Der Spion von nebenan
Wer ist der Mitarbeiter von AfD-Politiker Maximilian Krah, der wegen Spionage für China festgenommen wurde? Eine Spurensuche in Dresden.
Ein Rentnerpaar trägt am Dienstagnachmittag seine Einkäufe in den Wohnblock an der Röthenbacher Straße. Da folgt den beiden ein dunkel gekleideter Mann, einen schwarzen Schal bis unter die Augen gezogen, auf dem Kopf ein schwarzes Basecap. Die grauhaarige Frau schaut den Mann verdutzt an, sieht dann die Erkennungsmarke des Ermittlers. Auf dem etwa handgroßen Schild an seinem Hosenbund stehen drei Buchstaben: BKA. Zu dritt betreten sie den farbenfroh gestrichenen Sechsgeschosser im Dresdner Stadtteil Plauen.
Ein Nachbar des Paares, Jian Guo, wird verdächtigt, für einen chinesischen Geheimdienst zu arbeiten. Zuletzt war Guo Mitarbeiter von Maximilian Krah, dem AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl. Der Generalbundesanwalt wirft Guo vor, im Januar wiederholt Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen im Europäischen Parlament an seinen nachrichtendienstlichen Auftraggeber weitergegeben zu haben. Zudem habe er für den Nachrichtendienst chinesische Oppositionelle in Deutschland ausgespäht. In der Nacht wurde Guo festgenommen, seine beiden Wohnungen in Dresden durchsucht.
Neben dem Block mit Eigentumswohnungen an der Röthenbacher Straße lebte Guo nach SZ-Informationen zusammen mit seiner Partnerin Xiying W. auch in einem hübschen dreistöckigen Haus in der Kohlenstraße. Vor diesem blockiert am Dienstag ein Polizeiauto die Einfahrt.
Ein Nachbar an der Kohlenstraße bezeichnet Guo und W. als nette Menschen, ein anderer will gar nicht glauben, was er nun im Internet lese. Wieder eine andere Nachbarin erzählt, Guo habe aggressiv reagiert, als sie ihn einmal darauf angesprochen habe, dass er seinen weißen Mercedes zu lange im Stand habe laufenlassen. Auch eine Tochter im Teenageralter lebe hier, heißt es. Doch die Jalousien seien immer unten gewesen, Guo selten zu sehen.
Wer ist dieser Jian Guo?
Nach einer im Oktober 2023 veröffentlichten SZ-Recherche ist der heute 43 Jahre alte Guo deutscher Staatsbürger mit chinesischen Wurzeln. Er studierte in den 2000er-Jahren Geschichte an der TU Dresden, war bis 2019 Chef einer Handelsfirma für Solarund LED-Produkte mit Sitz in Dresden und von 2010 bis 2015 einfaches Parteimitglied der sächsischen SPD. Krah, der mittlerweile kein Anwalt mehr ist, hatte damals behauptet, Guo sei einer seiner Mandanten gewesen. Im November 2019 war Krah als EU-Parlamentarier für mindestens eine Woche nach China gereist.
Jian Guo soll ein Netzwerk aus dem Abgeordnetenbüro des AfD-Politikers in Brüssel orchestriert haben, über das unter anderem eine Reise sächsischer Kommunalpolitiker nach China organisiert worden war. Einer der damaligen Mitreisenden: der heutige Pirnaer Oberbürgermeister Tim Lochner, der für die AfD angetreten war.
Im wirtschaftsnahen Online-Netzwerk Linkedin gibt Jian Guo an, für eine Firma namens Fenda Technology aus dem chinesischen Shenzhen zu arbeiten. Vom belgischen Sint-Pieters-Leeuw aus arbeite er für das Unternehmen als Overseas Division General Manager. Er könne fließend Englisch und verfüge über gute Russischkenntnisse, gibt er dort an.
Seine ersten Spuren als Unternehmer führen zurück bis in das Jahr 2010. Damals gründeten Chinesen eine Firma im Dresdner Süden namens G & K VertriebsGmbH, die mit elektronischen Waren handele, „insbesondere mit LED-Anlagen sowie mit Textilien“. Als Geschäftsgegenstand angegeben wird aber auch: „Wirtschafts- und transkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland und China bzw. Übersetzungsservice zwischen Deutsch und Chinesisch“. Jian Guo ist dort von 2012 bis 2019 Geschäftsführer. Er ändert den Namen in dieser Zeit in Leudus GmbH, danach verlegt die Firma ihren Sitz nach Langenfeld bei Düsseldorf. Gesellschafter sind Chinesen mit Residenz in Taiyuan und London.
