Wenn man seinen Sinnen nicht mehr trauen kann
In Schwabmünchen tauchen Besucher in eine dunkle Welt ein. Sind blinde Menschen im Vorteil?
Der Fühl- und Tastsinn des Menschen ist ein wesentlicher Faktor für die Eigenwahrnehmung. „Bereits nach sieben Wochen ist er im Mutterleib ausgebildet“, sagt Sabine Sünwoldt, die Leiterin des Museums in Schwabmünchen. Hunderte von Millionen Tastsinnzellen auf der Haut ermöglichen es dem Menschen, die Reize aus der Umwelt zu verarbeiten. Dennoch nimmt er in der Rangfolge der Sinne einen eher untergeordneten Platz ein. Und genau dies will die neue Ausstellung „fühlmal“ändern.
Sehende tauchen im Dunkelparcours in eine fremde Welt ein, trauen im schiefen Zimmer ihren Augen nicht oder spüren, wie sich Schallwellen anfühlen. Doch wie finden sich blinde Menschen in einer Ausstellung zurecht, die vor allem für den Tast- und optischen Sinn Sehender konzipiert ist? Alfred Schwegler, der Bezirksgruppenleiter des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbunds, ist seit 36 Jahren blind und hat jetzt die Ausstellung mit seiner Frau Gerlinde besucht. Und das Ergebnis ist teilweise mehr als überraschend.
● Schiefes Zimmer: Sabine Sünwoldt hat den Beiden vorher erklärt, was sich in dem „Schiefen Zimmer“verbirgt. „Es ist eigentlich ein ganz normaler Raum mit geraden Wänden und rechten Winkeln“, sagt sie. Allerdings sei das ganze Objekt um 20 Grad gekippt worden. Dies bewirke, dass es den meisten Menschen in diesem Zimmer schwindlig wird. Dabei liege es nicht an der Steigung des schiefen Bodens, sondern daran, dass Seh- und Fühlsinn und das im Innenohr gelegene Gleichgewichtsorgan nicht zusammenspielen.
Forschen Schrittes geht Gerlinde Schwegler nach diesen Erklärungen die schmale Rampe hoch ins „schiefe Zimmer“. Ein vorsichtiger Blick um die Ecke – und schon zuckt die rechte Hand zur Türkante. Ihr Mann Alfred muss schmunzeln. „Ich weiß gar nicht, was Du hast“, sagt er. Der 61-Jährige hat keinerlei Probleme im „schiefen Zimmer“. Es sei zwar ein bisschen steil, aber Schwindel verspüre er keinen. Zum Beweis lupft er seinen linken Fuß, steht für kurze Zeit nur auf einem Mit beiden Beinen hingegen kann gerade mal seine Frau das Gleichgewicht halten. Immer wieder sucht sie Halt an der Wand. Kopfschüttelnd verlässt sie den Raum, es geht weiter zur nächsten Station.
● Fühlparcours Hier werden Objekte gesehen und befühlt, bei denen erst der Tastsinn die eindeutige Identifizierung ermöglicht. Schnell gaukelt das Gehirn einem falsche Informationen vor. So müsste ein nicht sehender Mensch eigentlich im Vorteil sein. Doch das Ergebnis mit der Gewichtsschätzung zweier aufeinanderliegender und unterschiedlich dicker Holzklötzchen überrascht. So erwartet das Gehirn, dass der größere Klotz schwerer sein muss, als der kleinere. Tatsächlich aber enthält der kleine Teil fast die gesamte Masse der beiden Klötzchen. Alfred Schwegler lässt sich Zeit, befühlt die beiden Klötzchen ganz genau und wiegt sie in der Hand. Dann fällt sein Urteil. „Der kleine Klotz ist schwerer, als beide zusammen“, sagt er. Falsch! Trotz fehlenden Sehvermögens hat ihm hier der Tastsinn ebenso wie seiner Frau einen Streich gespielt.
Souveräner aber zeigt sich der 61-Jährige beim Fühl-Memory. Binnen weniger Minuten hat er die passenden Paare erfühlt und zugeordnet. Die Nase vorn hat aber seine Frau wiederum bei einigen Fühlsäckchen. Hier gilt es, Gegenstände nur über den Tastsinn zu erraten. In einem Säckchen hat Sünwoldt beispielsweise verschiedene EuromünBein. zen verpackt. Schwegler konzentriert sich auf die Größe – und liegt mit dem Ergebnis falsch. Er hat es im Gegensatz zu seiner Frau versäumt, den Rand genau zu befühlen. Doch nun wartet der Dunkelparcours auf das Ehepaar.
● Dunkelparcours Im vollkommen dunklen Labyrinth gehen die Besucher auf unterschiedlichen Bodenbelägen und befühlen etliche Objekte, die an der Wand und auf Sockeln montiert sind. Schwegler hat keinerlei Probleme, sich in der Finsternis zurechtzufinden. Seine Frau hingegen hat mit Beklemmungen zu kämpfen. „Sie sind zu schnell, Herr Schwegler“, mahnt Sünwoldt, die mit einer Nachtsichtbrille den Marsch verfolgt und moderiert. Nach einer knappen halben Stunde ist der Parcours geschafft. Beide haben ungefähr gleich viel Gegenstände erraten. Beide sind von der Ausstellung begeistert. „Fantastisch, am beeindruckendsten aber war für mich das schiefe Zimmer“, sagt Gerlinde Schwegler. Und für ihren Mann war der Raum „nur etwas komisch“. »Kommentar O Öffnungszeiten Das Museum in der Holzheystraße 12 hat geöffnet sonn tags von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr, mittwochs von 14 bis 17 Uhr. Sabine Sünwoldt bietet auch ab dem 25. Sep tember Workshops für Schulen ab der 2. Klasse an. Voraussetzung ist, dass neben einer Lehrkraft eine zweite Auf sichtsperson anwesend ist. Anmeldungen per Mail an: museum@schwabmuenchnen.de.