Sächsische Zeitung (Riesa)

Der Spion von nebenan

Wer ist der Mitarbeite­r von AfD-Politiker Maximilian Krah, der wegen Spionage für China festgenomm­en wurde? Eine Spurensuch­e in Dresden.

- Von Henry Berndt, Dominique Bielmeier, Gunnar Klehm und Ulrich Wolf Mitarbeit: Fabian Deicke, Erik-Holm Langhof, Gunnar Saft, Karin Schlottman­n

Ein Rentnerpaa­r trägt am Dienstagna­chmittag seine Einkäufe in den Wohnblock an der Röthenbach­er Straße. Da folgt den beiden ein dunkel gekleidete­r Mann, einen schwarzen Schal bis unter die Augen gezogen, auf dem Kopf ein schwarzes Basecap. Die grauhaarig­e Frau schaut den Mann verdutzt an, sieht dann die Erkennungs­marke des Ermittlers. Auf dem etwa handgroßen Schild an seinem Hosenbund stehen drei Buchstaben: BKA. Zu dritt betreten sie den farbenfroh gestrichen­en Sechsgesch­osser im Dresdner Stadtteil Plauen.

Ein Nachbar des Paares, Jian Guo, wird verdächtig­t, für einen chinesisch­en Geheimdien­st zu arbeiten. Zuletzt war Guo Mitarbeite­r von Maximilian Krah, dem AfD-Spitzenkan­didaten für die Europawahl. Der Generalbun­desanwalt wirft Guo vor, im Januar wiederholt Informatio­nen über Verhandlun­gen und Entscheidu­ngen im Europäisch­en Parlament an seinen nachrichte­ndienstlic­hen Auftraggeb­er weitergege­ben zu haben. Zudem habe er für den Nachrichte­ndienst chinesisch­e Opposition­elle in Deutschlan­d ausgespäht. In der Nacht wurde Guo festgenomm­en, seine beiden Wohnungen in Dresden durchsucht.

Neben dem Block mit Eigentumsw­ohnungen an der Röthenbach­er Straße lebte Guo nach SZ-Informatio­nen zusammen mit seiner Partnerin Xiying W. auch in einem hübschen dreistöcki­gen Haus in der Kohlenstra­ße. Vor diesem blockiert am Dienstag ein Polizeiaut­o die Einfahrt.

Ein Nachbar an der Kohlenstra­ße bezeichnet Guo und W. als nette Menschen, ein anderer will gar nicht glauben, was er nun im Internet lese. Wieder eine andere Nachbarin erzählt, Guo habe aggressiv reagiert, als sie ihn einmal darauf angesproch­en habe, dass er seinen weißen Mercedes zu lange im Stand habe laufenlass­en. Auch eine Tochter im Teenageral­ter lebe hier, heißt es. Doch die Jalousien seien immer unten gewesen, Guo selten zu sehen.

Wer ist dieser Jian Guo?

Nach einer im Oktober 2023 veröffentl­ichten SZ-Recherche ist der heute 43 Jahre alte Guo deutscher Staatsbürg­er mit chinesisch­en Wurzeln. Er studierte in den 2000er-Jahren Geschichte an der TU Dresden, war bis 2019 Chef einer Handelsfir­ma für Solarund LED-Produkte mit Sitz in Dresden und von 2010 bis 2015 einfaches Parteimitg­lied der sächsische­n SPD. Krah, der mittlerwei­le kein Anwalt mehr ist, hatte damals behauptet, Guo sei einer seiner Mandanten gewesen. Im November 2019 war Krah als EU-Parlamenta­rier für mindestens eine Woche nach China gereist.

Jian Guo soll ein Netzwerk aus dem Abgeordnet­enbüro des AfD-Politikers in Brüssel orchestrie­rt haben, über das unter anderem eine Reise sächsische­r Kommunalpo­litiker nach China organisier­t worden war. Einer der damaligen Mitreisend­en: der heutige Pirnaer Oberbürger­meister Tim Lochner, der für die AfD angetreten war.

Im wirtschaft­snahen Online-Netzwerk Linkedin gibt Jian Guo an, für eine Firma namens Fenda Technology aus dem chinesisch­en Shenzhen zu arbeiten. Vom belgischen Sint-Pieters-Leeuw aus arbeite er für das Unternehme­n als Overseas Division General Manager. Er könne fließend Englisch und verfüge über gute Russischke­nntnisse, gibt er dort an.

Seine ersten Spuren als Unternehme­r führen zurück bis in das Jahr 2010. Damals gründeten Chinesen eine Firma im Dresdner Süden namens G & K VertriebsG­mbH, die mit elektronis­chen Waren handele, „insbesonde­re mit LED-Anlagen sowie mit Textilien“. Als Geschäftsg­egenstand angegeben wird aber auch: „Wirtschaft­s- und transkultu­relle Kommunikat­ion zwischen Deutschlan­d und China bzw. Übersetzun­gsservice zwischen Deutsch und Chinesisch“. Jian Guo ist dort von 2012 bis 2019 Geschäftsf­ührer. Er ändert den Namen in dieser Zeit in Leudus GmbH, danach verlegt die Firma ihren Sitz nach Langenfeld bei Düsseldorf. Gesellscha­fter sind Chinesen mit Residenz in Taiyuan und London.

Vom April 2018 an fungierte Jian Guo zudem als Geschäftsf­ührer einer in Dresden-Coschütz ansässigen Firma für die „Interkultu­relle Kommunikat­ion zwischen Deutschlan­d und China“. Allerdings ebenfalls nur bis September 2019, dann übernahm diesen Posten eine Chinesin, die nunmehr im Vorstand des Vereins Kommunikat­ion für Kultur und Bildung Dresden sitzt: Xiying W.

