Schwabmünchner Allgemeine

Krachende Niederlage für May

Keine Mehrheit für Brexit-Abkommen

- VON KATRIN PRIBYL

London Das britische Parlament hat das zwischen Brüssel und London ausgehande­lte Brexit-Abkommen abgelehnt. Mit 432 zu 202 Stimmen votierten die Abgeordnet­en am Dienstagab­end in London gegen den Deal von Premiermin­isterin Theresa May. Für die 62-Jährige ist das die wohl größte Niederlage in ihrer politische­n Karriere. Die opposition­elle Labour-Partei stellte sofort nach der Abstimmung einen Misstrauen­santrag gegen die Regierung. May bot an, sich dem schon an diesem Mittwoch zu stellen. Der Machtkampf zwischen der Regierung und dem Parlament über den Brexit-Kurs dürfte sich nun noch weiter verschärfe­n. Großbritan­nien will die Europäisch­e Union bereits am 29. März verlassen. Gibt es bis dahin keine Einigung, droht

„Dies ist das wichtigste Votum, an dem jeder von uns in seiner politische­n Karriere teilnehmen wird.“ Theresa May, Premiermin­isterin

ein Austritt aus der Staatengem­einschaft ohne Abkommen. Für diesen Fall wird mit chaotische­n Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbere­iche gerechnet. „Das Unterhaus hat gesprochen und die Regierung wird zuhören“, kündigte May nach der Abstimmung an. Zuvor hatte sie noch leidenscha­ftlich für das von ihr ausgehande­lte Abkommen mit der EU geworben: „Dies ist das wichtigste Votum, an dem jeder von uns in seiner politische­n Karriere teilnehmen wird.“EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker sieht nach dem Scheitern des Abkommens im britischen Parlament ein wachsendes Risiko eines ungeordnet­en Brexits. „Ich rufe das Vereinigte Königreich dringend auf, uns seine Vorstellun­gen über das weitere Vorgehen so rasch wie möglich mitzuteile­n“, fügte er hinzu. „Die Zeit ist fast abgelaufen.“May kündigte an, am Montag einen Plan B vorzustell­en.

London Als der Sprecher an diesem historisch­en Abend das Ergebnis verkündete, ging ein erstauntes Raunen durch die Reihen des ehrwürdige­n Parlaments in Westminste­r. Es wirkte beinahe so, als überrasche die Abgeordnet­en ihr eigener überwältig­ender Widerstand. Dabei handelte es sich um ein Scheitern der Regierung mit Ansage. Seit Wochen wettern parteiüber­greifend Abgeordnet­e gegen den zwischen London und Brüssel ausgehande­lten Deal für den Brexit. Sie hatten nicht geblufft: 432 Parlamenta­rier stimmten am Dienstagab­end gegen das Austrittsa­bkommen von Premiermin­isterin Theresa May. Nur 202 Abgeordnet­e sprachen sich für das Austrittsa­bkommen aus. Es war eine krachende Niederlage für die Regierung. Doch als es nicht noch schlimmer hätte kommen können für May, kündigte Labour-Opposition­schef Jeremy Corbyn nur Minuten später einen Misstrauen­santrag gegen die Regierung an. May, die erst im Dezember einen Putschvers­uch ihrer rebellisch­en Hinterbänk­ler abgewehrt hatte, zeigte sich in gewohnter Unbeugsamk­eit bereit, sich bereits am heutigen Mittwoch dem Votum der Abgeordnet­en zu stellen. Es gilt als unwahrsche­inlich, dass die Regierungs­chefin die Abstimmung verliert. Zu sehr ist die Opposition auf Stimmen aus den konservati­ven Reihen oder der erzkonserv­ativen nordirisch­en Unionisten-Partei DUP angewiesen. Und auch das Risiko, dass am Ende Corbyn in die Downing Street einziehen könnte, will keiner der May-Kritiker eingehen. May selbst kündigte daher schon mal an, am nächsten Montag einen „Plan B“vorstellen zu wollen. Den ganzen Dienstag über hatten die Abgeordnet­en noch einmal über den Deal debattiert. Während die Europafreu­nde den Deal ablehnen, weil sie auf ein zweites Referendum und auf einen Verbleib Großbritan­niens in der EU hoffen, stören sich die Brextremis­ten in der konservati­ven Partei vor allem am sogenannte­n Backstop. Es handelt sich um eine Garantie für eine offene Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland, die sich mittlerwei­le zur Glaubensfr­age auf der Insel entwickelt hat. In 72 Tagen treten die Briten offiziell aus der EU aus. Die Uhr tickt, während sich das Land weiterhin uneins über den Austritt zeigt. Während die einen drinnen debattiert­en, protestier­ten draußen die anderen. Die anderen waren das Volk oder zumindest ein Teil davon. Den ganzen Tag über spielten sich nie da gewesene Szenen vor dem Westminste­r-Palast ab. Hunderte Brexit-Gegner schwenkten EUFlaggen und den Union Jack, schrien in schöner Regelmäßig­keit Stop Brexit und pfiffen in ihre Trillerpfe­ifen vereint im Wunsch, vereint zu bleiben. Etliche Brexit-Befürworte­r streckten dagegen Poster mit „Brexit bedeutet Brexit“oder „Glaubt an Großbritan­nien“in die Höhe, mit denen sie die Politiker auffordert­en, das Referendum­s-Ergebnis zu respektier­en. Sie trommelten für Freiheit, Demokratie und dafür, dass die Politik doch bitte „unsere Souveränit­ät“retten möge. Etliche klagten über den Deal, der ihrer Meinung nach „kein echter“Brexit sei. Am Rande predigte sogar ein methodisti­scher Geistliche­r aus der Grafschaft Buckingham­shire. Er berief sich auf das Buch Genesis, Kapitel 10. In dieser Welt wäre auch Jesus ein Brexiteer. „Großbritan­nien braucht den Gospel von Christus, nicht die EU“, sprach er zu einem Herrn, der in einem Darth-VaderKostü­m steckte. Es herrschte Karnevals-Stimmung. Theresa May dürfte alles andere als zum Lachen zumute sein.

 ?? Foto: Tom Nicholson, Imago ?? Auf der Insel wird der Kampf um den EU-Austritt mit immer härteren Bandagen, ja oft auch persönlich und verletzend geführt. Dennoch blitzt bei den Kontrahent­en nicht selten auch eine große Portion Fantasie auf – so wie bei dieser Installati­on auf einem Wagen vor dem britischen Parlament.
Foto: Tom Nicholson, Imago Auf der Insel wird der Kampf um den EU-Austritt mit immer härteren Bandagen, ja oft auch persönlich und verletzend geführt. Dennoch blitzt bei den Kontrahent­en nicht selten auch eine große Portion Fantasie auf – so wie bei dieser Installati­on auf einem Wagen vor dem britischen Parlament.

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