Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Noch eine Watschn zum Schluss
Die DFB-Elf spielt streckenweise grandios – und muss doch das 2:2 hinnehmen
GELSENKIRCHEN - Sechs Niederlagen im Kalenderjahr, ein Negativrekord, das dramatisch-blamable WMAus in der Vorrunde, nun der Abstieg aus der Nations League – 2018 geht als Horrorjahr in die Annalen der Geschichte der Nationalmannschaft ein.
Und nun verpasste die Nationalmannschaft auch noch einen zumindest versöhnlichen Ausgang. Trotz einer über weiten Strecke bärenstarken Leistung, kassierte die DFB-Elf im letzten Spiel des Jahres in den letzten Sekunden noch das 2:2 gegen die Niederlande und verspielte somit eine 2:0-Führung. „Das Ergebnis ist dem Spiel nicht angemessen, aber das haben wir dieses Jahr schon oft erzählt“, sagte Toni Kroos in der ARD. Und weiter: „Ich glaube, jeder hat das Gefühl, dass es über weite Teile gut war. Jetzt bleibt das hängen, was am Ende passiert ist. Als Mannschaft hätte uns ein Erfolgserlebnis gut getan.“
Bundestrainer Joachim Löw hatte im Vorfeld ja gesagt, man habe 2018 „eine richtige Ohrfeige kassiert“. Da wollte man zum Jahresabschluss nicht noch die andere Wange hinhalten. Nach dem 0:3 im Oktober in Amsterdam musste man gegen das Umbruchteam der Stunde, gegen die Bezwinger von Weltmeister Frankreich (2:0), Schlimmes befürchten.
Doch die Umbruch-Spätzünder um Löw – es ist ja doch nie zu spät – glänzten am Abend in der Schalker Arena, zumindest über weite Strecken. Bei geschlossener Halle verspielte man dann allerdings vor 42 186 Fans (rund 10 000 Plätze blieben leer und auch die Anwesenden machten kaum Stimmung) gegen den Nachbarn im letzten Spiel der Nations League eine 2:0-Führung. Holland glich mit späten Toren (85./ 90.+1.) noch aus –wie bitter. Eine erneute Lehrstunde in Sachen Konsequenz und Cleverness. Beides fehlt noch.
Positiv: Die DFB-Treffer erzielten Timo Werner und Leroy Sané, also zwei Drittel des vielversprechenden neuen Angriffstrios, zu dem auch Serge Gnabry gehört. Als „kleine Mopedgang“hatte Innenverteidiger Niklas Süle die drei nach dem 3:0 gegen Russland bezeichnet. Und die überzeigten erneut.
Müller feiert Jubiläum als Joker
Nur drei Treffer hatte die DFB-Elf in den letzten sechs Pflichtspielen (inklusive der WM) erzielt, diese traurige, historisch schlechte Bilanz wurde etwas aufgehübscht. Das 1:0 (9.) entsprang bei Toni Kroos, dem Rückgrat der jungen Wilden. Gnabry leitet seinen Pass mit einem Kontakt zu Werner weiter, der Leipziger zog mit rechts mutig und vehement ab. Beim 2:0 (20.) durch Sanés abgefälschtem Linksschuss nach Kroos langem Ball aus dem Mittelkreis an den Strafraum, sah Hollands Torwart Cillessen nicht gut aus.
Nach dem Vorrundenaus in Russland hatte Löw den Umbruch zu spät eingeläutet, zu lange am Establishment, am Gros seiner Weltmeister von 2014, festgehalten. Das 0:0 im September in München gegen Frankreich war ein passabler Wiederbeginn, aber kein Neuanfang. Dann setzte es in Amsterdam eine der heilsamsten Pleiten der DFB-Historie. Mit 0:3 wurden die Altstars, vor allem das Innenverteidiger-Duo Hummels und Boateng, gegen Ende von den furiosen Holländern hinweggefegt. Boateng spielte seitdem nicht mehr, erhielt für die November-Partien eine Pause. Hummels durfte gestern ran, ist aber nicht mehr so unumstritten wie Kapitän Manuel Neuer oder Spielmacher Toni Kroos. Und Thomas Müller? Der ist nur noch Joker, kam erst spät zu seinem 100. Länderspiel. Ein Abschied auf Raten. „Natürlich brauchen wir die Alten noch“, sagte Thilo Kehrer (22), einer der Jungen, der „fresh faces“wie man in Kunst und Kultur sagen würde.
Dann schob er pflichtschuldig, aber gewitzt nach: „Was heißt hier ,ldie Alten’? Also die erfahrenen Spieler – ohne die wären wir ziemlich aufgeschmissen.“Neuer (83 Länderspiele), Hummels (70), Kroos (91), dazu der Chef der Jugend, Joshua Kimmich (37) – das sollte doch eine Achse der Hoffnungsträger für die nächsten Jahre sein, bei Hummels zumindest für die EM 2020. Nächstes Jahr finden zehn QualiSpiele für Turnier in zwölf europäischen Städten statt, in München werden zwei Vorrundenspiele ausgetragen. Zeit also, dass sich was dreht, dass sich was bewegt.
Quincy Promes erzielte noch das 2:1 für Holland (85.), lediglich orangene Kosmetik? Nein, Virgil van Dijk traf zu Beginn der Nachspielzeit zum 2:2-Ausgleich. Das Jahr der Ohrfeigen endete also mit einer weiteren Watschn, dem späten Ausgleich. Aber es war zumindest Wiedergutmachung light.
Immerhin.