Spielmacher oder trotziges Kind?
Im Viertelfinale gegen Uruguay wird sich zeigen, ob Spieler wie Paul Pogba stabil genug sind, um Frankreich das erste Mal nach 1998 wieder zu einem WM-Titel zu tragen
Kasan Der Équipe Tricolore scheint die geringe Anwesenheit von Landsleuten auf der Russland-Reise nicht zu schaden, denn das Ensemble von Trainer Didier Deschamps kann nach dem Achtelfinale gegen Argentinien (4:3) nun im Viertelfinale gegen Uruguay in Nischni Nowgorod am Freitag die nächsten südamerikanische Delegation auf die Heimreise schicken.
Und spätestens seit der Torgala von Kasan schreiben Beobachter den Franzosen ein titelreifes Fundament zu. Die Forderung von Deschamps, der vor dem ersten Auftritt gegen Australien fast flehentlich darum bat, dass sich „kollektive Energie mit individueller Qualität“ seinem Kader zu einem erfolgversprechenden Gemisch verbinden möge, scheint befolgt. Was mit einem Spieler zu tun hatte, der hinter dem so unglaublich rasanten Superstar Kylian Mbappé dem ganzen Gebilde nicht nur die Stabilität, sondern auch die Inspiration gab.
Wann hat Paul Pogba zuletzt ein so starkes Länderspiel gemacht? Selbst langjährige Berichterstatter vom Fachblatt L’Équipe kratzten sich am Kopf, weil sie sich beim 57-fachen Auswahlspieler nicht erinnern konnten. Trotz seiner 1,91 Meter machte Pogba – übrigens auch in einer sehr wechselhaften Saison bei Manchester United – doch viel zu selten den Unterschied. Tauchte ab statt auf. Und plötzlich die Wende: Fast in allen Fachblät- tern war Pogba mit Mbappé der Notenbeste. Der Mann, der pathetisch bekannt hatte, der „Patron“sein und dafür „sein Herz“geben zu wollen, ging wirklich voran. Vor der WM bei einem Testspiel in Nizza war beim Publikum trotz eines 3:1-Sieges gegen Italien mehr als nur Grummeln vernehmbar. Vielen Zuschauern hatte mal wieder die Körpersprache der Nummer sechs nicht gefallen, die irgendwo zwischen protzig-trotzig und arrogantangeberisch wirkte. Das alte Thema: Dem als Sohn guineischer Eltern in Roissy-en-Brie, einer Gemeinde im Pariser Ballungsraum, aufgewachsenen Fußballer haftet der Makel der Selbstüberschätzung an.
Es gehört zu den Wesenszügen eines selbst ernannten Anführers, dass er nach dem Achtelfinale die Leistung nicht kleinredete. Der 25-Jährige verkündete fast großspurig: „Was wir gemacht haben, was wir gezeigt haben – mental, physisch, technisch –, ist einer großen Mannschaft Frankreichs würdig. Wir haben Frankreich zum Vibrieren gebracht.“Es war „Krake“Pogba, der mit seinen langen Tentakeln dem Gegner die Bälle stibitzte und sie dann auf eine noch längere Reise schickte, bis sie Mbappé fast am gegnerischen Strafraum empfing.
So entstand der frühe Elfmeter, den Antoine Griezmann verwandelin te. Zusammen mit dem bärenstarken, weil noch ballsichereren N’golo Kanté gab Pogba das Kraftzentrum eines Geheimfavoriten, der dummerweise gegen die zähen Urus seine gerade eingespielte Statik zwischen Mittelfeld und Angriff wieder verändern muss: Mit dem gesperrten Blaise Matuidi bricht ein wichtiger Faktor heraus, der Aufgaben in Offensive und Defensive geschickt zu verzahnen weiß. Pogba selbst ist an guten Tagen ein Prototyp des kampf-, lauf- und spielstarken Alleskönners, weswegen Manchester United 2017 105 Millionen Euro ausgab, um einen in jungen Jahren selbst ausgebildeten Mittelfeldspieler zurückzuholen. Und doch wirkt er manchmal wie einer, der noch sein inneres Gleichgewicht sucht.
Pogba haftet der Makel der Selbstüberschätzung an