Schwabmünchner Allgemeine

Der Wasserturm am Oblatterwa­ll

Trinkwasse­r Der Turm ist ein Relikt historisch­er Trinkwasse­rförderung. Von dort wurde bis 1879 das Krankenhau­s versorgt

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg Der weit gereiste französisc­he Philosoph Michel Eyquem de Montaigne verbrachte im Jahre 1580 mehrere Tage in der Reichsstad­t Augsburg. Seine Beobachtun­gen hielt er in einer Reisebesch­reibung fest. Sie beginnt mit den ersten Eindrücken am Roten Tor. Die Übersetzun­g: „An dem Stadttor, durch das wir eingezogen waren, bemerkten wir unter der Brücke eine große Wasserleit­ung. Diese Leitung dient dazu, eine bestimmte Anzahl Räder zu treiben, die mehrere Pumpen in Bewegung setzen und durch zwei Bleiröhren das Wasser eines Brunnens, der dort sehr tief liegt, auf die Höhe eines mindestens 50 Fuß hohen Turmes zu heben. Hier ergießt sich das Wasser in einen großen Behälter, sinkt in verschiede­nen Röhren wieder hinunter und verteilt sich von da in die Stadt, die durch dieses eine Kunstmitte­l mit Brunnen reich versehen ist.“

Der Bildungsre­isende Montaigne war wissbegier­ig. Er bekam anno 1580 eine Führung in den Wassertürm­en beim Roten Tor. Sie waren Vorzeigeob­jekte. Man zeigte in der Reichsstad­t Augsburg Reisenden gerne technische Errungensc­haften, an vorderster Stelle die Versorgung mit Trinkwasse­r aus einem Rohrnetz. Ohne leistungsf­ähige wassertech­nische Anlagen wären die über die Stadt verteilten Fließwasse­rbrunnen nicht möglich gewesen: Wasserkraf­t ließ Wasser plätschern! Wasserräde­r waren die Motoren für die Pumpen. Neben Muskelkraf­t stand jahrhunder­telang nur Wasserkraf­t für mechanisch­e Antriebe zur Verfügung.

Mit dem, was der weit gereiste Michel de Montaigne vor 437 Jahren bewunderte, versucht derzeit Augsburg die Welterbe-Juroren der UNESCO zu beeindruck­en: mit der Einmaligke­it des Umgangs mit Wasser und mit der Nutzung von Wasser. Augsburg hat auf diesem Sektor heute sehr viel mehr zu bieten als zu Montaignes Zeiten: Den einstigen Wasserturm am Oblatterwa­ll zum Beispiel gab es bei seinem Besuch anno 1580 noch nicht!

Elias Holl erbaute ihn anno 1609. Der Stadtwerkm­eister errichtete damals zwei Wassertürm­e für die Jakobervor­stadt: das „Obere Jakoberbru­nnenwerk“und das „Untere Jakoberbru­nnenwerk“. Der Wasserturm beim Oblatterwa­ll an der Kahnfahrt war das „untere“Wasserwerk. Den Turm gibt es noch. Den Zwillingsb­ruder beim Jakobertor zerstörte im Februar 1944 ein Bombenvoll­treffer. Von beiden Türmen sind Außenansic­hten und Beschreibu­ngen der technische­n Ausstattun­g erhalten.

Eine Trinkwasse­r-Dokumentat­ion von 1875 liefert die letzten technische­n Daten. Bis zur Stilllegun­g 1879 nutzte ein Wasserrad mit fünf Meter Durchmesse­r und 66 Zentimeter Schaufelbr­eite 1,42 Meter Wassergefä­lle zwischen dem Stadtgrabe­n vor dem Fünfgradtu­rm und der Kahnfahrt um den Oblatterwa­ll. Das Wasserrad war der Motor für eine Pumpe mit drei Zylindern. Die Leistung war mit 9,46 PS berechnet. Die Pumpe drückte pro Minute 180 Liter Wasser 15,35 Meter hoch in einen Behälter im obersten Turmgescho­ss.

Von dort aus floss das Wasser mit Eigendruck in ein etwa 1800 Meter langes Verteilnet­z aus Holzdeiche­ln (ausgebohrt­e Kiefernstä­mme) in die nördliche Jakobervor­stadt. Bis 1879 wurde aus diesem Wasserturm das 1859 fertiggest­ellte Krankenhau­s mit Trink- und Brauchwass­er beliefert. Ab 1. Oktober 1879 wurde die gesamte Stadt mit bestem Trinkwasse­r aus dem neuen Wasserwerk am Hochablass beliefert. Nach und nach wurde an und in den stillgeleg­ten innerstädt­ischen Brunnentür­men die Wasserförd­ertechnik abgebaut. Das ebenfalls 1609 fertiggest­ellte gleicharti­ge „Obere Jakoberbru­nnenwerk“stand etwa 60 Meter vom Jakobertor entfernt am Stadtgrabe­n. Hier war ein Wassergefä­lle von 114 Zentimeter­n nutzbar. Das Wasserrad erbrachte 10,5 PS Leistung. Die vom unterschlä­chtigen Holzrad mit 19 Umdrehunge­n pro Minute angetriebe­ne Pumpe förderte pro Minute 318 Liter in ein Reservoir im obersten Turmgescho­ss. Die Förderhöhe betrug 16,5 Meter. Über ein 2300 Meter langes Netz aus Holzrohren wurde der südliche Teil der Jakobervor­stadt einschließ­lich der Fuggerei mit Trinkwasse­r versorgt. Die Wasserqual­ität aus beiden Türmen sei derart schlecht, „dass ernste hygienisch­e und ästhetisch­e Bedenken gegen ein fernere Benutzung erhoben werden müssen“, hieß es im Untersuchu­ngsbericht von 1875.

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 ??  ?? Kahnfahrt und Wasserturm anno 1868. Der freigelegt­e Turm ist noch nicht von seinen Anbauten befreit. Sie sind vermutlich bewohnt.
Kahnfahrt und Wasserturm anno 1868. Der freigelegt­e Turm ist noch nicht von seinen Anbauten befreit. Sie sind vermutlich bewohnt.
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Fotos: Sammlung Häussler Im Jahr 1867 wurde die Stadtmauer zu beiden Seiten des Wasserturm­s abgebroche­n. Wasser wurde darin bis 1879 gefördert.
 ??  ?? Der einstige Wasserturm an der Kahnfahrt bekam bei der jüngsten Restaurier­ung wieder jene Außenfarbe­n, die Elias Holl beim Neubau 1609 verwendet hatte.
Der einstige Wasserturm an der Kahnfahrt bekam bei der jüngsten Restaurier­ung wieder jene Außenfarbe­n, die Elias Holl beim Neubau 1609 verwendet hatte.
 ?? Foto: Kunstsamml­ungen ?? Caspar Walter zeichnete 1760 den Wasserturm.
Foto: Kunstsamml­ungen Caspar Walter zeichnete 1760 den Wasserturm.

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