Vom April 2018 an fungierte Jian Guo zudem als Geschäftsführer einer in Dresden-Coschütz ansässigen Firma für die „Interkulturelle Kommunikation zwischen Deutschland und China“. Allerdings ebenfalls nur bis September 2019, dann übernahm diesen Posten eine Chinesin, die nunmehr im Vorstand des Vereins Kommunikation für Kultur und Bildung Dresden sitzt: Xiying W.
2020 änderte die Jian-Guo-Firma ihren Namen und zog ebenfalls nach Langenfeld um. Sie ist dort aber weiterhin als „Consultingservice bei der Interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschland und China“tätig, im „Handel (Im- und Export) von Haushaltswaren und elektrischen Erzeugnissen“sowie mit „Übersetzungsservice“. Sie gehört einem im chinesischen Wenzhou ansässigen Mann.
Laut ARD hat sich Jian Guo bereits vor rund zehn Jahren deutschen Behörden als Informant angeboten. Man habe ihn damals allerdings für unzuverlässig gehalten und für einen möglichen Doppelagenten Chinas.
Was wussten Maximilian Krah und die AfD über Jian Guo?
Aus der Bundesgeschäftsstelle der AfD heißt es am Dienstag zunächst, die Meldungen über die Verhaftung eines Mitarbeiters von Herrn Krah wegen Spionageverdachts seien „sehr beunruhigend“. Da der Partei „noch keine weiteren Informationen zu dem Fall vorliegen, müssen wir die weiteren Ermittlungen des Generalbundesanwalts abwarten“. Die sächsische AfD wollte sich zunächst nicht äußern.
Die Bild-Zeitung hatte jedoch ein nicht genanntes AfD-Bundesvorstandsmitglied mit den Worten zitiert, Krah werde zum Problem für die Partei. Krahs AfD-Kollegin im EU-Parlament Sylvia Limmer schrieb bei X: „Ein Problem war er bereits die letzten fünf Jahre für die Delegation mit seiner abseitigen Haltung zu China, Russland, den USA, Israel, Frauen und vielem mehr.“
Maximilian Krah selbst erklärte am Dienstag auf X, er habe von der Festnahme seines Mitarbeiters am Vormittag aus der Presse erfahren. Weitere Informationen lägen ihm nicht vor. „Die Spionagetätigkeit für einen fremden Staat ist eine schwerwiegende Anschuldigung“, so Krah. „Sollten sich die Vorwürfe als wahr erweisen, würde dies die sofortige Beendigung des Dienstverhältnisses nach sich ziehen.“
Noch am Dienstag sei Guo „in Anbetracht der Schwere der Enthüllungen mit sofortiger Wirkung suspendiert“worden, sagte eine Sprecherin des EU-Parlaments gegenüber Spiegel-Online.
Bei den Recherchen zu Maximilian Krah und seinem Mitarbeiter stößt man schnell auf einen Artikel der englischsprachigen konservativen Nachrichtenseite
The European Conservative. Der Artikel äußert Kritik zur Anstellung Guos, über den „hochrangige Beamte“des EU-Parlaments sehr besorgt seien. Guo errege „den Verdacht seiner Kollegen wegen seiner mangelnden Englisch- oder Deutschkenntnisse, seiner aggressiven pro-chinesischen Lobbyarbeit der Kommunistischen Partei (KPCh) und seiner regelmäßigen Kontakte mit unbekannten chinesischen Delegationen im Parlament“. Der Artikel wirkt auf den ersten Blick brandaktuell, ist jedoch bereits vor einem Jahr erschienen.
Krah schrieb damals dazu auf X von einer „Verleumdungsgeschichte“gegen sich: „Es geht gegen einen in China geborenen Mitarbeiter: der ist deutscher Staatsbürger, AfD-Mitglied, hat in Dresden studiert und spricht fließend Deutsch und Englisch.“
Auf seine damalige Reaktion angesprochen, teilt Krah am Dienstag lediglich mit, „natürlich schockiert“zu sein. Er versuche, den konkreten Vorwurf zu erfahren. „Wir haben bereits bürointern erfasst, dass der Beschuldigte keinen Zugang zu klassifizierten Dokumenten hatte und er auch nicht an nicht-öffentlichen Sitzungen teilnahm.“Er könne die Vorwürfe derzeit nicht eigenständig überprüfen, arbeite aber mit Hochdruck an der Aufklärung, so Krah.
