Sächsische Zeitung (Weißwasser)
Fußballschlager West versus Ost
Als bei der WM 1974 die DDR und BRD aufeinandertrafen, war das nicht nur sportlich ein PrestigeDuell. Außerdem gab es eine Art musikalischen Wettbewerb – den der Sänger Frank Schöbel im Stadion gewann.
Frohsinn und Gemütlichkeit, damit war es für die bundesdeutschen Kicker vorbei nach dem sensationellen 0:1 gegen die DDR bei der Fußball-WM 1974. Es herrschte Unmut im DFB-Lager und in der Öffentlichkeit. Die Presse schäumte und auch innerhalb der Nationalmannschaft war die Stimmung mies. Der aus Sachsen stammende Bundestrainer Helmut Schön zeigte sich bitter enttäuscht, die Spieler um Kapitän Franz Beckenbauer sahen ihre Titelund Prämienträume platzen. Passé die Zuversicht, die sie vor dem Turnier verbreitet hatten, sogar auf einer Langspielplatte namens „Fußball ist unser Leben“, die unter anderem das Stück „Frohsinn und Gemütlichkeit“enthielt.
Ein Musikalbum mit der singenden Nationalmannschaft als Warm-up zur WM, das hatte es noch nie gegeben in Deutschland. Aber die Zeit war reif. Der Fußballpop hatte ein neues Gimmick hervorgebracht. Vereinslieder, Fußballsongs und singende Fußballstars, all das war nicht neu. Dass aber eine komplette Nationalmannschaft ins Studio ging, um ein Potpourri der guten Laune aufzunehmen, das gehörte bis dato nicht zum musikalischen Begleitprogramm des Sports.
Als erste hatten es 1970 eine Auswahl aus dem Land von Fußball und Pop getan. Die Engländer brachten kurz vor der WM in Mexico eine Platte heraus, mit der sie ihre erfolgreiche Pokalverteidigung ankündigten („Back Home“). Einlösen konnten sie das Versprechen nicht, aber in den Charts reüssierten sie. Wie im Showbusiness üblich animierte das zur Nachahmung. In der Bundesrepublik machte der umtriebige Musikverleger und -manager Hans R. Beierlein die Idee dem DFB-Präsidenten Hermann Neuberger schmackhaft, indem er ihm Zusatzeinnahmen aus dem Tonträgerverkauf in Aussicht stellte. Anschließend holte er den Berliner Horst Nußbaum ins Boot. Nicht weil der als ehemaliger Spitzenspieler Ahnung von Fußball hatte, sondern weil er unter seinem Künstlernamen Jack White der erfolgreichste Schlagerkomponist der Zeit war. Schließlich hatte er schon Tony Marshall, Jürgen Marcus und Roberto Blanco an die Spitze der Hitparade gebracht.
Im Oktober 1973 ging er mit der DFBAuswahl ins Studio, um die größtenteils von ihm komponierten und getexteten Lieder aufzunehmen. Musikalisch bewegten die sich stark in der Tradition der klassischen deutschen Fußballtugenden: Viel Wucht, wenig Lockerheit. Von der kreativen Leichtfüßigkeit der aktuellen Mannschaft war wenig zu spüren. Für Jack White folgte das einer klaren Logik, wie er später in einem Interview erzählte: „Ich wollte unbedingt etwas Volkstümliches schreiben, denn der Fußball ist nun mal volkstümlich. Ich produziere Schlager, um Stimmung zu bringen und die Leute ins Herz zu treffen, genau wie der Fußball. ‚Schöne Maid‘, das ich für Tony Marshall geschrieben hatte, wurde ein Millionenhit, weil er Fröhlichkeit und etwas Positives ausstrahlte. So hatte ich mir das auch bei dem Lied für die Nationalmannschaft vorgestellt.“
Nach einem Nachmittag waren die Aufnahmen im Kasten, da die Fußballer nur auf ein vorproduziertes Band mit professionellem Chor singen mussten. Zwei zusätzliche Instrumentals wurden gestrichen, weil sie dem Auftraggeber DFB nicht gefallen haben sollen. Ansonsten konnte der Verband zufrieden sein, denn der Polkaschlager „Fußball ist unser Leben“und die zugehörige LP verkauften sich fast eine halbe Million Mal.
In Ostberlin wurde im Vorfeld der WM ebenfalls an einer Platte mit einem Fußballlied gearbeitet. Keine LP, aber immerhin eine Single wollte das Monopol-Label Amiga herausbringen. Eingesungen vom erfolgreichsten DDR-Schlagersänger Frank Schöbel. „Ja der Fußball ist rund wie die Welt“komponierte er auf einen Text von Dieter Schneider. Anlass war die erstmalige WM-Qualifikation der DDR-Auswahl.
Sie selbst beteiligte sich nicht an der Plattenproduktion, denn sie musste sich ja intensiv aufs Turnier vorbereiten. Frank Schöbel hätte nichts gegen einen Backgroundchor aus Spielern gehabt, wie er 50 Jahre später erzählt. „Ich hätte mit ihnen gern was gemacht, aber damals waren die Spieler noch relativ abgeschirmt in ihren Vereinen. Außerdem gab es von Amiga keine Überlegungen in Richtung einer mitsingenden Elf. Es wäre aber schön gewesen, ja.“Insofern kann man sagen, dass die DDR den „Systemwettstreit“, den sie gerade auf dem Gebiet des Sports permanent ausrief, wohl nicht auf dem Feld der Fußballlieder austragen mochte. Und auch Frank Schöbel hat die West-LP „überhaupt nicht interessiert“, sagt der in Berlin lebende gebürtige Sachse rückblickend.
