Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Mehr als 300 stehen Schlange, um abzuheben
Die Lufthansa sucht bei einem Casting in Ulm potenzielle Flugbegleiter
ULM - Willkommen an Bord: Wer diese Worte hört, hat es geschafft. Er wird Flugbegleiter bei der Lufthansa. Doch bis es so weit ist, vergeht viel Zeit mit Warten und Anspannung, Tests und Bangen.
Die Lufthansa sucht derzeit deutschlandweit und in Österreich Flugbegleiter – und zwar auf ungewöhnliche Art. Die Firma lädt potenzielle Stewards und Stewardessen zum Casting ein. Mit dem ungewöhnlichen Format erhofft sich der Konzern, unterschiedliche Bewerber-Typen zu erreichen. Und setzt auch auf den spontanen Teilnehmer, wie Pressesprecher Jörg Waber erklärt. „Offenheit und Flexibilität sind für den Beruf wichtig.“Die Lufthansa castet in Salzburg, in Nürnberg und am vergangenen Samstag in Ulm.
Ab 9 Uhr soll es im Foyer des Maritim-Hotels losgehen, die ersten Bewerber sind über zwei Stunden vorher da. Nur eine gewisse Zahl bekommt die Chance, sich zu beweisen. First come, first served – wer zuerst kommt, ist als Erster dran. Als die Türen um Punkt 9 Uhr aufgeschlossen werden, drängen die Wartenden hinein. Draußen ist es an diesem Samstagmorgen in Ulm kalt und windig, in Röcken und leichten, hochhackigen Schuhen frieren viele. Céline Palesch und Ann-Christin Roß haben Glück. Sie kommen zügig nach drinnen und fangen an, die erste Hürde in Angriff zu nehmen: die Selbstauskunft. Das praktische am Casting: Außer dem Personalausweis müssen die Bewerber nichts mitbringen und sich auch nicht anmelden.
In der Selbstauskunft werden die persönlichen Daten angegeben. Céline ist 24 Jahre alt und arbeitet als Erzieherin. Ann-Christin ist 19, sie war nach dem Abitur einige Monate in Australien. Beide sind weite Strecken gefahren, um hier teilzunehmen. Céline kommt aus Offenbach bei Frankfurt, Ann-Christin aus Erwitte in Nordrhein-Westfalen. Beide sind schon am Vortag nach Ulm gefahren und haben übernachtet, um pünktlich zu sein. „Ich hab heute Nacht dreimal geträumt, dass ich verschlafen habe“, erzählt Céline. Sie wäre „sehr enttäuscht“, wenn es heute nicht funktionieren würde.
Doch was reizt die Leute überhaupt, Flugbegleiter zu werden? Für die beiden Frauen ist das ganz klar: Sie wollten schon immer Stewardess werden. „Seit meinem ersten Flug mit vier Jahren ist das mein Traum“, sagt Céline. Ähnlich wie Erzieherin sei Flugbegleiterin außerdem ein sozialer Beruf und das mache ihr Spaß. „Damals mit 18 fühlte ich mich aber noch nicht reif genug.“Die Lufthansa ist ihr Favorit, sie vermittelt „ein Stück Heimat“, wie Céline es ausdrückt. Beide Frauen haben sich vorher Videos über den Alltag einer Stewardess angesehen und sich ausführlich vorbereitet. Es soll an diesem Tag nicht an Kleinigkeiten scheitern. So wie an der Selbstauskunft, die nicht leicht auszufüllen ist. Größe und Gewicht erfüllen beide. 1,60 bis 1,95 Meter groß muss man sein und ein „angemessenes Körpergewicht“ haben. Ann-Christin ist 1,80, Céline gute 15 Zentimeter kleiner. Beide sind schlank. Aber: „Wir wollen keine Modepüppchen, sondern Leute, die sich im Notfall auch durchsetzen können“, sagt Waber.
Wichtig ist, wie es um die Englischkenntnisse steht. Oder: Tragen Sie ein Piercing oder Tattoos? „Was kreuzt ihr da an, fortgeschritten oder fließend Englisch?“, fragt AnnChristin in die Runde. Und: „Gebt ihr an, dass ihr ein Piercing habt, obwohl man es nicht sieht?“Ann-Christin entschließt sich, auf Nummer sicher zu gehen, sie hat eines am Bauchnabel. Das stört aber nicht, raus müssen nur sichtbare Piercings.
