Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der Impfstoff-Affront
Sanofi will mögliches Corona-Serum zuerst in den USA ausliefern – Sturm der Entrüstung
BERLIN - Die Aussage kam in den USA gut an, in Europa löste sie jedoch Empörung aus: Der Chef des französischen Pharmakonzerns Sanofi versprach im Interview mit dem Nachrichtendienst Bloomberg, die USA vorrangig mit einem Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zu versorgen. „Die USRegierung hat das Recht auf die größte Vorbestellung, weil sie sich mit der größten Investition eingebracht und damit einen Teil der Risiken geschultert hat“, hatte der gebürtige Brite Paul Hudson gesagt. Er machte zugleich seine Motive für die Aussage klar: Er verwies darauf, dass seinem Unternehmen in Europa keine so hohen Beträge zugeflossen seien.
Das war am Mittwochabend – und am Donnerstag ging der Sturm der Entrüstung los. „Für uns wäre ein privilegierter Zugang für ein bestimmtes Land inakzeptabel“, sagte die französische Wirtschafts-Staatssekretärin Agnes Pannier-Runacher dem Sender Radio Sud. Die Argumentation Hudsons nannte sie einen „finanziellen Vorwand“. Die Sozialistische Partei brachte bereits die Verstaatlichung von Sanofi ins Spiel, schließlich sei „Gesundheit ein Allgemeingut“. Niemand solle sich in der Impfstoff-Hackordnung nach oben kaufen dürfen.
Sanofi ruderte am Donnerstag verbal zurück, ohne seine Position wirklich zu ändern. Der Regionalchef für Frankreich, Olivier Bogillot, versprach gegenüber einem französischen TV-Sender, den Impfstoff sollten „alle“erhalten. Doch das Unternehmen fand keine eindeutigen Worte zum Zeitplan der Auslieferung in den USA und anderswo.
Die Vereinten Nationen, Oxfam und 140 Führungspersönlichkeiten aus aller Welt forderten unterdessen in einem öffentlichen Aufruf eine „Volksimpfung“, wenn es so weit ist. „Niemand sollte sich wegen seinem Wohnort oder seinem Einkommen hinten anstellen müssen.“Die Vereinten Nationen blicken jedoch eher mit Sorge nach Afrika, wo keine großen Pharmafirmen beheimatet sind. Während die USA, die EU, Großbritannien und China sich streiten, wer die ersten Chargen einige Tage früher erhält, drohen die Länder des globalen Südens zunächst leer auszugehen.
Sanofi ist einer der größten Medikamentenhersteller der Welt. Das Unternehmen ist in seiner heutigen Form 2004 durch Verschmelzung von Sanofi-Synthélabo aus Frankreich mit dem deutsch-französischen Konkurrenten Aventis entstanden. Dadurch enthält es auch Teile der ehemaligen Hoechst AG aus Frankfurt. Der Konzern gibt jährlich sechs Milliarden Euro für Forschung aus.
Mit dem Geschäftsbereich Sanofi Pasteur Vaccines ist der Konzern einer der Weltmarktführer bei Impfstoffen. Analysten von EvaluatePharma
sehen Sanofi hier auf Platz drei hinter Glaxo-Smith-Kline (GSK) und Merck. Mit der britischen GSK hat Sanofi nun seine Kräfte gebündelt, um den ersehnten Impfstoff gemeinsam noch etwas schneller entwickeln zu können.
Die Entwicklung von Arzneimitteln ist grundsätzlich mit dem Risiko verbunden, dass hoffnungsvoll getestete Substanzen am Ende nicht wirken. Das meint Hudson mit dem geschäftlichen „Risiko“, das die US-Biomedizinbehörde mitträgt. Ein Unternehmen kann nur dann enorme Ressourcen in die Entwicklung eines Heilmittels investieren, wenn es von Investoren unterstützt wird, die auch die Gefahr eines Scheiterns mittragen.
Sanofi-Chef Hudson steht nun zwar schwer in der Kritik, doch seine Darstellung ist im Wesentlichen richtig. Die US-Behörde für Biomedizin hat der Allianz aus Sanofi und GSK für ihre Forschung in Amerika 30 Millionen Dollar an Fördergeldern zur Verfügung gestellt. Die Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) erwarte dafür, dass die ersten Chargen aus amerikanischer Herstellung auch im eigenen Land ausgeliefert werden. In anderen Teilen der Welt könne es daher einige Tage länger dauern, bis die ersten Impfdosen in die Hände der Ärzte gelangen.
Hudson sieht die Zusammenarbeit mit der BARDA zugleich als Modell für andere Länder. Auch China fördere die Impfstoffentwicklung konsequent. „Also werden diese beiden Vorreiter-Volkswirtschaften zuerst geimpft“, sagte er im Bloomberg-Interview. Er will seine Worte aber als Aufforderung verstehen, in der EU eine ebenso gute Zusammenarbeit zwischen Industrie und Regierung zu schaffen. Es sei wichtig, in Europa eine Debatte darüber anzustoßen, sagte Hudson.