Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
An der Motivation liegt’s nicht
Ulmer Mediziner erklärt, was die Leistung von Athleten beeinflusst.
ULM - Vermeintliche Fußballexperten gibt es zuhauf, zu Weltmeisterschaften vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Erklärungen für verlorene Spiele haben sie viele auf Lager. Eine davon: die Spieler waren unmotiviert. Die Kicker der deutschen Nationalmannschaft können von solchen Anschuldigungen nach ihrer Auftaktniederlage gegen Mexiko ein Liedchen singen. Mehr als einen hohlen Vorwurf sieht Jürgen Steinacker dahinter allerdings nicht.
Er ist Professor für Sportmedizin an der Universität Ulm und meint: „Es ist platt zu sagen, Spieler seien unmotiviert.“Profifußballer seien immer motiviert, erklärt er. Das gehöre zu ihrem Naturell. „Die wollen alle Weltmeister werden.“Das Problem der Nationalmannschaft ist ein anderes, meint er.
Steinacker kennt viele Profifußballer und Topsportler persönlich. Einige hat er behandelt, mit anderen fuhr er zu Wettkämpfen. Er war beispielsweise Olympiaarzt für das deutsche Ruderteam. Über die Fußballer sagt er: „Die wollen spielen, spielen, spielen. Tore schießen und Partien gewinnen.“Nach Weltmeisterschaften hat er es aber schon oft erlebt, dass manche Profis zu ihm kommen, „total platt“seien und sagen: „Ich kann nicht mehr.“
Pensum der Fußballer ist enorm
Denn das Pensum von Fußballern in der Profiwelt sei enorm. Ein Spieler wie Toni Kroos von Real Madrid muss nicht nur in der Liga antreten, sondern auch in verschiedenen Pokalwettbewerben, der Champions League und in Länderspielen. Dazu kommen Testspiele und Sponsorenpflichten, gepaart mit Reisestrapazen und dem Druck, in der Öffentlichkeit zu stehen. Toni Kroos’ Saison endete zum Beispiel erst am 26. Mai mit dem Sieg im Finale der Champions League gegen den FC Liverpool. Schon am 2. Juni stieg er in die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft ein.
So eine anstrengende Saison zusammen mit vielen kleineren Verlet- zungen und dem psychischen Stress sorge dafür, erklärt Jürgen Steinacker, dass die Regeneration der Spieler sogar wichtiger sei als das eigentliche Training. „Das kann die deutsche Mannschaft eigentlich sehr gut, weil sie die richtigen Leute hat“, sagt er. Jedoch: „Man kann die Natur nicht überlisten.“Regeneration dauert eben seine Zeit. Besonders an Leistungsträgern wie Kroos oder Sami Khedira wurde das sichtbar, die gegen Mexiko im Tempowechsel deutliche Probleme hatten.
Fall Erdogan trägt auch dazu bei
Erschwerend kam die Geschichte um Ilkay Gündogan, Mesut Özil und dem türkischen Präsidenten Erdogan in der Vorbereitung hinzu. „Ein riesen Faktor“, meint Steinacker. Eine Mannschaft könne leicht verunsichert werden. Auch das WM-Quartier des DFB in Watutinki, das mit seiner Plattenbau-Romantik nicht jeden Spieler in der Mannschaft anspricht, hatte Misstöne zur Folge. Laut Steinacker noch so ein Störfaktor für das Team.
Und dann ist da ja noch der Druck. Dass die Deutschen zu Hause nicht sehr angetan waren von der Leistung gegen Mexiko, dürfte dank sozialer Medien jeden Spieler der DFB-Elf erreicht haben. In der Vorbereitung auf die Fußball-WM war das genauso. „Eigentlich müsste man solche Informationen ausschalten, damit sich die Spieler fokussieren können“, empfiehlt Steinacker. Das richtige Verhältnis zwischen Spannung und Entspannung sei entscheidend. „Offenkundig schiefgegangen“sei das allerdings beim deutschen Team. Und plötzlich war die Belastbarkeit nicht mehr da. „Marco Reus hatte dagegen einen paradoxen Vorteil“, erklärt der Mediziner. Reus war lange verletzt – viel Zeit, um den Kopf frei zu kriegen. Nach seiner Einwechslung gegen Mexiko gehörte er zu den aktivsten Spielern.