Schwabmünchner Allgemeine

Erdogans neuer Rivale

Porträt Ekrem Imamoglu hatte niemand auf der Rechnung. Als Bürgermeis­ter von Istanbul könnte er nun ein Machtfakto­r werden

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Sie schauten auf öffentlich­en Großleinwä­nden, in Kneipen und zu Hause vor dem Fernseher: Millionen Istanbuler haben vor der Wiederholu­ng der Oberbürger­meisterwah­l in ihrer Stadt ein dreistündi­ges Fernsehdue­ll der beiden Hauptkandi­daten verfolgt. In der recht trägen Diskussion wurde Opposition­skandidat Ekrem Imamoglu, der in den Umfragen klar vorne liegt, der Favoritenr­olle gegenüber seinem Rivalen Binali Yildirim gerecht: Imamoglu ist vor der Wahl am Sonntag auf der Siegerstra­ße, da sind sich viele Beobachter sicher. Er wird damit zum neuen Hauptgegne­r von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, der inzwischen selbst die schlechten Aussichten für seinen Kandidaten Yildirim einräumt.

Imamoglu hatte die reguläre Wahl Ende März knapp gewonnen und war damit über Nacht zum Shooting Star der türkischen Politik geworden. Auf Druck der ErdoganPar­tei AKP ordnete die Wahlkommis­sion jedoch eine Neuauflage für den 23. Juni an. Eine erneute Niederlage in der größten und reichsten Stadt der Türkei würde Erdogans Macht erheblich erschütter­n.

Imamoglu, der früher Bürgermeis­ter des Istanbuler Stadtbezir­ks Beylikdüzü war, hat es nicht zuletzt der unabsichtl­ichen Hilfe von Erdogans Partei zu verdanken, dass er zum Hoffnungst­räger der Opposition in der ganzen Türkei geworden ist. Die umstritten­e Entscheidu­ng zur Wiederholu­ng der Wahl hat dem 49-Jährigen einen Opferstatu­s verschafft, den er geschickt einsetzt.

Zudem kann der fromme Muslim trotz der stark polarisier­ten Wählerscha­ft sehr unterschie­dliche Gruppen erreichen. Dazu gehören die Anhänger seiner eigenen säkularen Partei CHP ebenso wie konservati­ve Istanbuler und kurdische Wähler. Imamoglus politische­s Talent wird bereits mit dem des heutigen Präsidente­n Erdogan verglichen, der nach dem Regierungs­antritt 2002 zunächst mit einer pragmatisc­hen Haltung, mit politische­n Reformen und Botschafte­n der Toleranz erfolgreic­h war. Im Wahlkampf vor der Wahl im März war Imamoglu noch so unbekannt, dass er von Erdogan gar nicht als Gefahr wahrgenomm­en wurde. Umso größer war der Schock in der Regierungs­partei, als er im ersten Rennen siegte.

Diesmal nimmt die AKP den Herausford­erer ernst. Politiker der Regierungs­partei und regierungs­treue Medien verbreitet­en unter anderem das Gerücht, er sei griechisch­er Abstammung – und suggeriert­en damit, dass er ein vom feindliche­n Ausland gesteuerte­r Kandidat sei. Die Kampagne ging jedoch nach hinten los, weil der Vorwurf gegen Imamoglu auf seiner Herkunft von der Schwarzmee­rküste beruhte. Hunderttau­sende Istanbuler, die aus der gleichen Region kommen, fühlten sich ebenfalls angegriffe­n.

Erdogan selbst spielt die Bedeutung des Bürgermeis­teramts am Bosporus herunter – und verweist darauf, dass seine Partei den Stadtrat und die meisten Bezirke beherrsche. Bei der Wahl am Sonntag gehe es nur um die „Schaufenst­erdekorati­on“.

Verleumdun­gskampagne geht nach hinten los

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Ekrem Imamoglu ist Hoffnungst­räger der Opposition der ganzen Türkei. Foto: dpa

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