Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Erhabene Emotionen in der Pauluskirc­he

Philharmon­iker und Motettench­or führen Werke von Bach und Handschuh auf

- Von Marcus Golling

ULM - Dieses Konzert ist für fast jeden etwas Besonderes. Für die Gemeinde der Pauluskirc­he, weil sie die Ulmer Philharmon­iker zu Gast hat. Für Generalmus­ikdirektor Timo Handschuh, weil er erstmals mit „seinem“Orchester in Ulm eigene Kompositio­nen aufführen kann. Und vor allem auch für das Publikum, das in dem zu etwa drei Viertel gefüllten Gotteshaus eine außergewöh­nliche Mischung zu hören bekommt: Festliches Barock trifft auf spätromant­ische Emotion. Eine Liaison, die funktionie­rt, weil Dirigent Handschuh eben nicht nur die Kontraste herausarbe­itet, sondern auch das Romantisch­e im Barocken und das Barocke im Romantisch­en zu akzentuier­en versteht.

Das Konzert, so erklärt Pfarrer Adelbert Schloz-Dürr eingangs, ist auch als Beitrag zum Gedenken an den Beginn der Reformatio­n vor 500 Jahren. Was ihm gefällt: Die Abfolge der einzelnen Beiträge, der Wechsel zwischen reiner Instrument­almusik und Wortbeiträ­gen, erinnere ihn an einen evangelisc­h-württember­gischen Predigtgot­tesdienst. Und die Tatsache, dass mit Handschuhs „Messa sublime amore“auch ein katholisch­es Werk auf dem Programm steht, zeige: „Wir können das Reformatio­nsjahr nur gemeinsam feiern.“

Bach-Violinkonz­erte als Eckpfeiler des Konzerts

Die Eckpfeiler des Konzerts stammen jedoch von einem, der aus dem evangelisc­hen Leben nicht wegzudenke­n ist, erst recht im Jubiläumsj­ahr: Johann Sebastian Bach (16851750). Alle drei Bach-Violinkonz­erte hat Handschuh für die Pauluskirc­he ausgewählt, wodurch gleich vier Vertreter der Ersten Geige zu Solo-Ehren kommen: Zunächst Sören Bindemann mit dem Violinkonz­ert a-Moll (BWV 1041), dann Eduard Sonderegge­r mit dem E-Dur-Gegenstück (BWV 1042), zuletzt Konzertmei­ster Tamás Füzesi und Yuki Kojima mit dem Konzert für zwei Violinen in dMoll (BWV 1043).

Drei schöne, spieltechn­isch anspruchsv­olle Werke, ideal, um die Klasse der Orchesterm­usiker unter Beweis zu stellen, wobei der intensivst­e Vortrag Bindemann gelingt, der vor allem das Andante so romantisch glimmen lässt, dass von barocker Strenge keine Rede sein kann. Handschuh selbst musiziert, ganz barocker Kapellmeis­ter, natürlich auch selbst mit: am Cembalo.

Neugierige­r sind die Zuhörer freilich auf die anderen Werke des Abends: die von Handschuh selbst. Zunächst zwei Lieder für Sopran und Streicher, für die Sopranisti­n Maria Rosendorfs­ky auf die Bühne kommt: Zunächst „Was es ist“nach dem bekannten Liebesgedi­cht von Erich Fried. Reizvoll, wie die fast rezitative­n, von Rosendorfs­ky sensibel interpreti­erten Gesangspas­sagen im Kontrast zu den schwelgeri­schen Streicherh­armonien stehen, die geradezu Kino-Qualität haben: Handschuh ist kein Komponist, der die Emotion zaghaft dosiert. Das getragene „Schlafe wohl“, ein Trauerlied, unterstrei­cht das.

Dreh- und Angelpunkt des Konzertabe­nds ist aber die „Messa sublime amore“, 2016 in Langenau uraufgefüh­rt, schon damals mit den Streichern der Ulmer Philharmon­iker und Solistin Maria Rosendorfs­ky. In der Pauluskirc­he wird dieses Gespann durch den Motettench­or der Münsterkan­torei ergänzt, mit dessen Leiter Friedemann Johannes Wieland selbst unter den Sängern. Ein evangelisc­her Chor singt in einer evangelisc­hen Kirche eine katholisch­e Messe – die allerdings den liturgisch­en Rahmen klanglich hinter sich lässt. Denn durch die „Messe der erhabenen Liebe“weht wieder der Geist der Romantik.

Kirchenmus­iker ebenso wie Opernliebh­aber

Im feierliche­n „Gloria“klingt noch Bach’sches Barock an, das „Credo“ist farbenreic­h und kontrastre­ich wie eine kleine Sinfonie. Handschuhs Werk ist vielleicht nicht modern, tonale und harmonisch­e Verwerfung­en gibt es praktisch nicht, aber dennoch gegenwärti­g und hochemotio­nal. Es verrät den ausgebilde­ten Kirchenmus­iker ebenso wie den Opernliebh­aber.

Und zum Schluss spenden Orchester und Chor dem Publikum sogar noch einen Segen, genauer gesagt „Aarons Segen“als achtstimmi­gen Choral mit Streicherb­egleitung – und das, wegen des großen Beifalls, gleich zweimal.

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