Sächsische Zeitung (Weißwasser)
Sachsen und Brandenburg fordern: Sicherheit und Stabilität für die Lausitz
Bei einer gemeinsamen Sitzung im Kraftwerk Boxberg einigen sich beide Regierungen auf das Vorgehen in Schlüsselfragen – und fordern einen Kurswechsel von der Bundesregierung.
Damit die Lausitz auch nach dem Kohleausstieg eine Zukunft hat, haben Sachsen und Brandenburg für den Kohlekompromiss und die Milliardenunterstützung im Strukturwandel gekämpft. Viele Vorhaben sind seither auf dem Weg, seien erste Ergebnisse vorzeigbar. Doch sorgen Ausstiegsszenarien der Bundesregierung für Unsicherheit, fördern Frust und Unmut unter den Menschen. „Sicherheit und Stabilität, das braucht die Lausitz derzeit am dringendsten“. Diese Einschätzung ist eine Kernaussage der gemeinsamen Kabinettssitzung beider Regierungen am Dienstag im Kraftwerk Boxberg. Empfangen wurden die Politiker vor den Kraftwerkstoren von mehreren hundert jungen Leuten. „Das hat uns bestärkt, weiter für ihre Zukunft zu kämpfen“, so Brandenburgs Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke (SPD). Zumal die aktuelle Kraftwerksstrategie des Bundes nicht geeignet sei, Sicherheit zu geben, wie ihm sein sächsischer Amtskollege Michael Kretschmer (CDU) beipflichtete. Man sei nach Boxberg gekommen, um den Menschen hier Mut zu machen. „Energie ist die Achillesferse der Wirtschaft. Dafür braucht es Verlässlichkeit“, betonten beide.
Energiewende: Neu berechnen Kretschmer verwies auf ein Gutachten des Bundesverbands der Deutschen Energiewirtschaft. Demnach bräuchte der Bund 1.200 Milliarden Euro für die Energiewende. Das sei weder finanziell noch technisch machbar, so die Experten. Das sieht auch Woidke so: „Es gibt keine faktischen Grundlagen für den vorgezogenen Ausstieg.“Es sei von unterschiedlichen Jahreszahlen für den Kohleausstieg die Rede, nicht aber davon, wo in den nächsten 10 Jahren der Strom herkommen geschweige denn, was er kosten soll. Aber genau diese Antworten würden die Bürger erwarten – und Investoren. Nach Einschätzung der Landesregierungen richtet die aktuelle Politik in Berlin „schweren Schaden“an, sei „mindestens grob fahrlässig“. Damit sei Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig. Allein mit dem Prinzip Hoffnung sei die Energiewende nicht zu schaffen. Sachsen und Brandenburg seien auf dem Weg zur Klimaneutralität und die Lausitz Energie Bergbau AG (Leag) ein Beispiel, dass auch Unternehmen das wollen. Aber sie brauchen Verlässlichkeit – und die gesetzlich vereinbarte Zeit zur Transformation.
Gesundheitsregion: Gegen Ärztemangel Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren hatten beide Ministerpräsidenten in Cottbus visionäre Ideen für ein großes Klinikum besprochen und, dass man sich für eine Medizinerausbildung starkmachen will. Vor einer Woche wurde in Brandenburg ein Gesetz zum Aufbau der Medizinischen Universität Lausitz – Carl Thiem in Cottbus ab Juli 2024 verabschiedet. „Das ist eine Revolution“, unterstrich der brandenburgische Regierungschef. 70 Einrichtungen der Lausitz wollen kooperieren. „Das hilft nicht nur, künftig den Medizinerbedarf in der Region besser zu decken, dabei entstehen auch mehr als 1.000 Jobs“, sagte er. Ende August werden beide Ministerpräsidenten alle Krankenhäuser und andere Akteure der Branche zu einer gemeinsamen Gesundheitskonferenz einladen. Beide Landesregierungen prüfen außerdem den Aufbau eines Pharmazie-Studiengangs an der BTU Cottbus-Senftenberg. Ziel sei es, junge Menschen in der Region auszubilden und als Fachkräfte hier zu halten.
