Sächsische Zeitung (Weißwasser)
Warum ein Amerikaner und eine Französin in Bautzen Sorbisch lernen
Zwei Wochen lang tauchen 31 Schüler aus acht Ländern in Bautzen in die Sprache und Kultur der Sorben ein. Dabei geht es um Zungenbrecher genauso wie um Astrophysik.
Im Raum 322 des Sorbischen Gymnasiums in Bautzen lehnt ein Wischmopp an der Wand. Schließlich sind große Ferien. Trotzdem wird hinter vier Klassenzimmertüren gepaukt. Bis 27. Juli läuft der zweiwöchige Internationale Sommerkurs für sorbische Sprache und Kultur in Bautzen. 31 Schüler aus acht Ländern sind in der Stadt und der Lausitz unterwegs, um in das Leben und die Sprache der Sorben einzutauchen. Zu ihnen gehören Jan Wünsche, Jelena Topalov und Anthony Burger. Sie alle vereint ihre Abenteuerlust und Neugier auf eine neue Sprache und Kultur.
An diesem Montagmorgen sitzen die drei Schüler im Fortgeschrittenenkurs bei Měrana Cušcyna. Die sorbische Autorin steht erstmals vor einer Klasse und betreibt mit den Kursteilnehmern Konversation zum Warmwerden. Sie erzählen von ihrer gestrigen Tour von Hochkirch über Grubditz nach Göda, klären schnell noch den Unterschied zwischen Tischtenniskelle und Suppenkelle und tauchen dann in die Tiefen der Grammatik ein. Draußen sind kurz nach 9 Uhr schon 26 Grad. Ein Zungenbrecher-Gedicht des sorbischen Schriftstellers Kito Lorenc bringt die Zuhörenden zusätzlich ins Schwitzen.
Ahnenforschung führt nach Kittlitz
Nur eine kurze Anreise zum Sommerkurs hatte Johannes Wünsche, der sich auf Sorbisch mit Jan vorstellt. Aktuell promoviert er an der TU Dresden in seinem Studienfach Physik, nebenbei gehört der 26-Jährige auch noch mit zum Aufbau-Team des Deutschen Zentrums für Astrophysik (DZA) in der Lausitz. Eigentlich hätte er mit diesem Pensum genug zu tun. „Aber ich bin vielfältig interessiert, auch an Geschichte und Ahnenforschung“, sagt der Löbauer. Genau jene Spurensuche führt ihn zu seinen Ur-Ur-Großeltern nach Kittlitz.
In den Konfirmandenbüchern findet sich, dass jene Urahnen noch sorbisch-sprachigen Konfirmandenunterricht erhielten. Ein Blick auf die Sprachkarten des späten 19. Jahrhunderts zeigt Jan Wünsche, wo damals überall Sorbisch gesprochen wird. Doch das einzige sorbische Wort, das über
Jahrhunderte in der Löbauer Familie erhalten bleibt, ist „woka“, die Großmutter. Wünsches Interesse ist geweckt. An der TU Dresden schreibt er sich beim Sprachkurs der Schriftstellerin und Kinderbuchautorin Lubina Hajduk-Veljković ein. Drei Jahre bleibt der Doktorand dabei, inzwischen singt er im sorbischen Chor und ist im Sorbischen Studentenverein „Bjarnat Krawc“in Dresden.
Nicht seine Vorfahren, sondern ein Wikipedia-Eintrag und der „Hobbit“bringen Anthony Burger zur sorbischen Sprache. Die obersorbische Übersetzung des Tolkien-Bestsellers liegt auf den Knien des 22Jährigen, der wohl die weiteste Anreise zum Sorbisch-Kurs hatte: New York, München, Berlin, Dresden – und das letzte Stück bis Bautzen mit der Bahn. „Ich finde Sprachen faszinierend und bin mit dem Tschechischen aufgewachsen“, sagt der Amerikaner. Denn seine Eltern haben sich in Prag kennengelernt, seine Mutter – Tschechin – unterrichtete Deutsch, der Vater – Amerikaner – Englisch.
Zu Hause in New Jersey spricht die Familie Tschechisch und Englisch – und vielleicht bald Obersorbisch. „Ich bin einmal unerwartet auf einen Wikipedia-Eintrag auf Sorbisch gestoßen und habe festgestellt, dass ich ihn verstehe. Später habe ich dann entdeckt, dass es eine slawische Minderheit in Deutschland gibt – wie spannend“, sagt der Student. Er macht sich auf die Suche nach mehr Wissen und findet heraus, dass es den Hobbit auch auf Obersorbisch gibt. Da er das Buch im Handel nicht findet, schreibt er den Übersetzer und UniProfessor Eduard Werner in Leipzig an. Jener schickt ihm einen Link zum Ausdrucken des Romans. Die Lektüre hat Anthony Burger nun für seinen ersten Lausitz-Aufenthalt mitgebracht. Übrigens: Auf Esperanto hat er die lange Reise des Bilbo Beutlins bereits gelesen.
Schon wiederholt in der Lausitz
Ein Sprachgenie ist auch Jelena Topalov. Ihre Heimat ist Frankreich, die 31-Jährige lebt in Compičgne nördlich von Paris. In der Hauptstadt arbeitet sie als Lehrerin für Sprache, derzeit schreibt sie an ihrer Promotion zum Thema „Zweisprachiger Unterricht“an den Beispielen des Obersorbischen, des Okzitanischen und des Bretonischen. Das Okzitanische und seine Kultur waren in Südfrankreich noch vor 150 Jahren sehr verbreitet, das Bretonische ist Umgangssprache in Teilen der Bretagne im Norden Frankreichs. Anders als Anthony ist die Französin aber nicht zum ersten Mal in der Lausitz. Drei- oder viermal hat Jelena Topalov schon Station rund um Bautzen gemacht. Erst 2023 war sie für ihre Doktorarbeit am Sorbischen Gymnasium hier. Neben Obersorbisch und Französisch spricht die Doktorandin Serbisch, Spanisch, Russisch, Japanisch und Türkisch.
Nach einer kurzen Kaffeepause geht es mit dem zweiten Unterrichtsblock weiter. „Dieses Jahr ist das Interesse der Slawisten groß, viele junge Leute sind dabei“, sagt Fabian Kaulfürst, Leiter der Sommerschule und Gastgeber vom Sorbischen Institut in Bautzen. Die Ferienkurse für sorbische Sprache und Kultur werden seit 1967 im meist zweijährigen Rhythmus veranstaltet. Knapp 800 Interessierte haben so schon Sorbisch gelernt. In diesem Jahrgang gibt es drei Grundkurse und ein Angebot für Fortgeschrittene.
Dorthin müssen nun auch Jelena, Anthony und Jan zurück. Letzterer wird am Nachmittag aber nicht an der Stadtführung teilnehmen. Denn der Löbauer will seinem Vortrag über „Astrophysik und Sorbisch“noch den letzten Schliff geben und dabei überlegen, wie er den anderen Kursteilnehmern das Prinzip Gravitationswellen einfach auf Sorbisch erklärt.