Die Reaktionen aus der Politik fallen deutlicher aus. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erklärt: „Wer spioniert, wer sich bestechen lässt, schadet Deutschland und verrät die Menschen und unser Land.“Er halte das für widerwärtig und charakterlos.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erklärt, sollte sich der Vorwurf bestätigen, „trifft er das Herz unserer Demokratie“. Dann rechne er mit „harten Konsequenzen“durch die deutsche Justiz.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schreibt auf X, es wäre ein „Angriff von innen auf die europäische Demokratie“, sollte sich der Fall bewahrheiten. Sie fordert Aufklärung und schreibt: „Wer einen solchen Mitarbeiter beschäftigt, trägt dafür Verantwortung.“
Als „Sicherheitsrisiko für unsere Demokratie“bezeichnet die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge die AfD. Es stünden immer mehr Vorwürfe im Raum, dass enge Verbindungen zwischen der AfD und zum Beispiel Russland oder auch China bestünden. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann fordert aus diesem Grund den Rückzug von Krah und Petr Bystron als Kandidaten der AfD für die Europawahl am 9. Juni. Bystron steht im Verdacht, enge Verbindungen nach Russland zu pflegen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagt mit Blick auf die Spionage-Vorwürfe, diese entlarvten die wahren Absichten der AfD in Deutschland. „Wer jetzt noch die AfD unterstützt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese Partei Deutschland und Europa massiven Schaden zufügen will.“
Von chaotischen Zuständen in der AfD spricht dagegen der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese: „Erst die Vorwürfe schmieriger
Geldzahlungen aus dem Kreml, jetzt mutmaßliche Spionage für China“, sagt er der Rheinischen Post.
In seiner Rede im EU-Parlament bittet Freie-Wähler-Europaabgeordneter Engin Eroglu das Präsidium, die Sicherheitsüberprüfungen im Haus zu stärken, um solche Fälle zu verhindern. „Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Parteien wie die AfD Geheimdiensten aus China einfach Zugang zu relevanten Informationen geben können.“
Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass wir informelle Mitarbeiter in der chinesischen Community haben.
China selbst weist die Berichte über eigene Spione in Deutschland zurück. „Die Absicht hinter diesem Hype ist ganz offensichtlich, nämlich China zu verleumden, zu unterdrücken und die Atmosphäre der Zusammenarbeit zwischen China und Europa zu untergraben“, sagt ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums am Dienstag.
China habe sich stets an die Prinzipien des gegenseitigen Respekts und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten gehalten. In Deutschland müsse die „Mentalität des Kalten Krieges“überwunden werden. Das Betonen sogenannter Spionagerisiken solle nicht für politische Operationen gegen China missbraucht werden.
Und was sagt die chinesische Community in Dresden zu dem Ganzen?
Möglicherweise hat Jian Guo schon vor Jahren in Dresden Informationen über diese gesammelt. Aus dem Chinesisch-Deutschen Zentrum heißt es, Guo habe in der Vergangenheit mehrfach den Kontakt zum Zentrum gesucht und sich sehr für das Vereinsleben interessiert. 2003 gegründet, will das Chinesisch-Deutsche Zentrum mit heute rund 40 Mitgliedern die traditionelle chinesische Kultur pflegen, bewahren und weitergeben. Seine Angebote und Veranstaltungen beschäftigen sich mit der chinesischen Sprache, mit Rezepten, Kampfkunst oder Bogenschießen.
Guo habe an mehreren Veranstaltungen teilgenommen, vermutlich etwa in den Jahren 2007 bis 2010. „Bei uns gibt es keine Gesinnungsprüfung“, sagt Vereinssprecher Andreas Opfermann. „Wir sind grundsätzlich offen für jeden.“Im Falle von Guo habe er persönlich allerdings schon früh ein schlechtes Gefühl gehabt. „Ich habe meinen Vereinskollegen geraten: Seid vorsichtig mit dem. Als gelernter DDR-Bürger rieche ich so etwas.“
Opfermann glaubt, dass die Reaktionen auf die Festnahme vermutlich sehr verschieden ausfallen. Während die eher führungstreuen Chinesen ein erneutes ChinaBashing beklagten, seien die kritischer eingestellten Landsleute sicher nicht verwundert. Er glaubt, dass die letztere Gruppe die große Mehrheit in der Community stelle.
Aber: „Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass wir informelle Mitarbeiter in der chinesischen Community haben“, sagt Opfermann, der mit einer Chinesin verheiratet ist. „China ist eine Diktatur, und die arbeiten nun mal mit solchen Mitteln.“
Andreas Opfermann, Sprecher des Chinesisch-Deutschen Zentrums Dresden