Das wiederum geht Jan Korte „wirklich auf die Nerven“. Ihn stört, „dass hier nur über eine einzige Abstimmung geredet wird“, in der es um das nachträgliche Mandat für die Rettungsaktion der Bundeswehr ging und „bei der sich die Mehrheit der Fraktion aus nachvollziehbaren Gründen der Stimme enthalten hat. Aber über die 20 Jahre davor wird nicht mehr geredet.“
Spitzenkandidatin Baerbock ließ immerhin wissen, dass sie keine Koalition ausschließe. „Ich halte nichts davon, nicht mit anderen demokratischen Parteien zu reden“, sagte Baerbock. Voraussetzung sei, dass man außenpolitisch handlungsfähig sein müsse. Was das genau bedeutet, sagte Baerbock nicht.
Die Linken jedenfalls wollen keine Positionen aufgeben, sagt die Vorsitzende Hennig-Wellsow. „Weder in der Außenpolitik noch sonst wo. Über die Schrittlänge können wir reden, aber die Richtung muss stimmen.“Bei Nato-Mitgliedschaft und Auslandseinsätzen wird das schwer. Axel Schäfer, der wieder für den Bundestag kandidiert, hat da eine ganz eigene Sicht auf die Dinge. „Was die außenpolitische Gretchenfrage angeht, muss man natürlich sehen, ob sich die Extrempositionen bei den Linken durchsetzen oder nicht“, sagt der Bochumer. „Aber es ist eine deutsche Besonderheit, dass man in einer Koalition in allen Punkten gemeinsam abstimmen muss. Das kann man entdramatisieren. In anderen Ländern geht das ja auch.“