Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Der Richter: Illoyalität contra Sicherheitsbedenken
Kein Urteil des Landgerichts Ulm in Sachen Thierfelder gegen Höhlenverein – Weitere Akteneinsicht gefordert
HEROLDSTATT/ULM - Noch kein Richterspruch beim Landgericht Ulm in Sachen Werner Thierfelder gegen den Höhlenverein Sontheim. Es gehe in dem Verfahren primär um „die Verhältnismäßigkeit des Vereinsausschlusses“des langjährigen Höhlenmitglieds Werner Thierfelder und um die Frage, ob sein Vereinsausschluss tatsächlich gerechtfertigt und formell richtig war, erklärte Ernst-Peter Wackenhut, der Vorsitzende Richter beim Landgericht Ulm. Es gehe auch darum, ob die Vereinsmitglieder bei dem Rauswurf nicht überreagiert und übersteigert gehandelt haben.
Richter Wackenhut will noch Einsicht in weitere Akten und erst Anfang Juni seine Entscheidung kundtun. Ohne einen Einblick in einen entscheidenden Schriftverkehr des Höhlenvereins im Frühjahr 2016 zwischen Höhlenheim und Bergamt möchte er kein Urteil fällen, da er „sonst ein schlechtes Gefühl“habe. Und diese Akten fehlten bei der Verhandlung am Donnerstag.
Wie bereits berichtet, hat Werner Thierfelder, langjähriger Höhlenführer und langjähriges Vorstandsmitglied beim Höhlenverein Sontheim, vor dem Landgericht Ulm gegen seinen Vereinsausschluss wegen Vereinsschädigung geklagt. Er sah bei sich keinerlei vereinsschädigendes Verhalten, das ihm einige Mitglieder vorgeworfen haben. Vertreten wurde Thierfelder von Rechtsanwalt Christian Weber aus Tübingen, die Interessen des Höhlenvereins Sontheim vertrat Rechtsanwalt Harald Lorenz aus Münsingen.
Knapp 15 Zuhörer im Saal
Der Verhandlung im Landgericht Ulm wohnten knapp 15 Personen bei, vor allem Mitglieder des Höhlenvereins Sontheim. Unter ihnen war auch der kommissarische Vereinsvorsitzende Hans Kastner, der stellvertretende Vorsitzende Roland Scheurer und der frühere Vorsitzende Manfred Hirning. Zu Wort gemeldet hat sich nur Hans Kastner.
„Vereinsrecht ist formelles Recht“, erklärte eingangs Richter Wackenhut. Klare Spielregeln und Formalitäten seien einzuhalten. Und da sei eindeutig, dass der erste Anlauf am 9. Juli 2016, Werner Thierfelder aus dem Verein zu bringen, aus formellen Gründen scheitere: Die damalige Begründung zum Vereinsausschuss sei unvollständig gewesen und nicht termingerecht rausgegangen. Deshalb konzentriere er sich ganz auf die Jahresversammlung vom 11. März 2017, bei der das Vereinsausschlussverfahren vollzogen wurde. Damals stimmten 24 Mitglieder für den „Rauswurf“, fünf waren dagegen und zwei enthielten sich der Stimme. Auch damals sei ein formeller Fehler aufgetreten, meinte Wackenhut, da die Beschlussfähigkeit der Versammlung nicht festgehalten worden sei. Die Wirksamkeit des Beschlusses sei deshalb anzuzweifeln, doch das sei jetzt nebensächlich.
Von den aufgeführten Gründen zum Vereinsausschluss Thierfelders könne er nur einen Punkt in Betracht ziehen, machte Richter Wackenhut deutlich: dass Thierfelder ohne Rücksprache mit der Vorstandschaft das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau als die zentrale geowissenschaftliche und bergbauliche Behörde des Landes BadenWürttemberg eingeschaltet habe. Alle anderen im Protokoll angeführten Gründe seien nicht Gegenstand des Vereinsausschlusses gewesen, sondern subjektiver Art und erst während der Versammlung kundgetan worden. Deshalb seien sie auch nicht Gegenstand seiner Rechtsprechung.
Und auch die nachträglich jetzt während der Verhandlung eingeworfenen Gründe gegen den Kläger könne er bei der Rechtsprechung nicht berücksichtigen. Die seien da gegenstandslos. „Wir dürfen keine weiteren Gründe nachschieben“, sagte Wackenhut an die Adresse Kastners, der den „Rauswurf“noch mit anderen Vorfällen und Fakten begründen wollte.