Mit der Selbstauskunft geht es zum „Check-in“, dem ersten Punkt im Casting-Ablauf. Dort prüfen Mitarbeiter, ob die Grundvoraussetzungen erfüllt werden. Céline hat „fortgeschrittenes Englisch“angekreuzt und wird direkt auf Englisch gefragt, ob sie wisse, dass die Mehrzahl der Fluggäste englisch spreche. Céline ist aufgeregt und verhaspelt sich ein wenig, dennoch darf sie weiter. Auf sie wartet Punkt zwei, das „Pre-Screening“, ein Gespräch überwiegend auf Englisch. Andere kommen erst gar nicht richtig ins Maritim-Foyer hinein, sie sprechen zu schlecht englisch. Heulend laufen sie raus.
65 scheitern an der ersten Hürde
Wie Pressesprecher Waber hinterher erzählt, haben sich insgesamt 315 Leute in Ulm beworben, von denen 65 an der ersten Hürde gescheitert sind. Die übrigen 250 Kandidaten sammeln sich im Foyer und warten in aufgebauten Stuhlkreisen, bis es weitergeht. Die Wartezeit gibt vielen Anlass, an sich zu zweifeln. „Ich wäre todunglücklich und weiß nicht, was ich sonst machen soll“, sagt AnnChristin. Obwohl ihre Eltern sich schon wünschen, dass sie studiert. Etwas Festes eben, denn Flugbegleiterin sei ja keine richtige Ausbildung. Schließlich werden die Frauen von Lufthansa-Mitarbeitern zum Gespräch abgeholt. Ann-Christin unterhält sich dort auf Englisch über ihre Zeit in Australien, wie der Alltag ablief und welches landestypische Essen sie mag. Nach dem Gespräch heißt es wieder warten.
Lufthansa-Mitarbeiter Rüdiger Lau überbringt dann das erste Ergebnis. Gruppenweise werden die Kandidaten aufgerufen und manche nach dem ersten Teil nach Hause geschickt. Céline und Ann-Christin dürfen in die nächste Runde: zum Psychologengespräch. Die Freude ist groß, die beiden strahlen und hüpfen umher – ein wenig wie bei Germany’s next Topmodel. „Wir bekommen keine Höchstgrenze vorgegeben“, sagt Sprecher Waber.
Die Psychologen, die die Bewerber im nächsten Schritt testen, sind unabhängig und extra für diesen Tag gebucht. Eine halbe Stunde dauert das Gespräch, dort soll geprüft werden, ob die Bewerber geeignet sind, den Beruf eine längere Zeit auszuüben. Céline wird gefragt, wie sie bei störenden Kindern handeln würde: Kopfhörer anbieten, um etwas Ruhe bitten, sagt sie. Und hat nach dem Gespräch ein gutes Gefühl. Im Gegensatz zu Ann-Christin, die sich vom Psychologen eingeschüchtert fühlt. Nach dem Gespräch wandern die Teilnehmer in den letzten Stuhlkreis für diesen Tag. Dort wird verkündet, wer die zwölfwöchige Schulung zum Flugbegleiter bei Lufthansa absolvieren darf. Von den 315 Bewerbern in Ulm sind rund 80 dabei, sagt Waber.
Im Stuhlkreis wird es spannend gemacht. Céline und Ann-Christin denken im ersten Moment, dass es nicht gereicht hat. Die erlösenden Worte „Willkommen an Bord“werden gut versteckt überbracht – wie in Castings üblich. Dann strahlen beide, sie sind dabei. Als Beleg gibt es ein auf ihren Namen ausgestelltes Flugticket. Und auch ein Foto – mit LufthansaFlugbegleitern, den zukünftigen Kollegen also. Stolz posieren die beiden Frauen vor einer Fotowand, auf der die Brooklyn Bridge in New York zu sehen ist. Dort wollen sie auch bald hin – beruflich, versteht sich.