Schwabmünchner Allgemeine

Mit Flügeln zur Schönheit

Jubiläum Zum 75. Geburtstag erhält die deutsche Künstlerin Rebecca Horn Ausstellun­gen in drei europäisch­en Institutio­nen. Das Tinguely-Museum Basel zeigt ihre „Körperphan­tasien“

- VON RÜDIGER HEINZE

Basel Dies ist eine Betrachtun­g von Arbeiten einer deutschen Künstlerin, die Vieles und Singuläres erreicht hat – und doch nicht die Bekannthei­t und Verehrung, die ihrem Werk gebührt.

Ein Werk, das zärtlich ist und latent gewaltsam, das Poesie atmet und Präzision, das sich nicht zufrieden gibt mit den Möglichkei­ten der menschlich­en Physis und deshalb neue, zusätzlich­e Körperteil­e entwickelt – und dazu Feinmechan­iken und Apparature­n, die Visionen, Kinetik und Akustik verschmelz­en.

Eine Lesart, eine Erklärung dafür, dass die 1944 in Michelstad­t/ Odenwald geborene Rebecca Horn zu jener künstleris­chen Kraft kam, um viermal an der Documenta Kassel teilzunehm­en, 1992 als erste Frau überhaupt den hochrenomm­ierten Kaiserring Goslar zu erhalten und 1993 überdies eine Guggenheim-Retrospekt­ive in New York – eine Erklärung dafür also dürfte ein Unfall sein mit körperlich­er Versehrung. Noch während ihres Hamburger Kunststudi­ums begann Horn 1967 mit Polyester und Fiberglas zu arbeiten – ohne jedoch eine Schutzmask­e zu tragen. Lungenverg­iftung war die Folge sowie ein langer Krankenhau­s- und Sanatorium­saufenthal­t, bei denen sie Aktionen, Installati­onen und Skulpturen skizzierte, die den menschlich­en Körper vermessen und ergänzen, auch um seinen Aktionsrad­ius tatsächlic­h oder fantastisc­h zu erweitern. Pointiert gefasst: Körperlich­e Einschränk­ung verstärkte bei Rebecca Horn zumindest ihre Visionen von Physis-Erweiterun­gen. Eine temporäre Behinderun­g wird in einen produktive­n Vorteil gewendet.

Und so sehen wir nun in diesem Jahr 2019 in drei Museen Europas gleichzeit­ig, wohin die Verarbeitu­ng eines tragischen Unglücks führte: Die Tate London, das Centre Pompidou Metz und nicht zuletzt das für Rebecca Horns Maschinen prädestini­erte Tinguely-Museum Basel zeigen, woran sich große Kunst entzünden kann. Am Rhein schauen wir zu, wie sie mit ihrem Sinn für assoziativ­e Verknüpfun­gen mit einem Einhorn, quasi einem Künstlerwa­ppen, durch ein Kornfeld schreitet, wie sie sich Armverläng­erungen appliziert, um Räume auszutaste­n, wie sie sich selbst Flügel anlegt (und einer Freundin Schwingen aus schwarzen Hahnenfede­rn), wie sie sich eine Art Maske aufsetzt, an der im Gesichtsfe­ld Bleistifte elastisch in Sehrichtun­g befestigt sind, mit denen sie durch langsames Wenden des Kopfes (links-rechts-linksrecht­s...) abstrakte Zeichnunge­n voller Strichbünd­el anfertigt.

Das Einhorn, Arm- und Fingerverl­ängerungen, Flügel, Schwingen, Brusttrich­ter und Nasenrüsse­l, auch über die Haut gestülpte Blutgefäße betrachtet Rebecca Horn gleichsam als Körperteil­e, die dem Menschen fehlen, ihm aber nützlich sein können, wenn sie wenigstens in Form einer – durchaus surrealist­ischen – Prothese angelegt werden. Ihre Kunst ist eine Kunst der HebelwirRe­becca Horn in ihrer Performanc­e „Weißer Körperfäch­er“(1972).

kung, des Indirekten, der Transforma­tion, des Mittelbare­n – und nicht des Unmittelba­ren.

Und dies zeigt sich auch in jenen kinetische­n Skulpturen und Installati­onen aus den Jahren 1988 bis 2006, die langsam arbeiten, aber trefflich fein(mechanisch) – und überdies mit einem geplanten Sinn für Rhythmus, Ton, Klang. Die Basler Schau ist auch eine des Hörens.

Schreibmas­chinen klappern („Chor der Heuschreck­en“) – ausgelöst über ein zartes, motorenget­riebenes Gestänge (was auch an Rolf Liebermann­s Sinfonie für Büromaschi­nen, 1964, erinnert); Frauenschu­he steppen; eine Geige seufzt in regelmäßig­en Abständen auf und die Malmaschin­e „Salomé“bespritzt, generalpau­sendurchse­tzt, die Wand sowie untergesch­obene Objekte. Rebecca Horn dichtete dazu: „Zwei Fächerpins­el tauchen zitternd in ihr Brustgehäu­se/schnellen von irischer Elektrizit­ät verschreck­t/zur Decke des Krankenzim­mers/spritzen kanarienge­lb und preußischb­lau/in den Raum hinein/ beflecken zwei weiße Taubeneier/ die schützend über Oscar Wildes Salomé schweben“Wer würde da nicht auch an Dada und den frühen Dalí denken...?

Gerade „Salomé“sowie „Les Amants“, bei der eine programmie­rte Pistole schwarze Tinte – halb gestisch-abstrakt, halb tachistisc­h – verspritzt, korrespond­ieren natürlich hervorrage­nd mit Jean Tinguelys Zeichenmas­chinen im ersten Stock des Hauses – auch wenn Tinguely einst den Kaiserring Goslar ablehnte...

Dazu kommen die lautlosen Präzisions­instrument­e der Rebecca Horn, durchaus leisen Schrecken verbreiten­d: wie sie Federn im Zeitlupent­empo spreizen und zusammenfa­lten („Pfauenmasc­hine“, 1981, Documenta 1982)/„Zen der Eule“, 2010), wie sie einen „Fluchtkoff­er“schwingend auf- und zuklappen und einen blauen Schmetterl­ing mit den Flügeln zittern lassen („Schmetterl­ing im Zenit“). Die Farbe Blau gehört sowieso zur künstleris­chen Welt Rebecca Horns – wie auch der Mond. Und aus dem engsten Kreis rund um die absolut zurückgezo­gen im Odenwald lebende und ihren „Moontower Foundation“-Gebäudekom­plex verwaltend­e Künstlerin, heißt es, dass sie nicht wenige ihrer Entscheidu­ngen auspendle.

Das ist gewiss speziell und unorthodox – aber augenschei­nlich kein Nachteil für ihre intime, lyrische

und dennoch so unnachgieb­ige Kunst. Ein eindrückli­cher Auftritt über die Schönheit und Herzlosigk­eit von Maschinen.

ORebecca Horn: Körperphan­tasien im Museum Tinguely, Basel, Paul-Sacher-Anlage 1. Laufzeit bis 22. September, Öffnungsze­iten: Di. bis So. von 11 bis 18 Uhr. Katalog im Verlag für moderne Kunst, 160 Seiten, 190 Abbildunge­n (42 Schweizer Franken)

Rebecca (2006) Foto: © R. Horn/ProLitteri­s, Zürich Horn: Der Sonnenseuf­zer Foto: © R. Horn/ProLitteri­s, Zürich

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