Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Eugen Walter: Vor der Dorfzerstörung noch Erstkommunion gefeiert
SZ-Serie: Zeitzeugen schildern ihre schrecklichen Erlebnisse vom Beschuss Westerheims vor 75 Jahren
WESTERHEIM - Noch sehr gut an den schrecklichen Tag vor 75 Jahren in Westerheim kann sich Eugen Walter erinnern, der als Neunjähriger den 21. April 1945 erlebte. Der frühere Landwirt hat die Dorfzerstörung seiner Heimatgemeinde so erlebt:
„Mein Vater Thomas Walter war in Münsingen, wo ein Volkssturm aufgestellt werden sollte, der sich dann dem übermächtigen Feind entgegenstellen sollte. Dies war ein sinnvolles Unterfangen. Wegen des zu bildenden Volkssturms waren nicht viele Männer in Westerheim.
An jenem Nachmittag lagerte ein deutscher Soldat höheren Rangs in die Scheune in der Langen Gasse zwischen unserem Haus und den Nachbarn Josef Baumeister und Hans Moser 15 Fass mit je 200 Liter Benzin ein. Er zündelte sogar bei dem Treibstoff herum. Ein Nachbarjunge und ich beobachteten den Mann, der ein Offizier gewesen sein muss. Mit einem Holzstecken rührte
ANZEIGE er in dem Benzin immer wieder herum. Dann fuhr er bis auf Sichtweite von uns mit einem offenen Militärwagen zu Sebastian Nille und blieb dort stehen.
Gegen 14 Uhr hörten wir dann den ersten Schuss und der Soldat rief uns zu, sofort nach Hause zu rennen und uns in Sicherheit zu bringen. Der Feind rücke auf Westerheim zu, hieß es. Meine Mutter Barbara suchte mit uns Kindern Zuflucht in unserem Scheunenkeller, der als guter Schutzkeller eingestuft war. Wir hörten immer wieder Schüsse und Einschläge in Westerheim, bis ein deutscher Soldat nach einer gewissen Zeit uns rausjagte und meinte, wir sollten außerhalb Westerheims Schutz suchen.
Wie viele andere Westerheimer machte sich meine Mutter mit uns vier Kindern auf den Weg zum etwa 800 Meter entfernten Schützenhaus in das Wäldle im Ried. Sie brachte meine drei Schwestern Klara, Emilie und Hedwig im Alter von acht, sieben und dreiviertel Jahren dort in Sicherheit. Dabei hatten wir einen Kinderwagen
und einem Bogenwagen, in dem sich ein großer Koffer mit Kleidern und ein kleinerer mit Akten befand.
Viele Menschen verbrachten die Nacht von Samstag auf Sonntag in dem zweistöckigen Schützenhaus, das damals als Schießstand genutzt wurde. Die Frauen hatten viel Angst und beteten viel. Es war kalt geworden, nachts hatte es geschneit, der Nachmittag war noch sonnig und warm gewesen. Wir hörten noch von Schäfer Franz Schweizer, der seine Schafe im Runs gepfercht hatte und auf den geschossen worden sei. Seine Hunde seien getötet worden, hieß es.
Vor dem 21. April 1945 erlebten wir sehr unruhige Zeiten in Westerheim mit durchziehenden Soldaten. Auch kriegsgefangene Soldaten waren in einer Scheune gefangen gehalten. Woher sie kamen, das wussten wir nicht. Als neugierige Jungen haben wir öfters zu ihnen reingeschaut, ein Farbiger war unter ihnen, es war das erste Mal, dass ich einen Farbigen gesehen habe. Eines Tages hat man sie weggejagt. Auch orthodoxe Pater waren bis Kriegsende in Westerheim im Kreuz, die dann eines Tages weg waren. Als Kinder zogen wir im Dorf viel herum und sahen auch das große Geschütz, das deutschen Soldaten in einer Lichtung im Münzentäle in Richtung Feldstetten stationiert hatten.
Am folgenden Sonntag kehrten wir vom Schützenhaus nach Westerheim zurück und sahen eingestürzte und verbrannte Häuser. Es war ein schreckliches Bild. Unser Haus war nicht mehr da, die mit Benzin gefüllten Fässer mussten zu einer gewaltigen Explosion beigetragen haben. Wir waren uns nicht sicher, ob unser Haus von US-Granaten getroffen wurde oder ob deutsche Soldaten Munition und Treibstoff angezündet hatten.
Wir hörten von Toten, wir hatten Angst. Wir kamen schließlich bei unserem Nachbarn bei Hans Rehm unter, der einfach der ,Bass Hans’ genannt wurde. Viele Menschen fanden bei ihm Unterschlupf, alle Zimmer waren sehr voll. US-Soldaten schauten vorbei und durchsuchten die Räume, ob sich vielleicht noch ein deutscher Soldat versteckt hat oder ob noch Gewehre da sind.
Mein Vater war nach dem Beschuss Westerheims sofort heimgekommen. In unserem Hof stellten wir dann eine Baracke als Notunterkunft auf, die in Donnstetten stand und die die Wehrmacht nicht mehr brauchte. Die war alles andere als nobel. In dieser Baracke lebte unsere Familie bis 1949, bis unser Haus wieder aufgebaut war. Ich erhielt Nachtquartier beim Nachbarn auf einem Strohsack unter dem Plattendach. Im Sommer war es dort oft sehr heiß und im Winter eisig kalt.“
An dem Sonntag vor dem 21. April 1945 ist in Westerheim Weißer Sonntag gefeiert worden. Einer der Erstkommunikanten war Eugen Walter, der sich an die Feier in aller Frühe in St. Stephanus noch gut erinnern kann: „Üblich war damals, dem Pfarrer ein Geschenk zu bringen. Meine Mutter hatte für ihn einen Hefekranz gebacken. Ich schlich damals von Haus zu Haus, um den Hefekranz im Pfarrhaus abzugeben. Denn es herrschte die Angst, dass feindliche Amerikaner im Dorf sein könnten.“