Ein Kompromiss mit Fragezeichen
Die Union will Flüchtlinge künftig in einer Art Niemandsland im Grenzgebiet zu Österreich festhalten. Doch es gibt Zweifel, ob die Pläne juristisch haltbar sind. Und auch der Sinn der Maßnahme steht infrage
Und plötzlich scheint alles ganz schnell zu gehen: Transitzentren sind es, die den ultimativen Bruch zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU verhindern sollen. Was aber verbirgt sich hinter dieser Einrichtung? Was sagt Österreich? Und wo liegt der Unterschied zu den Ankerzentren?
Worauf haben sich CDU und CSU geeinigt?
Das Wort klingt vertraut: Transitzentren sollen das fehlende Puzzleteil im Asylstreit innerhalb der Union bilden. Diese Einrichtungen waren schon einmal im Gespräch, als die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 ihren Höhepunkt erreichte. Allerdings sollten damals alle Flüchtlinge in solchen Zentren untergebracht werden und auch die Flüchtlingszahlen waren deutlich höher als heute. Verhindert wurden die Zentren vor drei Jahren übrigens von der SPD – Sigmar Gabriel legte Widerspruch ein.
Wie sehen die bislang bekannten Details des Seehofer-Planes aus?
An der österreichischen Grenze sollen Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise gehindert werden. Sie sollen in Transitzentren kommen, aus denen die Asylbewerber direkt zurückgewiesen werden. „Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen“, heißt es im Kompromisspapier. Wenn Länder sich einer Rücknahme verweigern, soll „die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich“stattfinden.
Es ist von „Fiktion der Nichteinreise“die Rede – was bedeutet das?
Im Aufenthaltsgesetz heißt es: „Der Ausländer hat eine Grenzübergangsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollstationen der Grenzpolizei und des Zolls, so weit an den EUAußengrenzen vorhanden, hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann.“Anders gesagt: Wer in einem Transitzentrum untergebracht ist, ist noch nicht nach Deutschland eingereist – zumindest theoretisch. Ein ähnliches Verfahren gibt es an Flughäfen. Auch dort können Menschen an der Einreise gehindert und festgehalten werden, wenn ihr Aufenthalt in Deutschland illegal wäre. Sie werden dort in geschlossenen Transitzonen unter Aufsicht der Grenzkontrollbehörden untergebracht und gelten als noch nicht eingereist.
Was sagt die Polizei zum Vorhaben?
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält die Pläne für eine Luftnummer und argumentiert juristisch. „An der Binnengrenze ist die Einreise mit Überschreiten der Grenzlinie vollzogen, es kann dort keinen Transitbereich geben“, urteilt GdP-Vize Jörg Radek. Die bislang nur für das Flughafenverfahren geltenden Regeln ließen sich nicht einfach auf eine Landesgrenze innerhalb der EU übertragen, meint er. Auch Österreichs Innenministerin Karin Kneissl hat rechtliche Bedenken. Die „Fiktion einer Nichteinreise“nach Deutschland bezeichnet sie als „eine Fiktion, mit der ich als Juristin nicht ganz zurechtkomme“. Denn: „Wer auf deutsches Staatsgebiet eingereist ist, ist dort.“
Was sagen die Österreicher als direkt Betroffene überhaupt zu den Plänen der deutschen Regierung?
Damit der Plan aufgeht, muss zunächst ein Abkommen mit Österreich ausgehandelt werden. In Wien zeigt man sich zurückhaltend – gibt aber auch zu verstehen, dass man auf die deutschen Pläne reagieren werde. Die Grenze nach Italien und Slowenien könnte künftig stärker gesichert werden, ein Dominoeffekt ist zu erwarten. Für Urlauber, die in den nahenden Sommerferien in Richtung Süden fahren, könnte dies zusätzliche Staugefahr am Brenner bedeuten. Italiens Innenminister Matteo Salvini befürwortet zusätzliche Kontrollen am Brenner: „Für uns wäre das ein gutes Geschäft.“Denn es seien mehr Migranten, die Italien an Österreich abzugeben habe, als andersherum.
Wie groß ist der Andrang von Flüchtlingen an der bayerisch-österreichischen Grenze überhaupt?
Die Bundespolizeidirektion München stellte von Januar bis Mai 2018 rund 4600 unerlaubte Einreisen über die deutsch-österreichische Grenze fest, sagt Matthias Knott, Pressesprecher der Bundespolizeidirektion München, gegenüber unserer Zeitung. „Neben den drei stationären Kontrollen erfolgt die Kontrolle der übrigen grenzüberschreitenden Verkehrswege lageangepasst und flexibel.“Allerdings sind längst nicht alle diese Menschen bereits in einem anderen EU-Land registriert. Auch aufgrund dieser Zahlen übt die Polizeigewerkschaft Kritik. Radek sagt, in den anderen Grenzbereichen seien es 33 823 Fälle gewesen. „Die Grenzen zu Belgien und den Niederlanden sind offen wie ein Scheunentor“, sagte Radek. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sträube sich gegen eine effektive Schleierfahndung im 30-KilometerStreifen an der Grenze.
Sind Transitzentren auch in anderen Grenzregionen geplant?
Bislang deutet tatsächlich alles darauf hin, dass die Bayern einen Sonderweg gehen. Geäußert hat sich etwa der stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Thomas Strobl hält Transitzentren an baden-württembergischen Außengrenzen nicht für notwendig. „Die Bundespolizei hat die Lage an den baden-württembergischen Grenzen im Griff. Insofern drängt sich die Frage bei uns derzeit nicht auf“, sagt der baden-württembergische Innenminister und CDU-Bundesvize. Sein nordrhein-westfälischer Parteifreund Armin Laschet vertritt die gleiche Haltung. In Nordrhein-Westfalen werden keine Transitzentren eingerichtet.
Wie reagieren Flüchtlingsorganisationen auf das Vorhaben?
Der Vorstandssprecher von Terre des Hommes, Albert Recknagel, fordert die SPD auf, „diesen Irrweg zu stoppen“. Er nennt den Unions-Kompromiss „inhuman“. Geschlossene Transitzentren, in denen Erwachsene und Kinder ausharren müssten, verletzten „massiv“die Rechte der Flüchtlinge. Die Union gebe „eine menschen- und kinderrechtlich orientierte Asylpolitik auf“.
Hatten sich Kanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer nicht erst auf Ankerzentren geeinigt?
In den geplanten Einrichtungen sollen Schutzsuchende das gesamte Asylverfahren durchlaufen – Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung (kurz: Anker), während es in den Transitzentren nur ein Schnellverfahren gibt. Seehofer will Ankerzentren deutschlandweit einrichten, stößt aber bei vielen Bundesländern auf Widerstand. Ebenfalls noch vor Umsetzungsproblemen stehen die beim letzten EUGipfel beschlossenen Aufnahmezentren außerhalb der EU. Bisher hat sich kein Land etwa in Nordafrika bereit erklärt, solche Lager zu beherbergen. Noch ein drittes Zentrum ist im Gespräch. Auch für bereits im EU-Ausland registrierte Migranten sollen Lager geschaffen werden. Es geht um Menschen, die in einer 30-Kilometer-Zone um die Grenze aufgegriffen werden.