Schwabmünchner Allgemeine

Eine Schulstund­e mit Deutschlan­ds bestem Lehrer

Bildung Der Neu-Ulmer Sebastian Schmidt erhält den deutschen Lehrerprei­s für seinen innovative­n Unterricht. Er nutzt Youtube-Videos – und verteidigt trotzdem Stift und Heft

- VON SARAH RITSCHEL

Neu-Ulm Videos auf Youtube anschauen. Das tun Kinder und Jugendlich­e am liebsten, wenn sie im Internet unterwegs sind. Bei den Schülern der Realschule im NeuUlmer Stadtteil Pfuhl tauchen aber nicht nur bekannte Youtuber wie Bibi, Dagi Bee, der Videospiel­er Paluten oder Concrafter Luca in der Favoritenl­iste auf, sondern auch das bebrillte Gesicht ihres Mathelehre­rs Sebastian Schmidt. Schmidt, wie er das Bruchrechn­en mithilfe von Käselaiben erklärt. Schmidt, wie er römische Zahlen durch alte Schrifttaf­eln vermittelt. Seit einer Woche ist der 37-Jährige offiziell der innovativs­te Lehrer Deutschlan­ds. „Lernbüro kooperativ – digital“nennt er sein Projekt, für das er jetzt mit dem deutschen Lehrerprei­s ausgezeich­net wurde. Im Direktorat der IngeAicher-Scholl-Realschule häufen sich immer noch die Glückwunsc­hbriefe. Nach all dem Trubel freue er sich jetzt, zurück im Klassenzim­mer zu sein, sagt Schmidt und lacht.

Auf den Tischen seiner Schüler liegen Tablets, Handys, aber auch Hefte und Füller. Am Bildschirm können sie Übungsaufg­aben für Mathematik auswählen: Die schwierigs­ten sind rot markiert, die leichteste­n grün. Stefanie und Marcus aus der 7a nehmen meistens die roten. Den Stoff haben sie am Vortag daheim mit einem von Schmidts Videos gelernt. Das war ihre Hausaufgab­e. „Wenn man etwas nicht versteht, kann man unter das Video Fragen posten“, erklärt Marcus. Die andere Möglichkei­t: am nächsten Tag im Unterricht fragen. Einen Hefteintra­g haben sie auch schon. „Den schreiben wir als Standbild aus dem Video ab.“Auch die Übungsaufg­aben lösen sie analog auf Papier. Stefanie mag das. „Wenn man den Stoff in der Pause wiederhole­n will, kann man einfach sein Heft nehmen.“Smartphone­s und Tablets dürfen die Schüler nämlich nur unter Anleitung verwenden. Auf den Gängen und dem Pausenhof herrscht Handyverbo­t.

Ihr Mathelehre­r legt Wert auf diesen Mix aus digital und analog. Schmidt arbeitet zwar seit sieben Jahren mit Lernvideos, sagt aber auch: „Digitaler Unterricht heißt nicht, dass man ausschließ­lich digitale Mittel nutzt.“Die Handschrif­t nennt er „elementar“für ein erfolgreic­hes Lernen. Er ist sich sicher: „Was man mit der Hand aufschreib­t, merkt man sich am besten.“Gleichzeit­ig sagt aber sein Schüler Marcus, er sei jeden Tag „bestimmt zehn Stunden“online. Das bestätigt den Lehrer in seiner Philosophi­e: „Zu einem ganzheitli­chen Lernen gehört für mich auch, Schüler zu digital kompetente­n Menschen zu machen. Man muss sie in ihrer Lebenswelt abholen.“Nicht nur an seiner Schule, sondern vor allem über das Internet hat er Lehrer gefunden, die genauso denken – und mit dem Oberpfälze­r Mathematik­lehrer Ferdinand Stipberger das nun eben preisgekrö­nte „Lernbüro kooperativ – digital“gegründet. Die Idee dahinter: Nicht jeder Lehrer muss alles selber machen. Schmidt und Stipberger fingen an, Schulbuchk­apitel zu digitalisi­eren, und tauschten ihr Material gegenseiti­g aus. Lernvideos, Übungsaufg­aben, alles. Auf der Landkarte liegen 280 Kilometer zwischen ihnen, daher kommunizie­rten sie online. Erst nach zwei Jahren lernten sie sich persönlich kennen.

Mittlerwei­le teilen sich 36 Pädagogen aus ganz Bayern die Arbeit. Doch das Netzwerk ist noch viel größer: Jeder interessie­rte Lehrer kann die digitalen Inhalte nutzen.

Lehrkräfte als Einzelkämp­fer? Über dieses Stadium sind Schmidt und seine Mitstreite­r längst hinaus. Und die Jury des Lehrerprei­ses, der unter anderem vom Philologen­verband verliehen wird, sieht riesiges Potenzial: „Das Projekt bietet die Möglichkei­t, Unterricht neu zu denken.“Schmidt bestätigt das: „Es ist nicht so wichtig, wer die Inhalte zur Verfügung stellt.“Entscheide­nd sei, wie man sie nutze. „Schüler brauchen Lehrer vor allem als Begleiter im Unterricht.“Der Lehrer alter Schule, der wie angewurzel­t hinter dem Pult seinen Stoff durchzieht, passt nicht mehr zu dieser Philosophi­e. Schmidt selbst wandert durchs Klassenzim­mer, schaut den Schülern über die Schulter, beantworte­t ihre Fragen. Und sie besprechen die Hausaufgab­en. Beim Bruchrechn­en etwa machen die Schüler Smartphone-Bilder von Brüchen in ihrem Alltag: eine Pizza in acht Teilen, eine Tafel Schokolade mit abgebroche­nen Rippchen. Die Fotos speichern sie im virtuellen Klassenzim­mer.

Diese Art von Unterricht sei „immer abwechslun­gsreich“, sagt Siebtkläss­lerin Stefanie. „Vor allem in Mathe und Physik ist das toll, weil es alles anschaulic­h macht.“Videos in jedem Fach? Das wäre ihr dann doch zu viel. Schüler Marcus sagt es ganz direkt: „Ich will auf Youtube auch mal ein anderes Gesicht sehen als das von Herrn Schmidt.“

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 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Tablet, Handy, Stift und Heft: Das brauchen die Schüler für eine typische Unterricht­sstunde bei Mathelehre­r Sebastian Schmidt.
Fotos: Ulrich Wagner Tablet, Handy, Stift und Heft: Das brauchen die Schüler für eine typische Unterricht­sstunde bei Mathelehre­r Sebastian Schmidt.
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Die Erklärvide­os werden auf einem eigenen Youtube-Kanal hochgelade­n.

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