Bis zum Befund vergehen oft Jahre
Manchmal steckt ein Morbus Bechterew hinter Beschwerden, der rasch behandelt werden sollte
Schon als junger Mann wurde Udo Lücke von Rückenschmerzen geplagt. Er hatte ständig Probleme mit dem Ischias und der „klassische Hexenschuss“– wie er es nennt – setzte ihn immer wieder außer Gefecht. Für ihn und auch für seine damaligen Ärzte sah alles nach einem unspezifischen Rückenschmerz aus, wie ihn 74 bis 85 Prozent der Deutschen kennen. Erst viele Jahre später und nur durch Zufall wurde bei ihm die Ursache für seine Schmerzen gefunden und eine rheumatische Erkrankung diagnostiziert. Udo Lücke leidet an Morbus Bechterew, einer entzündlichen Wirbelsäulenerkrankung, bei der Knochen und Weichteile des Achsenskeletts betroffen sind und die große Schmerzen verursacht. „Mit 41 Jahren musste ich mein Leben noch einmal komplett auf den Kopf stellen, aber ich war froh, endlich eine Diagnose für meine körperlichen Beschwerden zu haben“, erzählt er.
Seine Geschichte kann als Beispiel für die vielen Fälle stehen, in denen der wahre Hintergrund der chronischen Schmerzen über lange Zeit unentdeckt bleibt. „Häufig werden entzündlich-rheumatische Erkrankungen als Ursache für den Rückenschmerz gar nicht oder erst zu spät erkannt“, sagt Uta Kiltz, Oberärztin am Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne. Oft vergingen fünf bis sieben Jahre zwischen dem Beginn der Symptome und der Diagnose. Sie hat aber auch schon erlebt, dass es 14 Jahre bis zum Befund dauerte. „In Anbetracht der Erkrankungshäufigkeit von rund einem Prozent der Bevölkerung ist es besonders wichtig, schnelle und sichere Diagnosen zu stellen, um Betroffene frühzeitig zu therapieren. Nur so können Folgeschäden, Einschränkungen und schlimmstenfalls Arbeitsunfähigkeit verhindert werden“, so die Rheumatologin.
Der Begriff Rheuma umfasst rund 400 Krankheiten, die medizinisch korrekt als Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises bezeichnet werden. Sie betreffen meist den Bewegungsapparat, also Knochen, Gelenke, Muskulatur, Bänder und Sehnen. Eine der häufigsten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen der Wirbelsäule und der umgebenden Gelenke ist die axiale Spondyloarthritis (SpA), die im fortgeschrittenen, schweren Stadium in Deutschland als Morbus Bechterew bezeichnet wird. Dabei entzünden sich die Knochen sowie die anliegenden Sehnen und Bänder der Wirbelsäule und verursachen chronische Schmerzen im Rücken.
Im weiteren Verlauf kommt es zu Veränderungen an den Knochen, es bilden sich knöcherne Fortsätze aus, die schließlich zur Versteifung führen. Oft ist gerade der untere Bereich der Wirbelsäule betroffen. Wird die Krankheit nicht erkannt und behandelt, nimmt die Beweglichkeit der Wirbelsäule immer weiter ab.
Die Abgrenzung im frühen Stadium der Krankheit von unspezifischen Rückenschmerzen, wie sie ein Großteil der Bevölkerung immer wieder hat, ist nicht einfach, zumal die Patienten mit ihren Beschwerden im Normalfall den Hausarzt oder den Orthopäden aufsuchen. Wenn die Rückenschmerzen bei jüngeren Patienten seit mehr als 12 Wochen andauern, kann eventuell eine entzündlich-rheumatische Ursache dahinterstecken. Die SpA beginnt meist zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahrzehnt, wobei mehr Männer als Frauen betroffen sind. Dies könne aber auch daran liegen, dass die Krankheit bei Frauen seltener erkannt werde, wie manche Mediziner meinen.
Besonders in der zweiten Nachthälfte kommt es zu starken Schmerzen, sodass die Patienten aufwachen. „Häufig ist die Becken-PoRegion beteiligt“, beschreibt Uta Kiltz die Beschwerden. Ein weiteres charakteristisches Symptom: Die Lendenwirbelsäule fühlt sich morgens nach dem Aufstehen steif an, was länger als 30 Minuten anhält. Durch Bewegung und im Laufe des Tages bessern sich die Schmerzen, werden aber in Ruhephasen wieder schlimmer. Zudem lassen sie sich mit entzündungshemmenden Schmerzmitteln meist lindern.
Bei Symptomen, die für eine Spondyloarthritis sprechen, sollten die Patienten zu einem Rheumatologen überwiesen werden. Das ist umso wichtiger, als im Umfeld der SpA auch andere Erkrankungen wie Schuppenflechte, Entzündungen der Regenbogenhaut am Auge oder auch – in 50 Prozent der Fälle – chronisch-entzündliche Darmerkrankungen auftreten können. „Dies macht ein koordiniertes multidisziplinäres Vorgehen mit verschiedenen Fachärzten erforderlich“, stellt Kiltz fest. Bei Udo Lücke wurden zunächst eine rheumatoide Arthritis und Schuppenflechte festgestellt, was dann schließlich die Ärzte zur Ursache seiner langjährigen Rückenschmerzen führte, der Spondyloarthritis. Im Lendenwirbelund Halswirbelbereich hatte er damals große Probleme.
Eine der Ursachen für die SpA und die sie begleitenden Erkrankungen liegt nach heutiger Sicht in einer Fehlfunktion des Immunsystems, welche genetisch bedingt ist. Abwehrzellen des Körpers richten sich dabei nicht nur gegen fremde, sondern auch gegen eigene Zellen. Damit die Krankheit ausbricht, müssen aber auch noch andere Faktoren hinzukommen wie beispielsweise eine vorangegangene Infektion mit Bakterien, die sich in einer ganz anderen Region des Körpers abgespielt haben kann. Rauchen ist zudem ein wesentlicher Risikofaktor, der auch den Verlauf der SpA beschleunigen kann.
Bei der Therapie setzen Rheumatologen zunächst auf Schmerzmittel und auf regelmäßige Physiotherapie. Reicht diese Standardtherapie nicht aus, um die Schmerzen zu lindern, die Steifigkeit der Gelenke zu reduzieren und den Krankheitsverlauf zu verzögern, werden Medikamente mit Wirkung auf das Immunsystem empfohlen. So kann der Botenstoff TNF-alpha, der Entzündungen im Organismus anfeuert, durch einen spezifischen Antikörper, den TNF-alpha-Blocker, gehemmt werden. Verschiedene Medikamente mit diesem Wirkstoff sind auf dem Markt. Sie können die Entzündungsaktivität und die Schmerzen der Patienten reduzieren sowie den Verlauf der Krankheit verlangsamen. Auch Udo Lücke kann dank der Therapie mit dem TNF-alpha-Blocker wieder weitestgehend normal und zudem relativ schmerzfrei leben.