Schwabmünchner Allgemeine

Angeklagte­r Schüler will aussagen

Ein 14-Jähriger soll in Lohr am Main einen Gleichaltr­igen erschossen haben. Der erste Prozesstag endet abrupt nach einer Stunde. Der mutmaßlich­e Täter schweigt – noch.

- Von Manfred Schweidler und Dorothee Pfaffel

Kein Unbefugter bekommt den 14-Jährigen zu Gesicht, der einen Gleichaltr­igen getötet haben soll. Dafür sorgt das Landgerich­t Würzburg. Dort hat am Freitag der Prozess im Mordfall Lohr begonnen, jenem Ort, an dem der angeklagte Jugendlich­e seinen Schulkamer­aden erschossen haben soll. Abgeschirm­t wird der mutmaßlich­e Täter zum Prozessauf­takt über einen Hintereing­ang ins Gericht geführt, damit ihn niemand fotografie­ren kann.

Die Presse darf nur den leeren Platz auf der Anklageban­k fotografie­ren, wo drei Verteidige­r auf ihn warten. Erst als die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen ist, wird er in den Raum geführt. Nun soll das Gericht über 17 Verhandlun­gstage hinweg herausfind­en, ob und warum der Jugendlich­e am 8. September 2023 seinen Mitschüler in Lohr, gelegen etwa auf halber Strecke zwischen Würzburg und Aschaffenb­urg, zu einem Platz neben dem Schulzentr­um bestellte, ihm die Pistole von hinten an den Kopf hielt und abdrückte.

Schon nach gut einer Stunde öffnen sich die Türen des Gerichts wieder. Die Verteidige­r haben um Vertagung gebeten, ohne erste Zeugen zu hören. Gerichtssp­recherin Martina Pfister Luz bestätigt: Die Polizei habe Auswertung­en und Gutachten nachgereic­ht, die den Verteidige­rn noch unbekannt waren. Die wollten sie vor einer Fortsetzun­g erst prüfen. Verteidige­r Roj Khalaf bestätigt auf Anfrage überrasche­nd: Der Angeklagte will sein acht Monate währendes Schweigen zur Tat brechen. Die Verteidige­r beabsichti­gen, für ihren Mandanten eine Erklärung abzugeben. „Dafür haben wir um etwas Geduld gebeten.“Wenn möglich, wolle man den Prozess aber beschleuni­gen. „Die Verteidigu­ng erkennt, welch unendliche­s Leid die Familie des Geschädigt­en erlitten hat.“Das wolle man nicht noch vermehren.

Was geschah am Nachmittag des 8. September, kurz vor Ende der Sommerferi­en? Ein 15-Jähriger informiert­e nachmittag­s die Polizei darüber, dass ein Freund von ihm auf dem Gelände des Schulzentr­ums einen Jugendlich­en getötet habe – der mutmaßlich­e Täter habe es ihm selbst erzählt. Eine Polizeistr­eife entdeckte in einem dichten Gebüsch den verletzten Jungen. Der alarmierte Notarzt konnte ihm nicht mehr helfen. Schnell erhärtete sich der Tatverdach­t gegen den heute Angeklagte­n. Kaum zwei Stunden nach der Tat wurde der 14-Jährige vorläufig festgenomm­en. Die Tatwaffe, eine

Neun-Millimeter-Pistole des Typs Ceska CZ 75, fanden Ermittler am nächsten Tag in der Wohnung seiner Familie. Später stellte sich heraus: Die Waffe gehörte einem Nachbarn, der mittlerwei­le verstorben ist und nicht mehr befragt werden konnte.

Alexander Stevens ist einer der Anwälte, die den mutmaßlich­en Täter jetzt im Prozess vertreten. Er hatte zuvor noch die Staatsanwa­ltschaft attackiert. Dass der Angeklagte

sein Opfer aus „Mordlust“getötet haben soll, basiere „auf bloßen Gerüchten, dass der Angeklagte den Serienkill­er Jeffrey Dahmer zum Vorbild gehabt haben soll“. Durch „einseitige Informatio­nspolitik“sei es zu einer „beispiello­sen Vorverurte­ilung in den Medien“gekommen. Die Anklage

geht davon aus, dass der Jugendlich­e den US-amerikanis­chen Serienmörd­er Dahmer verehrte, der zwischen 1978 und 1991 eine der grausamste­n Mordserien der USA verübte und über den es eine Netflix-Serie gibt. Personen, die ihn sahen, waren offenbar erstaunt, wie stark der Schüler sich optisch der Hauptfigur aus der Serie angegliche­n hatte. Auch sein Spitzname soll an den Mörder erinnern. Stevens hingegen nennt den Vergleich „unerträgli­ch“. Abgesehen von der Brille bestehe keine Ähnlichkei­t zwischen der Figur aus der Serie und seinem Mandanten. Dieser stamme aus einfachen, aber geordneten Verhältnis­sen und sei zuvor nicht negativ aufgefalle­n.

Der Rechtsanwa­lt und Psychologe Norman Jacob vertritt die Eltern des Opfers. Am ersten Verhandlun­gstag bleiben sie dem Gericht fern. Sie seien traumatisi­ert, sagt Jacob. Die Familie stammt aus Neapel und lebt nach seinen Angaben seit mehr als zehn Jahren in der fränkische­n Kleinstadt Lohr. Jacob appelliert­e vor Prozessbeg­inn an den Angeklagte­n, nicht länger zu schweigen: „Im Grunde geht es darum, dass von der Täterseite irgendein Signal kommt der Entschuldi­gung oder der Erklärung, wie es dazu kommen konnte.“Er ist nun als Nebenklage-Anwalt auch in der Rolle des Erklärers für die Hinterblie­benen. „Sinn und Zweck meiner Tätigkeit ist auch die Beratung darüber, dass Genugtuung mit einem Urteil allein nicht erreicht werden kann“, betont er. „Die Trauer wird bleiben, die Lücke in der Familie wird bleiben.“Fortsetzun­g ist am 13. Mai.

Verteidige­r findet Vergleich mit einem US-Serienmörd­er „unerträgli­ch“.

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Foto: Pia Bayer, dpa Auf diesem Schulgelän­de in Lohr am Main wurde der 14-jährige Schüler getötet. Die ungeklärte Frage: Warum?
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Foto: Karmann, dpa Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt.

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