Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Für den Angeklagten ist „Jude“ein ganz normales Schimpfwort
Der junge Flüchtling aus Syrien, der in Berlin einen israelischen Kippa-Träger geschlagen hat, will kein Antisemit sein
BERLIN - Knaan al-S., ein junger Flüchtling aus Syrien, soll mit einem Gürtel auf einen Kippa-Träger eingeschlagen und ihn als Jude beschimpft haben – mitten in Berlin. Nun steht der 19-Jährige deswegen vor Gericht.
Knaan al-S. senkt seinen Kopf: „Ich entschuldige mich, dass ich ihn geschlagen habe. Es war ein Fehler“. Das Wort „Jude“sei ihm „so rausgerutscht“, sagt der junge Mann. Dienstagmorgen im Saal 700. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten verhandelt über den Angriff, der bundesweit für Entsetzen gesorgt hat. Die Staatsanwaltschaft geht von gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung aus. Der erste Prozesstag wurde ungewöhnlich schnell, nach nur zwei Monaten anberaumt. Das Gericht will damit auch ein Signal setzen.
Knaan al-S. war vor drei Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Er bezeichnet sich selbst als staatenlosen Palästinenser muslimischen Glaubens. Ob das Wort „Jude“für ihn als Schimpfwort gilt, will der Richter wissen. „Ja, es gilt als Schimpfwort, aber ich habe es nicht so gemeint“, sagt der junge Mann. Er habe „nur eine Person beschimpfen“wollen „und nicht alle Juden. Ich hasse weder die Juden noch die Christen“. Er habe an jenem Tag gekifft und auch Ecstasy genommen. Zudem habe der Kippa-Träger seine Mutter beschimpft – ein Vorwurf, den das Opfer, der arabische Israeli Adam A., später zurückweist.
Opfer fühlt sich jetzt unsicher
Adam A., 21, wurde am Bauch, an der Lippe und am Bein verletzt. „Seelisch war es aber noch schlimmer als körperlich“, sagt er im Gerichtssaal, wo er als Nebenkläger auftritt. Adam A. war drei Monate zuvor nach Berlin gekommen, dort studiert er Tiermedizin. Heute fühle er sich in der Stadt nicht mehr sicher. Er habe die Tat damals gefilmt, weil er hoffte, den Angreifer so abhalten zu können. Das Video, das sich weltweit über die sozialen Medien verbreitet hatte, wird auch im Gerichtssaal gezeigt.
Die Tat hatte eine bundesweite Welle der Solidarität ausgelöst. Bei der Kundgebung „Berlin trägt Kippa“demonstrierten 2000 Menschen gegen Judenhass. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rief zu einem „entschiedenen Kampf“gegen den Antisemitismus auf, selbst die „New York Times“berichtete.
Adam A. erzählt, dass er die Kippa von einem Freund in Israel geschenkt bekommen habe, mit dem er das jüdische Pessachfest gefeiert hatte. Mehrere Tage lang trug er die Kopfbedeckung, auch an jenem Tag im Prenzlauer Berg. „Ich wollte auch Solidarität zeigen, es war wenige Tage nach dem Holocaust-Gedenktag.“Sein israelischer Freund habe ihn noch gewarnt, in Deutschland die Kippa zu tragen. „Aber ich habe ihn damals nur ausgelacht und gesagt: Das kann doch nicht wahr sein, in Berlin ist es sicher. Aber das war nicht der Fall.“
Es war doch nur „Spaß“
Der Richter fragt nach: „Ist das spezifisch judenfeindlich?“Adam A. sagt: „Ja“. Die Verteidigung bestreitet das vehement. Dabei räumte der Angeklagte auch ein, den Satz gesagt zu haben: „Ich verdamme deine Juden.“Das sei aber nur „Spaß“gewesen – und „Jude“sei doch ein ganz normales Schimpfwort. „Warum sollte ich ins Gefängnis wandern wegen eines Schimpfwortes?“
Ein Repräsentant der Jüdischen Gemeinde Berlin, Mike Samuel Delberg, bezeichnet es als „katastrophal“, dass versucht werde, die Tat als nicht antisemitisch darzustellen. Der Angeklagte habe zugegeben, dass „Jude“ein Schimpfwort sei, sagt Delberg. „Wenn das nicht antisemitisch sein soll, was soll es dann sonst sein?“