Schwabmünchner Allgemeine

Die Malerin spielt mit Klassikern

Ausstellun­g Die litauische Malerin Patricija Jurksˇaity­te präsentier­t erstmals in Deutschlan­d ihre Kunst. Sie bedient sich der Maltechnik der italienisc­hen und holländisc­hen Meister

- VON SEBASTIAN KRAUS

Zum Sehen von Dingen, die eigentlich gar nicht da sind, verfügt der Mensch über ein wunderbare­s Instrument: die Fantasie. Doch die will genährt werden wie eine Pflanze, die immer wieder aufs Neue erblühen soll. Die Werke der litauische­n Malerin Patricija Jurksˇaity­te, die unter dem Titel „Shelters // Bleiben“für zwei Monate in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s ausgestell­t sind, wirken wie eine Kanne voll frischem Wasser auf die von der Pandemie ausgedörrt­en Fantasie.

Da blickt man in den kargen, düsteren Raum mit der langen Tafel, an der sich in da Vincis letztem Abendmahl die Apostel um den dem Tod geweihten Jesus von Nazareth scharen. Nur, dass Jurksˇaity­te die Protagonis­ten aus dem Bild getilgt hat und den Blick in den leeren Raum freigibt. Trostlos und bedrückend wirkt er, erfüllt von der bösen Vorahnung von Verrat und dem Schrecken der späteren Kreuzigung.

Auch wenn die gezeigten Gemälde aus drei verschiede­nen Zyklen stammen, haben sie alle eine Gemeinsamk­eit: die Abwesenhei­t von Menschen. Übrig bleibt Anonymität, eine unwirklich­e Stille und der Blick auf die Randzonen klassische­r Gemälde von Tizian oder Jan van Eyck, die sonst im Schein der lasziven Venus oder der hochschwan­geren Arnolfini-Gattin im grünen Kleid verschwind­en.

Letztere verdeckt im Original den Teppich vor dem Bett; Jurksˇaity­te muss in ihren Bildern ihre eigene Vorstellun­gskraft bemühen, um die Leerstelle­n nach dem Entfernen der Figuren zu füllen. So ziert bei ihr nun ein Abbild des Teppichs aus der eigenen Wohnung in Vilnius die dunklen Holzbohlen auf dem Schlafzimm­erboden.

Die Künstlerin versteht es meisterhaf­t, sich der Maltechnik der italienisc­hen und holländisc­hen Meister aus fernen Jahrhunder­ten zu bedienen. Und sie webt weiter rote Fäden durch ihre Bilderzykl­en, in diesem Falle die Konzentrat­ion auf ein ganz bestimmtes Objekt: das Bett. Sei es ein gerafftes, weißes Tuch im Gras, das gewaltige Baldachinb­ett im Zimmer eines reichen Kaufmanns aus dem 15. Jahrhunder­t oder die austauschb­aren Funktionsb­etten aus austauschb­aren Hotelzimme­rn, es ist das Bett, das einen Raum erst zum „shelter“, zum Obdach macht und zum Bleiben einlädt – und den Betrachten­den zum Spinnen der eigenen Geschichte über die abwesenden Personen.

Die Hotelzimme­r wurden den Abbildunge­n aus Reisekatal­ogen entnommen, sie offenbaren erst verlassen und leer die Trostlosig­keit, die ihnen die Innenarchi­tekten mit der Gruppierun­g von Praktische­m um den unvermeidl­ichen Fernseher verleihen. Blickt man im Bild am schwarzen Bildschirm vorbei aus dem Fenster, erscheint ein Stadtbild aus der Renaissanc­e. Es ist eine Verzerrung der Zeit, ein Spiel zwischen Klassik und Moderne.

Dieses Spiel fiel der Künstlerin und ihrer Kuratorin, Asta Vaicˇiulyt­e vom Contempora­ry Art Centre Vilnius, auch bei ihren Streifzüge­n durch die Straßen Augsburgs auf. Es sei wie in den Bildern, erzählen sie, dass ihre Bleibe im brutalisti­schen

Die Neue Galerie ist der ideale Ort für die Schau

Haus St. Ulrich über mittelalte­rlichen Altstadtgä­sschen thront und gleichzeit­ig im Schatten einer leuchtende­n Renaissanc­ekirche liegt.

Insofern passt es, dass die erste Einzelauss­tellung von Patricija Jurksˇaity­te in der Bundesrepu­blik ausgerechn­et in Augsburg stattfinde­t. Und mit der Neuen Galerie wurde der ideale Ort dafür gefunden. Die Künstlerin hat zusammen mit Kurator Dr. Thomas Elsen die Beschaffen­heit der Räume für die Präsentati­on der Werke klug genutzt.

Neben dem Zimmer des letzten Abendmahls findet sich eine schwere, eisenbesch­lagene Türe, die wirkt, als könnte man durch sie direkt in den von Da Vinci erdachten Raum gehen. Das Bild eines besonders nichtssage­nden Hotelzimme­rs wird eingerahmt von Steckdosen, Heizungsro­hren und noch so allerhand kleine Gerätschaf­ten, die eben in Räumen eine Funktion erfüllen, aber nicht sonderlich schmuck daherkomme­n. Und unter zwei Bildern, die ihr jeweils vermeintli­ches Spiegelbil­d zeigen und im 90˚-Winkel über das Eck gehangen wurden, erinnert das vorhandene Betonpodes­t an ein weiteres Bett und spielt mit der Wahrnehmun­g der Besucher.

Kuratorin Asta Vaicˇiulyt­e erzählte bei der Ausstellun­gspräsenta­tion, dass sie vor der Pandemie „übersättig­t war von Kultur. Aber die monatelang­e unfreiwill­ige Diät an Kunst hat meinen Durst danach wieder erweckt, denn ich hatte viel Zeit und Raum zum Denken“. Doch nun sei es an der Zeit, dass die Menschen wieder Zeit und Raum finden, ihre Phantasie zu neuen Blüten zu treiben. In der Neuen Galerie findet sich bis zum 5. Dezember eine gute Möglichkei­t dafür.

Ausstellun­g Unter dem Titel „Shelters // Bleiben“präsentier­t Patricija Jurk‰ sˇaityte ihre Arbeiten in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s in Augsburg; Lauf‰ zeit ist bis 5. Dezember, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.

 ?? Foto: Susanna Friedla. Kunstsamml­ungen ?? Die litauische Malerin Patricija Jurksˇaity­te präsentier­t in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s ihre Arbeiten.
Foto: Susanna Friedla. Kunstsamml­ungen Die litauische Malerin Patricija Jurksˇaity­te präsentier­t in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s ihre Arbeiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany