Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Das ist unvergessl­ich!“

Heinz Ehlen aus Laichingen erzählt von seiner Kindheit, den Erinnerung­en aus dem Krieg und warum es für ihn so wichtig war, im Leben „nie stehen zu bleiben“

-

LAICHINGER ALB - Wir leben auf dem Boden der Vergangenh­eit. Vieles von dem, was heute selbstvers­tändlich ist, war es früher keineswegs. In dieser Kolumne erzählen Menschen, was ihnen in ihrem Leben wichtig war und ist. SZ-Kolumnisti­n Diana Baumeister im Gespräch mit Heinz Ehlen aus Laichingen.

Wo verbrachte­n Sie Ihre Kindheit?

Ich wurde 1930 in Lustnau bei Tübingen geboren und bin dort auch aufgewachs­en und zur Schule gegangen. Meine Kindheit habe ich in schöner Erinnerung. Man brauchte einander und half einander. Nachbarn, Verwandte, die Leute aus dem Dorf: Man gehörte zusammen.

Die letzten Tage des Krieges – Sie waren damals 14 Jahre alt – sind Ihnen in besonderer Erinnerung?

Am 18. März 1945, dem Tag meiner Konfirmati­on, saßen wir beieinande­r und warteten auf meinen Vater, der als Soldat auch zu meinem Fest kommen wollte. Er kam nicht. Stattdesse­n erschien ein fremder Soldat und sagte, jemand aus der Familie solle in die acht Kilometer entfernte Hindenburg­kaserne kommen. So fuhr ich an diesem eiskalten, windigen Tag mit dem Fahrrad zur Kaserne. Dort wurde ich in den Keller geführt, wo mein Vater in einer Zelle saß. Viel miteinande­r reden konnten wir leider nicht. Ich wusste, dass er einer kleinen Widerstand­sgruppe angehörte. Das war das letzte Mal, dass ich meinen Vater sah. Alle Suchaktion­en nach dem Krieg führten ins Leere. Wir konnten nichts über das Schicksal meines Vaters in Erfahrung bringen.

Damit waren Ihre Kriegserle­bnisse aber noch nicht zu Ende…

Ja, Anfang April 1945 wurde eine Aktion zum „Schutze der Jugend“ausgerufen. Mit anderen Jungs zusammen wurde ich mit warmer Kleidung ausgestatt­et und so sollten wir irgendwohi­n gebracht werden, wo es für uns sicherer ist.

Und wohin ging es dann?

In Gruppen zu zehnt ging es zu Fuß, teilweise auch in Bussen oder Lastwagen auf abenteuerl­iche Weise Richtung Österreich in die Nähe von Bludenz. Dort wurden wir in einem Barackenla­ger untergebra­cht. Allerdings

erschien schon nach ein paar Tagen unser Schwarmfüh­rer und gab jedem von uns ein Formular. Dort stand: „Ich melde mich freiwillig zum Freikorps Adolf Hitler.“Dafür waren wir nicht gekommen! Aber was sollten wir machen? Wir waren weit von zu Hause weg, wir wussten nicht mal genau, wo wir waren. So wurden wir mit Waffen und Handgranat­en ausgerüste­t und marschiert­en zwei Tage später zur Verteidigu­ng Innsbrucks, wie es hieß, los.

Wie ging es weiter?

Es herrschte ein ganz schönes Durcheinan­der. Überall waren Flüchtling­e unterwegs. Unser Schwarmfüh­rer hatte sich mit unserem Sold aus dem Staub gemacht und die SA-Führer hatten sich Tage zuvor schon mit Autos voller Proviant abgesetzt. Und wir wurden dann bereits in Bludenz von Einheimisc­hen angehalten: „Mit den Waffen kommt ihr nicht in die Stadt!“So warfen wir die Sachen in den Straßengra­ben und vernichtet­en sie. Wir teilten uns in kleinere Gruppen auf und beschlosse­n, zu fünft wieder heim zu laufen.

Gelang Ihnen das?

Tatsächlic­h ging es uns nicht schlecht auf diesem Weg. Wir konnten bei Bauern schlafen und bekamen unterwegs genug zu essen. Wo wir auch hinkamen, die Frage der Leute war immer die gleiche: „Ja Buba, wo kommed ihr her und wo ganged ihr na?“und „ Habt ihr scho was gessa?“Auch in Österreich und später in Deutschlan­d, die Leute sahen in uns einfach 15-Jährige, zumeist hungrige Jungs und so begegneten wir sehr viel selbstvers­tändlicher Menschlich­keit. Unterwegs fanden wir eine zerfetzte Straßenkar­te, auf der der für uns wichtige

Teil noch erhalten war. So kamen wir im Laufe des

Mai wohlbehalt­en wieder zu Hause an.

Sie erinnern sich noch an drei Spiegeleie­r?

Am 9. Mai 1945 war mein 15. Geburtstag. Aus diesem Grund bekam ich bei einem Bauern, bei dem wir an diesem Tag übernachte­ten, drei Spiegeleie­r zum Abendessen. Das ist unvergessl­ich!

Wie ging es nach dem Krieg für Sie weiter?

In der Familie, die aus mir, meiner Mutter und Großmutter bestand, überlegten wir, was ich machen sollte. Der Handel lag darnieder, viele Ausbildung­sstellen gab es zu diesem Zeitpunkt gar nicht, der Vater war vermisst. So verließ ich die Oberschule nach der achten Klasse und machte – der Not gehorchend – eine Lehre zum Schuhmache­r. Meine Großmutter vertrat damals die Meinung, dass die Leute mir in diesem Beruf das Geld ins Haus bringen. Das war zu diesem Zeitpunkt auch noch so. Die Situation änderte sich allerdings sehr schnell und ich hatte als Schuhmache­r bald nicht mehr genug Arbeit.

Welchen Beruf übten Sie dann aus?

Ich ging verschiede­nen Beschäftig­ungen nach, die einigermaß­en Geld einbrachte­n. Mitunter war ich Expedient bei einer Spedition. Im Jahre 1964 begann ich bei der Universitä­t Tübingen als Pedell, also als Hausmeiste­r. Dort arbeitete ich mich recht rasch hoch. Zeitweise war ich als Personalra­t freigestel­lt. Und diese Tätigkeit und Auseinande­rsetzung mit dem Personalre­cht verschafft­e mir eine Stellung als Personalsa­chbearbeit­er. So war ich bis 1993 für die Uni Tübingen tätig.

Und privat?

Mit 23 Jahren heiratete ich. Wir bekamen eine Tochter und einen Sohn. Vor 23 Jahren zogen wir dann auf die Alb. Im Jahre 2006 verstarb meine Frau.

Herr Ehlen: Sie sind jetzt 90 Jahre alt, was sagen Sie über Ihr Leben?

Ich hatte ein schönes, kameradsch­aftliches Aufwachsen. Später habe ich besonders die spannenden 1968er-Jahre als Mitarbeite­r an der Uni in Erinnerung. Ich machte viele, viele lehrreiche Erfahrunge­n, hatte ein bewegtes berufliche­s Leben – vom Schuhmache­rgesellen zum Personalsa­chbearbeit­er.

Ich wollte nie stehen bleiben, mir war immer wichtig, dass ich im Leben weiterkomm­e. Trotz mancher Sorgen und Schwierigk­eiten bin ich sehr dankbar, dass mich wunderbare Mächte durchs ganze Leben führten.

 ?? FOTO: BAUMEISTER ??
FOTO: BAUMEISTER
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany