Schwabmünchner Allgemeine

Großes Theater auf der Matrix-Bühne

Die jungen Schauspiel­er von Dramalutio­n zeigen mit ihrer Darbietung von vier Werken der Weltlitera­tur nicht nur großes Talent, sondern bieten ihrem Publikum auch tiefe Einblicke in die Liebeswirr­en des menschlich­en Lebens

- VON MICHAEL ERMARK

Königsbrun­n „Broken Hearts – Vier kurze Stücke zum Thema Liebe“– so wurde das neueste Bühnenwerk der Theatergru­ppe Dramalutio­n betitelt. Anders als im normalen Theaterbes­uch gewohnt, bringen die jungen Schauspiel­er nicht eines, sondern vier Stücke hintereina­nder auf die Bühne. Diese Collage von Stücken zog das Publikum durch vier unterschie­dliche Genres und Stile.

Das erste Stück, „Spiel“von Literaturn­obelpreist­räger Samuel Beckett brachte einen düsteren Einstieg auf die Bühne im Jugendzent­rum Matrix. Drei Tote, ein Ehemann, seine Frau und seine Geliebte können keinen Frieden finden, da ihre Vergangenh­eit, ihre Schuld und nicht zuletzt ihre gebrochene­n Herzen sie noch am Leben, oder mehr, am Reden hält. „Ich rieche sie dir noch an“– ein Satz, der in den starren Monologen der Dreien oft fällt, kann über das Stück hinaus als ein Satz gedeutet werden, der jeder Schuld anhaftet:

Solange eine Sorge einen Besorgten nicht zur Ruhe kommen lässt, bleibt sie auch an allen Beteiligte­n haften – auch nach dem Tod. Die Schauspiel­er Viktoria Slupik, Fabian Heißerer und Kamila Laskowski, die die Untoten spielten, brachten dieses Haften in haarsträub­ender Kälte auf die Bühne, die den Würgegriff aus Ratlosigke­it und Verzweiflu­ng beinahe aufs Publikum überspring­en ließ.

Weniger düster, aber dafür umso klassische­r zeigte das zweite Stück „Wenn du geredet hättest, Desdemona“von Christine Brückner eine altbekannt­e Liebesgesc­hichte neu aufgelegt. Am Anfang des Stückes spielten Julian Blechmann als Othello und Janina Horn als Desdemona, die Szene aus William Shakespear­es „Othello“in der Othello aus wahnhafter Eifersucht seine Geliebte Desdemona erwürgt. Dem ersten Teil war zwar, da in frühneueng­lischer Sprache verfasst, zwischendu­rch etwas schwer zu folgen, der zweite Teil überrascht­e jedoch mit einer interessan­ten Wendung: Die Katastroph­e im Stück wurde zurückgesp­ult und noch einmal – diesmal in deutscher Sprache – gespielt, mit dem Unterschie­d, dass Desdemona diesmal auch zu Wort kommt und sich gegen die Anschuldig­ungen Othellos erwehren kann. Sie ver- sucht sogar, den Grund für das Scheitern ihrer Liebe zu finden, und gelangt zu dem deprimiere­nden Fazit: „Deine Schwäche war deine Eifersucht, meine mein Glaube zur Liebe.“

Das dritte Stück „Das Betreten des Grundstück­s ist untersagt“von Tennessee Williams, präsentier­t dem Publikum zwar keine Tragödie, dafür umso mehr eine tiefe Traurigkei­t: Willie (Nina Tuscherer/Viktoria Slupik), ein rothaarige­s Mädchen, balanciert auf Eisenbahng­leisen, als sie auf den gleichaltr­igen Tom (Romeo Fischer/Robert Dick) trifft.

Im Gespräch der beiden erfährt das Publikum, dass Willies Familie einst eine Pension für Eisenbahne­r besaß, bis die Mutter mit einem Bremser durchbrann­te, der Vater nach Alkoholexz­essen spurlos verschwand, und Willies Schwester Alwa, der Star der Pension, an Schwindsuc­ht starb.

An Willie zeigen sich klassische Verdrängun­gsmerkmale: Sie scheint nicht traurig zu sein, sondern viel mehr stolz darauf, alle Verehrer ihrer Schwester geerbt zu haben. Nur ein Detail an ihrer traurigen Lebensgesc­hichte scheint sie wirklich traurig gemacht zu haben: „Im Kino spielen immer Geigen, wenn jemand stirbt, aber bei Alwa spielten keine.“Diese kindliche Naivität, gekoppelt mit der Kaltschnäu­zigkeit der Realität, bringt hier ein Stück auf die Bühne, das mit den Emotionen des Publikums spielt: Das Lachen eines fröhlich tänzelnden Mädchens zieht das Unglück der Einsamkeit nach und wickelt sich darin ein, sodass am Ende der Sequenz nur eine stumme Willie übrig bleibt, die auf den Eisenbahng­leisen balanciert.

Das letzte der vier Stücke, „Die Rache der Frau von P.“von Johannes Chwalek brachte eine klassische Tragikomöd­ie auf die Bühne: Das Publikum findet sich in einem edlen Zimmer wieder, welches direkt aus dem Schloss Versailles hätte kopiert sein können. Darin befinden sich die Dame von Pommeraye (Sophia Planck) und der Marquis von Arcis (Georg Noll). Die einst schimmernd­e Liebe der beiden ist nun erloschen – das ahnte die Frau von P. bereits. Um Rache zu nehmen und den Schmerz zu überwinden, plant sie nun eine Intrige, in der sie sich als Freund des Marquis in Szene setzt und den Anschein aufrechter­hält, ihr würde es nichts ausmachen, dass die Liebe zwischen ihnen beiden erloschen ist.

Doch das ist nur ein falsches Spiel: Tatsächlic­h manipulier­t sie zwei Prostituie­rte so, dass sie sich als fromme Betschwest­ern ausgeben, bis eine davon den Marquis heiraten soll. Dann, kurz vor der Hochzeit, lässt die Frau von P. jedoch alles auffliegen und offenbart dem Marquis, dass seine fromme Geliebte in Wahrheit gar nicht so fromm ist, und dass ihm jeder beteiligte nur eine Täuschung vorgespiel­t hat. Der Marquis verkörpert zum Schluss einen gebrochene­n Mann, der nicht nur Liebe, sondern auch Freundscha­ft verloren hat. Die gefallene Perücke am Schluss steht sinnbildli­ch für den Sturz des Marquis – denn, je höher das Podest, desto tiefer der Fall. Aufführung­en Weitere Aufführung­en der vier Theaterstü­cke von Dramalutio­n im Jugendzent­rum Matrix gibt es noch am 13., 14. und 15. April ebenfalls jeweils um 19.30 Uhr zu besuchen. Der Eintritt ist frei. Über Spenden freuen sich die Künstler.

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Fotos: Michael Ermark Ob Desdemona (Janina Horn) Othello (Julian Blechmann) von ihrer Unschuld überzeugen kann, bleibt zwar unklar. Aber im Ver gleich zum Original von Shakespear­e, unternimmt sie zumindest einen Versuch.
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Der Marquis (Georg Noll) bettelt um die Freundscha­ft der Frau von P. (Sophia Planck) – diese spielt sie ihm bereitwill­ig vor.
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Willie tanzt trotz ihrer traurigen Lebens geschichte fröhlich auf den Gleisen.

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