Vorschläge gegen volle Notaufnahmen
Das System krankt. Ein Sachverständigenrat stellt Reformideen vor. Es geht auch um fehlende Landärzte und digitale Angebote. Sollen Patienten ohne Überweisung Gebühren zahlen?
Die Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser sind chronisch überlastet. Auch im Klinikum Augsburg, Schwabens größtem Krankenhaus, kommt es immer wieder zu Patientenklagen. Auf der anderen Seite leiden Ärzte unter den Aggressionen unzufriedener Patienten. Das deutsche Gesundheitssystem ist reformbedürftig. Neben den übervollen Notaufnahmen fehlen auf dem Land Praxen und Kassenpatienten müssen auf Facharzt-Termine lange warten.
Das Bundesgesundheitsministerium hat daher ein Beratergremium eingeschaltet. Dieser Sachverständigenrat empfiehlt eine Neuorganisation des Gesundheitsangebots. Trotz vieler Reformen gebe es im System weiter Über-, Unter- und Fehlversorgung, sagte der Chef des Gremiums, Ferdinand Gerlach, bei der Vorstellung des Gutachtens. Patienten sollten besser informiert und durch das komplexe Gesundheitswesen gelotst werden.
„Vor allem Kliniken und Praxen, zwischen denen eine unsichtbare Mauer verläuft, arbeiten eher nebeneinander als im Interesse des Patienten miteinander“, heißt es im Gutachten. Eine große Rolle sollten künftig Hausärzte und neue zentrale Stellen spielen, die Patienten zu Pra- xen oder Notaufnahmen leiten. Das sind die Vorschläge der Experten:
● Die Planung, welche Praxen wo gebraucht werden, sollte sich weniger an der Anzahl der Ärzte, sondern am tatsächlichen Angebot und den ärztlichen Arbeitsstunden orientieren. Es solle unterbunden werden, dass Praxen in begehrten Gebieten zu weit überzogenen Preisen verkauft werden. Wo sich ein Mangel abzeichnet, weil Ärzte aufhören, sollten Nachbesetzungen fünf Jahre vor der voraussichtlichen Praxisaufgabe geklärt werden. Als Anreiz für dünn besiedelte Regionen mit weniger Patienten könnten „Landarztzuschläge“von bis zu 50 Prozent auf die Vergütung dienen.
● Schon lange ist es ein vertracktes Problem, wie Patienten gezielter in die verschiedenen Gesundheits-Anlaufstellen verteilt werden können. Besser wäre, dass Patienten immer erst zum Hausarzt gehen, der auch weitere Überweisungen zu Fachärzten oder ins Krankenhaus koordinieren kann. Als Anreiz sollten alle Kassen ihren Versicherten vergünstigte Wahltarife für Hausarzt-Modelle anbieten. Als „Plan B“, falls andere Steuerungsinstrumente nicht grei- fen, schlagen die Experten erneut vor, eine „Kontaktgebühr“zu prüfen – zu zahlen, wenn Patienten ohne Überweisung zum Facharzt gehen.
● Um sich im komplizierten System besser zurechtzufinden, brauchen Patienten mehr Informationen. Die Experten schlagen ein „nationales Gesundheitsportal“und mehr Gesundheitsbildung in der Schule vor. Künftige digitale Angebote wie elektronische Patientenakten müssten nutzerfreundlich sein – gerade auch für ältere Menschen.
● Angesichts der überfüllten Notaufnahmen schlagen die Sachverständigen vor, dass alle Bürger künftig rund um die Uhr „Integrierte Leitstellen“anrufen können. Die legen dann den Versorgungspfad fest – vom Notarzt mit Blaulicht bis zum Hausbesuch des Bereitschaftsarztes. Können akut behandlungsbedürftige Patienten noch gehen, sollen sie kurzfristig einen Termin in einer Praxis oder ei- nem „Integrierten Notfallzentrum“einer Klinik bekommen. Dort wird an einem zentralen Empfang entschieden, ob sie ein niedergelassener Arzt oder ein spezialisierter Klinikarzt weiterbehandelt.
● Statt an der Bettenzahl sollte sich die Planung der knapp 2000 Kliniken mehr an den vorgesehenen Leistungen orientieren. Stärker einzubeziehen seien auch die Alterung der Gesellschaft und die Entwicklung von Patientenwünschen. Für den Umbau des Angebots mit stärkerer Zentralisierung und Spezialisierung von Kliniken sollte der Bund Steuergeld geben. Vor Eingriffen, die für Kliniken sehr lukrativ sind, sollte immer erst eine zweite Arztmeinung eingeholt werden. Bei der Entlassung sollten Patienten Medikamente für bis zu einer Woche mitbekommen können.
Gesundheitsminister Spahn lobt die Vorschläge
CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn hob die Vorschläge für die Notfallversorgung hervor, die auf neue Füße gestellt werden müsse. Ambulante und stationäre Versorgung sollten „an einem Tresen“organisiert werden. Der Aufbau von Leitstellen und „Integrierten Notfallzentren“sei schon im Koalitionsvertrag vereinbart worden.