Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Rechtsstreit um Sami A.
Abgeschobener Gefährder vorerst weiter in Tunesien
TUNIS/BERLIN (AFP/dpa) - Rückkehr nach Deutschland oder Prozess in Tunesien – die weitere Entwicklung im Fall des mutmaßlichen Islamisten und Gefährders Sami A. ist unklar. Nach dem Gelsenkirchener Gerichtsurteil zur Rückholung des mutmaßlichen Ex-Leibwächters von Al-Kaida-Führer Osama bin Laden reklamierte die tunesische Justiz die Zuständigkeit für den Abgeschobenen für sich. „Dieser Fall betrifft die Justiz Tunesiens“, sagte der Sprecher der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft, Sofiène Sliti, am Samstag.
In Berlin warnte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) vor Folgen für den Rechtsstaat. „Was unabhängige Gerichte entscheiden, muss gelten“, sagte sie am Sonntag. „Wenn Behörden sich aussuchen, welchen Richterspruch sie befolgen und welchen nicht, ist das das Ende des Rechtsstaates.“
BERLIN - Am Sonntag schaltet sich Justizministerin Katarina Barley in den Fall Sami A. ein: „Es muss gelten, was Gerichte entscheiden. Das ist die Grundlage jedes Rechtsstaates“, twittert die SPD-Politikerin aus dem Urlaub. „Wer daran zweifelt, stellt die Verfasstheit unseres Staates in Frage.“Harter Tobak. Die Justizministerin sieht es als hochproblematisch an, dass der Ex-Leibwächter von Osama bin Laden trotz Abschiebeverbotes des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts am vergangenen Freitag nach Tunesien zurückgebracht worden war.
Der Fall wird zum Politikum, Bundesinnenminister Horst Seehofer gerät in Bedrängnis. Hat er die Abschiebung des Gefährders Sami A. unrechtmäßig vorangetrieben? Der nordrhein-westfälische SPD-Abgeordnete Sven Wolf stellt am Wochenende Strafanzeige gegen den CSUChef, wirft ihm Ungeheuerliches vor: Seehofer habe „ganz bewusst mal das Recht brechen wollen, um zu zeigen, dass er etwas machen kann“. Regelrecht wütend ist man beim Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen. „Der Rechtsstaat ist hier vorgeführt worden“, beklagt der Vorsitzende Richter Wolfgang Thewes. Auf wen genau sein Vorwurf zielt, lässt er offen. Das Gericht erklärt die Abschiebung für „grob rechtswidrig“und verlangt, das frühere Mitglied von bin Ladens Leibgarde müsse „unverzüglich“zurück nach Deutschland geholt werden.
Die Fakten: Am Freitagmorgen wird Sami A. in einen von der Bundespolizei gecharterten Kleinjet gesetzt und ins tunesische Hammamet geflogen. Angeordnet wird die Abschiebung vom Flüchtlingsministerium NRW. Am Vorabend hatte das Gericht ein Abschiebeverbot beschlossen, weil dem Gefährder in Tunesien Folter drohe. Doch das Fax mit dem Urteil geht bei der Flüchtlingsbehörde und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erst ein, als Sami A. schon in der Luft und außerhalb des deutschen Luftraums ist – heißt es jedenfalls von den zuständigen Behörden. Seehofer selbst, so eine Sprecherin, habe erst nach der Landung und Übergabe des mutmaßlichen Islamisten an die Behörden seines Heimatstaates von der Aktion erfahren.
Der Verdacht, der im Raum steht und auch am Wochenende nicht aufgeklärt wird: Sowohl das BAMF als auch die Bundespolizei – beide sind Seehofer unterstellt – informierten das Gericht in Gelsenkirchen absichtlich nicht rechtzeitig über den Abschiebeflug, um zu verhindern, dass das Abschiebeverbot rechtzeitig vor dem Start übermittelt wurde. „Das verlangt Aufklärung und politische Konsequenzen“, fordert SPDVize Ralf Stegner. Durch die Zweifel, die Behörden hätten womöglich die Justiz getäuscht, sei „großer politischer Schaden angerichtet worden“. Eine scharfe Attacke fährt auch FDPVize Wolfgang Kubicki. Es werde sich rächen, sagt er am Sonntag, „dass die Erosion des Rechtsstaates von denjenigen vorangetrieben wird, die zu seiner Verteidigung aufgerufen sind“.
Der Fall Sami A. könnte einen erheblichen Kollateralschaden verursachen. Dabei hatte die Abschiebung, die immer wieder an juristischen Hürden gescheitert war, zunächst parteiübergreifend für Erleichterung gesorgt. So sagte etwa der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka: „Ehrlich: Ich weine dem Herren keine Träne hinterher.“Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, erklärt am Sonntag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Nur, weil der Warnung einer Anwältin geglaubt wurde, dass Sami A. in Tunesien gefoltert werden würde, ist seine Abschiebung jahrelang verschleppt worden.“Es gebe keine Belege dafür, dass dem Gefährder in seiner Heimat Folter drohe, deswegen dürfe er auch nicht zurückgeholt werden, sagt Wendt.
Klar ist: Die Eilabschiebung wird ein Nachspiel haben. Zunächst aber ermitteln die tunesischen Anti-Terror-Behörden gegen Sami A. Finden sie Beweise für seine Verstrickung in Anschläge, dürfte der 42-Jährige in seiner Heimat für lange Zeit im Gefängnis landen. Das Innenministerium von NRW hat seinerseits Widerspruch angekündigt gegen den Beschlussdes Gelsenkirchener Gerichtes, wonach Sami A. unverzüglich zurückgeholt werden müsse.