Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der Klimaschutz muss warten
Umweltminister Untersteller stoppt Konzept – Was geplant war und wer bremst
STUTTGART - Eben hatte sich die grün-schwarze Landesregierung noch für ihr jüngst verabschiedetes Klimaschutzgesetz gefeiert. Weitere Bemühungen, die Treibhausgasemmissionen zu reduzieren, hat Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) nun aber auf Eis gelegt – und schiebt auch dem Koalitionspartner dafür den Schwarzen Peter zu. Das will sich die CDU aber nicht gefallen lassen. Umweltverbände begrüßen den Stopp, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Eine Photovoltaikpflicht für Gewerbegebäude, 42 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Land bis 2030 gegenüber 1990: Das sind einige der Beschlüsse, die der Landtag Mitte Oktober im Klimaschutzgesetz festgeschrieben hat. Das Gesetz gibt den großen Rahmen vor. Ergänzt werden soll es durch einen kleinteiligen Katalog an Maßnahmen, um die Reduktionsziele für Treibhausgase zu erreichen. Dieser Katalog, sozusagen die Gebrauchsanweisung, heißt Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept (IEKK). Das aktuelle stammt aus der grün-roten Regierungszeit. Die neue Fassung sollte Maßnahmen enthalten, die sich im Alltag der Baden-Württemberger bemerkbar machen – von einer Unterstützung für Energiegenossenschaften bis hin zur Streichung von Parkplätzen in Städten. Letzteres sollte die Bürger dazu bringen, weniger mit dem Auto und mehr mit dem ÖPNV, zu Fuß oder dem Rad unterwegs zu sein.
Viele Gruppen und Verbände haben am IEKK über Jahre mitgearbeitet. Es gab viele Gesprächsrunden in unterschiedlicher Zusammensetzung – etwa für die Bereiche Verkehr, Landwirtschaft, oder Industrie. Das Ergebnis waren ganz konkrete Vorgaben, wie im jeweiligen Bereich CO2 eingespart werden soll. Das Konzept ist fertig. Am Donnerstag hat Umweltminister Untersteller alle weiteren Bemühungen gestoppt.
Darüber hat das Umweltministerium am Donnerstag die anderen Ministerien in einem Brief informiert, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Die EU, heißt es darin, strebe inzwischen ambitioniertere Klimaschutzziele als der Südwesten an. Im „Green Deal“der EU-Kommission ist von einer Einsparung um 55 Prozent die Rede, das EU-Parlament strebt sogar 60 Prozent bis 2030 an. Das bedeute: „Wir müssen das IEKK deutlich nachschärfen, damit wir einen wesentlichen Beitrag für ambitionierte Ziele auf EU- und dann auch auf Bundesebene leisten können“, heißt es im Brief. „Dies führt uns zu dem Schluss, dass wir den IEKK-Entwurf in seiner jetzigen Form nicht weiterführen.“Das Konzept werde überarbeitet und auf die Legislaturperiode nach der Landtagswahl im kommenden März verschoben.
Ein Satz in dem Brief bringt den Koalitionspartner besonders auf die Palme. „Die Ressortabstimmung hat sich nun sehr lange hingezogen“, heißt es da. Das Umweltministerium spielt damit auf einen jüngsten Streit zwischen Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) an. Hermann will im IEKK konkrete Pläne im Verkehrsbereich definieren, die Hoffmeister-Kraut offener gestalten will.
Raimund Haser, naturschutzpolitischer Sprecher der Landtags-CDU, beschreibt das so: „Strittig waren – anders als von Herrn Untersteller behauptet – lediglich noch drei Punkte: Die Forderung nach 30 Prozent weniger Verkehr in den Städten, die Vorgabe, dass jeder zweite Weg mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden muss, und dass jede dritte Tonne im Güterverkehr klimaneutral unterwegs sein muss.“
Haser hat zeitweise die Verhandlungen zum IEKK für die CDU-Fraktion geführt. Umso verärgerter ist er über den Stopp, der nun der CDU angelastet werden soll. „Das ist unredlich und mehr dem Wahlkampf und der Angst vor der ,Klimaliste’ geschuldet als der inhaltlichen Auseinandersetzung“, sagt er. Die Klimaliste will als neue Partei zur Landtagswahl antreten und für deutlich mehr Klimaschutz kämpfen als die Grünen. „Mich ärgert das Aus für das neue IEKK – abgesehen vom Imageschaden für die ganze Regierung – auch deshalb, weil es absehbar war, dass am Ende die Taktik überwiegt.“
Wenig erfreut äußert sich auch ein Sprecher der CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann, die die CDUSeite in der Landesregierung koordiniert. „Wir wundern uns, dass die Grünen so beim Klimaschutz wertvolle Zeit verstreichen lassen wollen. Das widerspricht der sonst stets angemahnten Dringlichkeit bei diesem wichtigen Thema.“
Das will Untersteller nicht gelten lassen. „Ich habe stets zur Eile gemahnt, aber nicht alle wollten da mitziehen“, erklärt er. Die Abstimmungen hätten sich lange hingezogen, „aus meiner Sicht unnötig lange“. Die jetzige „missliche Lage“bezeichnet er aber auch als „Chance, auf die europäischen Entwicklungen zu reagieren und das IEKK noch ambitionierter zu machen“.
Die großen Umweltverbände im Land loben den Stopp des IEKK zwar. Dieses sei, ebenso wie das Klimaschutzgesetz, viel zu wenig ambitioniert. Der BUND spricht von einem „Scheitern mit Ansage“und übt harsche Kritik am Umweltminister. „Wir sind froh, dass Untersteller einsieht, dass er da was an die Wand gefahren hat“, sagt Umweltschutzreferent Fritz Mielert. „Das Klimaschutzgesetz und das IEKK sind überhaupt nicht kompatibel mit den Klimaschutzabkommen von Paris. Das war schon bei den ersten Entwürfen klar.“Seitdem habe man sehr viel Zeit durch Abstimmung zwischen den Ministerien verschwendet. „Wenn wir wissen, dass das auf EU- und dann auf Bundesebene nachgeschärft wird, hätte man auch sagen können in einer grün-geführten Landesregierung: Wir gehen voran.“Wirtschaft und Gesellschaft brauchten klare Rahmenbedingungen.
Nabu-Landeschef Johannes Enssle bezeichnet Unterstellers Schritt als „nachvollziehbar“und sagt: „Das erhöht den Druck, gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode das Klimaschutzgesetz zu novellieren und das IEKK zu schaffen.“Gesetz und IEKK hätten schon zur Mitte der grün-schwarzen Regierungszeit vorliegen müssen, sagt Enssle. „Das ist das Enttäuschende.“