Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Der Boom wird ausfallen“
Ifo-Chef Clemens Fuest sieht wachsende Risiken für die deutsche Wirtschaft
BERLIN - Führende Wirtschaftsforscher haben ihre Konjunkturprognosen für Deutschland deutlich abgesenkt. Als Risikofaktor wird vor allem die zunehmend repressive Handelspolitik der USA genannt. Wie zum Beweis drohte US-Präsident Donald Trump in der Nacht auf Dienstag China mit neuen Strafzöllen im Volumen von 200 Milliarden US-Dollar, was auf etwa die Hälfte der chinesischen Einfuhren in die USA zielen würde. Im Handelsstreit der beiden größten Volkswirtschaften ist damit eine neue Eskalationsstufe erreicht. Im Gespräch mit Andreas Herholz erklärt Clemens Fuest, Präsident des renommierten Münchener ifo-Instituts, was das für die deutsche Wirtschaft bedeutet.
Herr Fuest, das ifo-Institut und andere Wirtschaftsforscher rechnen mit einem deutlich geringeren Wirtschaftswachstum. Ist der Konjunkturaufschwung wieder vorbei?
Ein Wachstum von 1,8 Prozent ist immer noch ordentlich, aber der Boom, nachdem es am Ende des Jahres noch aussah, wird ausfallen. Wir erwarten keinen Einbruch, aber eine Abkühlung.
Wo liegen die Ursachen für den Dämpfer und den Rückgang des Wachstums?
Der Hauptgrund ist die Handelspolitik der USA, die für Verunsicherung sorgt. Dazu kommt, dass der Brexit naht und unklar ist, wie die Handelsbeziehungen danach gestaltet werden. Außerdem fallen einige bisher begünstigende Einflüsse weg. Der Ölpreis steigt immer weiter, und die Geldpolitik wird jetzt auch in Europa wieder etwas weniger expansiv.
Die Bundesregierung ist seit hundert Tagen im Amt. Haben Union und SPD die falschen Weichen gestellt?
Die aktuelle Abkühlung hat mit der Politik der neuen Bundesregierung nichts zu tun. Große Impulse gehen von dieser Politik nicht aus, aber den derzeitigen Dämpfer bei der Konjunktur kann man der Großen Koalition nicht anlasten.
Kein Ende im Dauerstreit der Unionsparteien. Sogar ein vorzeitiges Ende und ein Bruch der Großen Koalition scheinen nicht ausgeschlossen zu sein. Wie wirkt sich diese Unsicherheit auf die Wirtschaft aus?
Die Auswirkung auf die Wirtschaft halte ich für gering. Wenn die Koalition tatsächlich zerbricht, wird es darauf ankommen, welches Programm die nächste Regierung sich gibt. Die Wirtschaftspolitik einer neuen Regierung muss nicht schlechter sein.
Vor dem Hintergrund der Krisen in der Welt und dem drohenden Handelskrieg mit den USA warnen Sie davor, dass unser Wohlstand in Gefahr geraten würde. Wie gefährlich sind diese Entwicklungen, und wie konkret ist die Bedrohung?
Die Kombination aus Protektionismus, der von den USA ausgeht, und wachsenden Differenzen unter den EU-Staaten halte ich für sehr gefährlich. Wenn die EU zerfällt und Protektionismus um sich greift, werden wir das in Deutschland besonders spüren, weil unser Wohlstand stark vom weltweiten Handel abhängt.