Fachkräfte: Abkommen unterschrieben Die Arbeits- und Fachkräftesicherung spielte am Dienstag eine große Rolle. Nur so könne man die Strukturentwicklung in der Lausitz langfristig sichern. Mit einer Absichtserklärung wollen beide Länder die
Kooperation ausbauen. Brandenburgs Wirtschaftsminister Professor Jörg Steinbach (SPD) bewegt besonders, dass es in der Lausitz 3.000 junge Leute ohne Schulabschluss oder Beschäftigung gibt. Das müsse man ganz gezielt angehen, sagte er. Aus Sicht von Sachsens Wirtschaftsstaatssekretärs Thomas Kralinski (SPD) sei es zudem wichtig, Schulabsolventen hier zu halten und internationale Fachkräfte zu gewinnen. Dafür müsse man aber gemeinsam an der Willkommenskultur arbeiten.
Polen: Zusammenarbeit stärken Sachsen und Brandenburg wollen eine Initiative in den Bundesrat einbringen, um die Beziehungen zu Polen weiter zu festigen und in Berlin einen Gedenkort zu schaffen für die Gräuel, die die Nationalsozialisten den Polen angetan haben. Bundestagsbeschlüsse dazu gab es schon, doch seien in den vergangenen Jahren andere Dinge wohl wichtiger gewesen. Man wolle Berlin und Mecklenburg-Vorpommern für die parteiübergreifende Initiative mit ins Boot holen. Mit dem polnischen Botschafter Dariusz Pawłoś, der am Dienstag an der gemeinsamen Kabinettssitzung in Boxberg teilnahm, kam man überein, das Deutschpolnische Jugendwerk zu stärken.
Wolf: Schutzstatus absenken
Das Wolfsmanagement ist ebenfalls ein gemeinsames Thema. „Sachsen und Brandenburg haben die größte Betroffenheit. Hier liegen die Nerven blank“, meinte Michael Kretschmer. Die Ministerpräsidenten seien mit der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU), übereingekommen, den Schutzstatus für Wölfe etwas abzusenken. Das würde einige Maßnahmen erleichtern. Es sei „nicht akzeptabel, wenn grüne Politiker darüber hinweg entscheiden und sich verweigern, was die Ministerpräsidenten auf den Weg gebracht haben, was Experten befürworten und was die Menschen wollen“, erklärte Sachsens Regierungschef. Durch „sehr abgehobenes Verhalten“sei über die Jahre Vertrauen zerstört worden. Jetzt liege es an der Bundesregierung, dass „Deutschland mitzieht und nicht wieder bloß grüne Klientelpolitik macht“, sagte er.
Was noch besprochen wurde
Ebenfalls auf der Agenda standen die Stärkung des Tourismus im Lausitzer Seenland mit der Schiffbarkeit des Partwitzer und des Geierswalder Sees ab 2026 sowie länderübergreifende Vorhaben in dem Projekt Unesco 5. Außerdem bekräftigten Sachsen und Brandenburg ihre Bereitschaft, mit dem Bund ein fünftes Abkommen über die gemeinsame Finanzierung der Stiftung für das sorbische Volk ab 2026 abzuschließen.
Leag nimmt Solarpark in Betrieb
Vor Beginn der Sitzung nahmen am Morgen Ministerpräsident Michael Kretschmer und Leag-Vorstandsvorsitzender Thorsten Kramer den Solarpark Boxberg in Betrieb. Die 23 Hektar große Photovoltaikanlage mit einer Gesamtkapazität von 25 MWp wird voraussichtlich bis zu 26.000 MWh pro Jahr Strom erzeugen. Damit können bis zu 9.000 Haushalt in der Region versorgt werden. Aus der Vogelperspektive sei die Anlage „wie ein glänzender Baustein zwischen Findlingspark und Kraftwerk“, so Thomas Kramer. Tatsächlich ist der Solarpark ein Baustein des GigawattFactory-Projekts, in dessen Rahmen die Leag bis 2030 bis zu sieben Gigawatt grünen Strom grundlastfähig verfügbar machen will. Begleitet wurde der Anlagenbau vom Projektentwickler EP New Energies GmbH (Epne), der künftig ein Teil der neu ausgerichteten Unternehmensstruktur der Leag sein wird.
Kramer überreichte Boxbergs Bürgermeister Hendryk Balko (WV Boxberg) ein Beteiligungskonzept. Die Vereinbarung beinhaltet jene 0,2 Cent je Kilowattstunde, die gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz die Kommunen bekommen sollen. In Summe bedeute das etwa 50.000 Euro pro Jahr für den Haushalt der Gemeinde, so Balko hinterher auf Nachfrage. Als Bürgermeister hatte er an diesem Tag zwei Hoffnungen: Dass die Einwohner auf dem Weg der grünen Energie mitgenommen werden und dass die Kabinettssitzung ein Zeichen setzt für die 2.000 Leute, die noch in Tagebau und Kraftwerk beschäftigt sind.