Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Vertrauen verspielt
Wenn es bislang nicht hundertprozentig klar war, worum es der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) in diesem Tarifstreit geht, dann hat sich das nun geändert. Mit seinen Worten, das Management der Deutschen Bahn stelle die Existenz der Gewerkschaft infrage, legt GDL-Chef Claus Weselsky nun auch offiziell offen, dass es ihm nicht in erster Linie um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen geht, sondern um die Zukunft seiner Gewerkschaft. Das Angebot der Deutschen Bahn, in dem das Unternehmen auf so gut wie alle Forderungen der Lokführer eingeht, gilt nämlich nur für das Zugpersonal – also für Lokführer, Schaffner und die Bahnbeschäftigten, die in den Zügen unterwegs sind.
Die GDL hat jedoch zuletzt Mitglieder geworben, die bei der Bahn beschäftigt sind, aber nicht zum Zugpersonal gehören. Für diese gilt das neue Angebot des Bahn-Managements nicht. Deshalb wettert Weselsky gegen Bahn-Chef Richard Lutz, dass dieser die Bahn-Belegschaft in Beschäftigte erster und zweiter Klasse spalte. Hintergrund der Auseinandersetzung ist allerdings der Konkurrenzkampf der GDL mit der viel größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).
Nach dem 2015 verabschiedeten Tarifeinheitsgesetz (TEG) gilt bei konkurrierenden Tarifverträgen in einem Unternehmen der Vertrag, dessen Gewerkschaft bei Abschluss die meisten Mitglieder in dem betroffenen Betrieb stellt. Auch wenn die Zahlen nicht öffentlich sind, ist klar, dass dies auf die EVG zutrifft, nicht auf die GDL. Diese Konstellation bedroht die GDL. Deshalb lehnt Weselsky das Angebot ab – und wettert gegen das Bahn-Management.
Der Chef der Lokführer-Gewerkschaft setzt viel aufs Spiel: nicht nur das Verständnis der Bürger, Reisenden und Unternehmen, dafür dass Bahn-Beschäftigte angemessen bezahlt werden müssen, sondern auch das Vertrauen der Menschen in eine funktionierende Sozialpartnerschaft. Das Streikrecht ist ein hohes Gut, es für einen Machtkampf zwischen konkurrierenden Gewerkschaften zu missbrauchen, ist falsch.