Die Malerin spielt mit Klassikern
Ausstellung Die litauische Malerin Patricija Jurksˇaityte präsentiert erstmals in Deutschland ihre Kunst. Sie bedient sich der Maltechnik der italienischen und holländischen Meister
Zum Sehen von Dingen, die eigentlich gar nicht da sind, verfügt der Mensch über ein wunderbares Instrument: die Fantasie. Doch die will genährt werden wie eine Pflanze, die immer wieder aufs Neue erblühen soll. Die Werke der litauischen Malerin Patricija Jurksˇaityte, die unter dem Titel „Shelters // Bleiben“für zwei Monate in der Neuen Galerie im Höhmannhaus ausgestellt sind, wirken wie eine Kanne voll frischem Wasser auf die von der Pandemie ausgedörrten Fantasie.
Da blickt man in den kargen, düsteren Raum mit der langen Tafel, an der sich in da Vincis letztem Abendmahl die Apostel um den dem Tod geweihten Jesus von Nazareth scharen. Nur, dass Jurksˇaityte die Protagonisten aus dem Bild getilgt hat und den Blick in den leeren Raum freigibt. Trostlos und bedrückend wirkt er, erfüllt von der bösen Vorahnung von Verrat und dem Schrecken der späteren Kreuzigung.
Auch wenn die gezeigten Gemälde aus drei verschiedenen Zyklen stammen, haben sie alle eine Gemeinsamkeit: die Abwesenheit von Menschen. Übrig bleibt Anonymität, eine unwirkliche Stille und der Blick auf die Randzonen klassischer Gemälde von Tizian oder Jan van Eyck, die sonst im Schein der lasziven Venus oder der hochschwangeren Arnolfini-Gattin im grünen Kleid verschwinden.
Letztere verdeckt im Original den Teppich vor dem Bett; Jurksˇaityte muss in ihren Bildern ihre eigene Vorstellungskraft bemühen, um die Leerstellen nach dem Entfernen der Figuren zu füllen. So ziert bei ihr nun ein Abbild des Teppichs aus der eigenen Wohnung in Vilnius die dunklen Holzbohlen auf dem Schlafzimmerboden.
Die Künstlerin versteht es meisterhaft, sich der Maltechnik der italienischen und holländischen Meister aus fernen Jahrhunderten zu bedienen. Und sie webt weiter rote Fäden durch ihre Bilderzyklen, in diesem Falle die Konzentration auf ein ganz bestimmtes Objekt: das Bett. Sei es ein gerafftes, weißes Tuch im Gras, das gewaltige Baldachinbett im Zimmer eines reichen Kaufmanns aus dem 15. Jahrhundert oder die austauschbaren Funktionsbetten aus austauschbaren Hotelzimmern, es ist das Bett, das einen Raum erst zum „shelter“, zum Obdach macht und zum Bleiben einlädt – und den Betrachtenden zum Spinnen der eigenen Geschichte über die abwesenden Personen.
Die Hotelzimmer wurden den Abbildungen aus Reisekatalogen entnommen, sie offenbaren erst verlassen und leer die Trostlosigkeit, die ihnen die Innenarchitekten mit der Gruppierung von Praktischem um den unvermeidlichen Fernseher verleihen. Blickt man im Bild am schwarzen Bildschirm vorbei aus dem Fenster, erscheint ein Stadtbild aus der Renaissance. Es ist eine Verzerrung der Zeit, ein Spiel zwischen Klassik und Moderne.
Dieses Spiel fiel der Künstlerin und ihrer Kuratorin, Asta Vaicˇiulyte vom Contemporary Art Centre Vilnius, auch bei ihren Streifzügen durch die Straßen Augsburgs auf. Es sei wie in den Bildern, erzählen sie, dass ihre Bleibe im brutalistischen
Die Neue Galerie ist der ideale Ort für die Schau
Haus St. Ulrich über mittelalterlichen Altstadtgässchen thront und gleichzeitig im Schatten einer leuchtenden Renaissancekirche liegt.
Insofern passt es, dass die erste Einzelausstellung von Patricija Jurksˇaityte in der Bundesrepublik ausgerechnet in Augsburg stattfindet. Und mit der Neuen Galerie wurde der ideale Ort dafür gefunden. Die Künstlerin hat zusammen mit Kurator Dr. Thomas Elsen die Beschaffenheit der Räume für die Präsentation der Werke klug genutzt.
Neben dem Zimmer des letzten Abendmahls findet sich eine schwere, eisenbeschlagene Türe, die wirkt, als könnte man durch sie direkt in den von Da Vinci erdachten Raum gehen. Das Bild eines besonders nichtssagenden Hotelzimmers wird eingerahmt von Steckdosen, Heizungsrohren und noch so allerhand kleine Gerätschaften, die eben in Räumen eine Funktion erfüllen, aber nicht sonderlich schmuck daherkommen. Und unter zwei Bildern, die ihr jeweils vermeintliches Spiegelbild zeigen und im 90˚-Winkel über das Eck gehangen wurden, erinnert das vorhandene Betonpodest an ein weiteres Bett und spielt mit der Wahrnehmung der Besucher.
Kuratorin Asta Vaicˇiulyte erzählte bei der Ausstellungspräsentation, dass sie vor der Pandemie „übersättigt war von Kultur. Aber die monatelange unfreiwillige Diät an Kunst hat meinen Durst danach wieder erweckt, denn ich hatte viel Zeit und Raum zum Denken“. Doch nun sei es an der Zeit, dass die Menschen wieder Zeit und Raum finden, ihre Phantasie zu neuen Blüten zu treiben. In der Neuen Galerie findet sich bis zum 5. Dezember eine gute Möglichkeit dafür.
Ausstellung Unter dem Titel „Shelters // Bleiben“präsentiert Patricija Jurk sˇaityte ihre Arbeiten in der Neuen Galerie im Höhmannhaus in Augsburg; Lauf zeit ist bis 5. Dezember, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.