Richter Ernst-Peter Wackenhut konzentrierte sich deshalb ganz auf den Vorwurf der Vereinsschädigung und stellte die grundsätzliche Frage: Ist es gerechtfertigt, dass sich ein Höhlenmitglied gegenüber der Vorstandschaft und den anderen Mitgliedern illoyal verhält, wenn er mit seinem Anliegen nicht die notwendige Aufmerksamkeit bekommt, allein gelassen wird und dann im Interesse der Höhlenbesucher eine höhere Instanz einschaltet? „Der Höhlenführer hat sich illoyal, aber der Sache dienlich verhalten“, meinte Wackenhut. Er habe klar die Gefährdung durch Steinschlag im Blick gehabt. „So ganz ohne“seien die Bedenken des Klägers wohl nicht gewesen.
Der kommissarische Vereinsvorsitzende Hans Kastner brachte bei diesem Punkt ein, dass immer wieder im Eingangsbereich „Steinchen ins Rollen kommen“und vor zwei Jahren keine dringend notwendigen Sicherungsmaßnahmen vorlagen. Zudem werde die Höhle regelmäßig von Vertretern des Bergamts überprüft, und das sei auch im März 2016 der Fall gewesen. Dies unterstrich auch Rechtsanwalt Harald Lorenz.
„Sonst habe ich ein schlechtes Gefühl.“Ernst- Peter Wackenhut, der Vorsitzende Richter beim Landgericht Ulm, will weitere Akteneinsicht.
Knackpunkt: fehlende Akten
Das war schließlich der Knackpunkt der Verhandlung: Richter Wackenhut wollte da genau wissen, wann, ob und wie das Bergamt im März 2016 zugange war. Denn daran könne man messen, ob das Verhalten Thierfelder nachzuvollziehen sei. Deshalb forderte er den Höhlenverein Sontheim auf, bis zum 26. April den gesamten Schriftverkehr zwischen Höhlenverein und Bergamt vom Frühjahr 2016 vorzulegen. Das könnte für seine Rechtsprechung entscheidend sein.
Anhand der Unterlagen seitens des von Werner Thierfelder einge- schalteten Bergamts werde deutlich, dass der Eingangsbereich der Höhle 2016 eine „große Gefahr und ein massives Problem darstellte“, legte der Vorsitzender Richter dar. Dies dürfe nicht heruntergespielt werden und „von ins Rollen gekommenen Steinchen“sei da nicht mehr zu reden. Eine brüchige Decke sei bescheinigt worden. Die Sicherung der Höhle sei anhand der Gutachten notwendig gewesen. Das sei dann schließlich auch bei der Sanierung der Höhle bei Kosten von rund 17 000 Euro deutlich ge- worden, so Wackenhut: „Es war sicherlich kein Hirngespinst, was der Höhlenführer damals vorbrachte.“
Er stellte dann die Frage, wie weit die Loyalität eines Vereinsmitglieds gehen muss, wenn Gefahr in Verzug ist? Weitere Fragen stellte er noch in den Raum: Hätte das Mitglied noch mehr Druck gegenüber dem Vorstand ausüben sollen? Hätte der Kläger nochmals eine Versammlung einberufen sollen? Hätte ein Rundschreiben an die Mitglieder und Behörden genügt? Hätte er die Medien einschalten sollen? Man dürfe sich nicht ausmalen, was infolge eines Steinschlags hätte passieren können?
Zurück in den Höhlenverein
Erlaubt sei auch die Frage, ob der „Vereinsrauswurf“am 11. März 2017 nicht überzogen war, so der Richter. Hätte es da nicht mit einer Abmahnung getan, hätten da nicht deutliche Worte mit dem Betroffenen genügt? Aus Sicht des Vereins hätte er „mehr Verhältnismäßigkeit“gegenüber einem langjährigen Mitglied erwartet. „Hat man da die Mitgliedschaft tatsächlich sofort entziehen müssen?“, fragte er. Abschließend wollte Richter Ernst-Peter Wackenhut von Kläger Werner Thierfelder noch wissen, was er vorhabe, sollte der Vorwurf der Vereinsschädigung zurückgenommen werden. Er wolle wieder Mitglied im Höhlenverein Sontheim werden, so seine Antwort, die nicht ohne so manches Schmunzeln im Gerichtssaal blieb.