Viel interessanter war für ihn 1974, wie seine Single – auf dessen Cover es die DDRNationalmannschaft immerhin geschafft hatte – beim Publikum in der DDR ankam. Kurz und gut: „Ja, der Fußball ist rund wie die Welt“wurde im Osten ein ähnlich großer Hit wie „Fußball ist unser Leben“im Westen. Wie oft seine Fußball-Single in der DDR über den Ladentisch ging, hat der Sänger nie erfahren, weil Amiga keine Verkaufszahlen bekannt gab. „Aber alles unter 100.000 wäre ein Wunder gewesen“, so Schöbel, „man merkte ja ständig, wie das Stück bei den Leuten zündete. Überall wurde es mitgesungen.“Finanziell rentiert hat es sich für ihn wohl nicht. Nur 400 Ostmark sollen bei ihm hängengeblieben sein.
In einem Punkt war Frank Schöbel dem Kollegen Jack White jedoch voraus. Er wurde von den DDR-Funktionären als kultureller Vertreter seines Landes für die WM-Eröffnungsshow am 13. Juni 1974 im Frankfurter Waldstadion nominiert. Vor 800 Millionen TV-Zuschauern sollten alle Teilnehmerländer eigentlich landestypische Folklore zeigen. Die Auswahl der Künstler oblag den Ländern selbst. Chile schickte Gauchos, die Niederlande Holzschuhtänzer, Schottland Dudelsackspieler, Brasilien die Sambagruppe „Ballett Tropical“und die Bundesrepublik die Winninger Winzer-, Tanz- und Trachtengruppe. Dass die DDR Frank Schöbel entsandte, reimte der sich später so zusammen: „Überall war Folklore angesagt, aber die DDR als junger Staat sagte sich wohl, wir haben keine Folklore oder wir hätten Herbert Roth schicken müssen. Weil ich mein Song ‚Wie ein Stern‘ auch im Westen ein Hit war, kamen sie dann auf mich, wohl nach dem Motto: Schickt mal Schöbel, den kennen sie da schon.“
Natürlich wollte er seinen Hit „Ja, der Fußball ist rund“singen, doch da machten ihm die Funktionäre einen Strich durch die Rechnung. Aus welchen Gründen auch immer schien ihnen der Song nicht ganz passend. Sie drängten Schöbel zum Lied „Freunde gibt es überall“, die B-Seite seiner Amiga-Single. Offenbar war ihnen die internationalistische Aussage lieber, „von wegen, die DDR hat überall Freunde“, wie Schöbel mutmaßte. Er selbst war freilich skeptisch, ob er sich mit dem Lied Freunde machen würde. „Ich hatte tierische Angst, dass da vielleicht Tomaten fliegen - nicht wegen meiner Person, sondern weil ich ja als DDR-Vertreter auftrat.“Die Sorge erwies sich als unbegründet. Das Publikum bei der Eröffnungsshow zeigte sich von seinem Kurzauftritt, umrahmt von einer Band und sexy Tänzerinnen, sehr angetan.
Schöbels damalige Begleitgruppe war die Uve Schikora Combo. Der Gitarrist und Bandleader Uve Schikora, der in Dresden Musik studiert hatte, hatte - anders als Schöbel - mit Fußball gar nichts am Hut. „Natürlich freute ich mich, dabei zu sein“, erzählte er rückblickend, „aber in meinem Hinterkopf spukte eher die Überlegung, wie ich mich im Westen absetzen könnte. Abgehauen bin ich dann erst zwei Jahre später. Bei der WM wollte ich das nicht machen, schon aus Rücksicht auf Frank, dem das viel Ärger bereitet hätte.“Das zu hören hat Frank Schöbel jetzt doch erstaunt: „Das hat er mir nie gesagt.“
Eine weitere Randnote, die die Teilung Deutschlands zur WM-Show beitrug: Während die Finanzierung sämtlicher Auftritte der Teilnehmerländer vom Kulturfonds des Auswärtigen Amts der Bundesregierung übernommen wurde, kam sie im Falle der DDR, die offiziell nicht als Ausland galt, vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Am Ende war es eine Win-win-Geschichte für alle Beteiligten. Die Organisatoren hatten gewollt, dass alle Künstler mit ihren Auftritten für die Volkskultur ihres Landes stehen. Die DDR hatte Pop als ihre Volkskultur geboten und war damit super angekommen. Was für ein Coup für die DDR-Kulturfunktionäre.
Sowohl „Fußball ist unser Leben“als auch „Ja, der Fußball ist rund wie die Welt“sind heute Evergreens des deutschen Fußballliedguts. Wobei die DDR der Fußballwelt bei ihrer einzigen WM-Teilnahme noch einen skurrilen Chant ihrer ausgewählten Fans hinterließ. Ihr Schlachtruf „7, 8, 9, 10, Klasse“klang so, als wäre er im VEB-Institut für Fangesangsentwicklung erfunden worden. Er konnte sich im deutschsprachigen Raum jedoch nie durchsetzen.