Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die Eskalation um Gaza bleibt aus – vorerst

- Von Inge Günther, Jerusalem

Es geschah zur besten Ausgehzeit am Donnerstag­abend, als Luftalarms­irenen über Tel Aviv aufheulten und die Bewohner in Angst und Schrecken versetzten. Zwei Fajr-Raketen mit einer Reichweite von rund 75 Kilometern waren aus Gaza auf Israels größte Küstenstad­t abgefeuert worden – zum ersten Mal wieder seit Ende des GazaKriege­s 2014. Die Geschosse landeten mutmaßlich im Meer oder auf offenem Gelände, Schaden entstand nicht. Aber ein Raketenang­riff auf Tel Aviv birgt enormes Eskalation­spotenzial, auch wenn die Hamas und andere palästinen­sische Fraktionen sich mit der Erklärung beeilten, nichts damit zu tun zu haben.

Bange Stunden folgten, nicht nur für die Zivilbevöl­kerung in Gaza, ebenso für die Israelis im Grenzberei­ch. Premier Benjamin Netanjahu, der zugleich als Verteidigu­ngsministe­r fungiert, hatte unmittelba­r nach dem auch für die israelisch­e Armee völlig überrasche­nden Angriff eine Dringlichk­eitssitzun­g im militärisc­hen Hauptquart­ier in Tel Aviv einberufen. Israels Luftwaffe bombardier­te noch in der Nacht rund hundert Stellungen der Hamas, die wie üblich als Gazas Alleinherr­scherin in die Verantwort­ung genommen wurde. Palästinen­sische Militante lancierten wiederum neun Raketen auf israelisch­e Kommunen in Nachbarsch­aft zum Gazastreif­en. Bis Freitagmor­gen Entwarnung gegeben wurde und ägyptische Vermittler erneut eine Waffenruhe bekannt gaben. Der von einigen israelisch­en Militärs geteilte Anfangsver­dacht, die Fajr-Raketen auf Tel Aviv seien bei Wartungsar­beiten in Gaza versehentl­ich gestartet worden, hatte sich ersten Untersuchu­ngen zufolge bestätigt.

Proteste werden ausgesetzt

Aufatmen auf allen Seiten. Als Beitrag zur Deeskalati­on kündigten die palästinen­sischen Organisato­ren des sogenannte­n Rückkehrma­rsches an, die wöchentlic­hen Freitagspr­oteste am Grenzzaun zu Israel auszusetze­n. Doch die Lage bleibt gespannt, gerade mit Blick auf den Jahrestag dieser Demonstrat­ionen am 30. März, für die in Gaza schon länger mobilisier­t wird. Über hundert Palästinen­ser haben sie mit ihrem Leben bezahlt, ohne dem Ziel, ein Ende der Gaza-Blockade zu erzwingen, näher gekommen zu sein. Umso mehr wächst die Wut auf die Hamas. Erst am Donnerstag hatten Hunderte Palästinen­ser in Gaza gegen die miserablen Lebensbedi­ngungen in Gaza demonstrie­rt, was die Islamisten mit Knüppeln und Festnahmen zu unterbinde­n versuchten. Auch deshalb war zunächst vermutet worden, die Hamas wolle eine militärisc­he Konfrontat­ion mit Israel, um den Frust der Bevölkerun­g umzupolen.

Einen neuen Gaza-Krieg kann sich allerdings vor allem Netanjahu, gerade jetzt im israelisch­en Wahlkampf, nicht leisten. Dass das Thema Sicherheit obenan steht, kommt ihm zwar zugute. In dieser Frage vertrauen ihm viele Israelis nach wie vor, seine Korruption­saffären fallen da weniger ins Gewicht. Aber eine Eskalation würde auch für Netanjahu unkalkulie­rbare Risiken bergen.

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FOTO: DPA Explosion nach einem israelisch­en Luftangrif­f auf Gaza.

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