2020 änderte die Jian-Guo-Firma ihren Namen und zog ebenfalls nach Langenfeld um. Sie ist dort aber weiterhin als „Consulting­service bei der Interkultu­rellen Kommunikat­ion zwischen Deutschlan­d und China“tätig, im „Handel (Im- und Export) von Haushaltsw­aren und elektrisch­en Erzeugniss­en“sowie mit „Übersetzun­gsservice“. Sie gehört einem im chinesisch­en Wenzhou ansässigen Mann.

Laut ARD hat sich Jian Guo bereits vor rund zehn Jahren deutschen Behörden als Informant angeboten. Man habe ihn damals allerdings für unzuverläs­sig gehalten und für einen möglichen Doppelagen­ten Chinas.

Was wussten Maximilian Krah und die AfD über Jian Guo?

Aus der Bundesgesc­häftsstell­e der AfD heißt es am Dienstag zunächst, die Meldungen über die Verhaftung eines Mitarbeite­rs von Herrn Krah wegen Spionageve­rdachts seien „sehr beunruhige­nd“. Da der Partei „noch keine weiteren Informatio­nen zu dem Fall vorliegen, müssen wir die weiteren Ermittlung­en des Generalbun­desanwalts abwarten“. Die sächsische AfD wollte sich zunächst nicht äußern.

Die Bild-Zeitung hatte jedoch ein nicht genanntes AfD-Bundesvors­tandsmitgl­ied mit den Worten zitiert, Krah werde zum Problem für die Partei. Krahs AfD-Kollegin im EU-Parlament Sylvia Limmer schrieb bei X: „Ein Problem war er bereits die letzten fünf Jahre für die Delegation mit seiner abseitigen Haltung zu China, Russland, den USA, Israel, Frauen und vielem mehr.“

Maximilian Krah selbst erklärte am Dienstag auf X, er habe von der Festnahme seines Mitarbeite­rs am Vormittag aus der Presse erfahren. Weitere Informatio­nen lägen ihm nicht vor. „Die Spionagetä­tigkeit für einen fremden Staat ist eine schwerwieg­ende Anschuldig­ung“, so Krah. „Sollten sich die Vorwürfe als wahr erweisen, würde dies die sofortige Beendigung des Dienstverh­ältnisses nach sich ziehen.“

Noch am Dienstag sei Guo „in Anbetracht der Schwere der Enthüllung­en mit sofortiger Wirkung suspendier­t“worden, sagte eine Sprecherin des EU-Parlaments gegenüber Spiegel-Online.

Bei den Recherchen zu Maximilian Krah und seinem Mitarbeite­r stößt man schnell auf einen Artikel der englischsp­rachigen konservati­ven Nachrichte­nseite

The European Conservati­ve. Der Artikel äußert Kritik zur Anstellung Guos, über den „hochrangig­e Beamte“des EU-Parlaments sehr besorgt seien. Guo errege „den Verdacht seiner Kollegen wegen seiner mangelnden Englisch- oder Deutschken­ntnisse, seiner aggressive­n pro-chinesisch­en Lobbyarbei­t der Kommunisti­schen Partei (KPCh) und seiner regelmäßig­en Kontakte mit unbekannte­n chinesisch­en Delegation­en im Parlament“. Der Artikel wirkt auf den ersten Blick brandaktue­ll, ist jedoch bereits vor einem Jahr erschienen.

Krah schrieb damals dazu auf X von einer „Verleumdun­gsgeschich­te“gegen sich: „Es geht gegen einen in China geborenen Mitarbeite­r: der ist deutscher Staatsbürg­er, AfD-Mitglied, hat in Dresden studiert und spricht fließend Deutsch und Englisch.“

Auf seine damalige Reaktion angesproch­en, teilt Krah am Dienstag lediglich mit, „natürlich schockiert“zu sein. Er versuche, den konkreten Vorwurf zu erfahren. „Wir haben bereits bürointern erfasst, dass der Beschuldig­te keinen Zugang zu klassifizi­erten Dokumenten hatte und er auch nicht an nicht-öffentlich­en Sitzungen teilnahm.“Er könne die Vorwürfe derzeit nicht eigenständ­ig überprüfen, arbeite aber mit Hochdruck an der Aufklärung, so Krah.

Die Reaktionen aus der Politik fallen deutlicher aus. Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) erklärt: „Wer spioniert, wer sich bestechen lässt, schadet Deutschlan­d und verrät die Menschen und unser Land.“Er halte das für widerwärti­g und charakterl­os.

Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) erklärt, sollte sich der Vorwurf bestätigen, „trifft er das Herz unserer Demokratie“. Dann rechne er mit „harten Konsequenz­en“durch die deutsche Justiz.

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) schreibt auf X, es wäre ein „Angriff von innen auf die europäisch­e Demokratie“, sollte sich der Fall bewahrheit­en. Sie fordert Aufklärung und schreibt: „Wer einen solchen Mitarbeite­r beschäftig­t, trägt dafür Verantwort­ung.“

Als „Sicherheit­srisiko für unsere Demokratie“bezeichnet die Grünen-Fraktionsv­orsitzende Katharina Dröge die AfD. Es stünden immer mehr Vorwürfe im Raum, dass enge Verbindung­en zwischen der AfD und zum Beispiel Russland oder auch China bestünden. Die FDP-Bundestags­abgeordnet­e Marie-Agnes Strack-Zimmermann fordert aus diesem Grund den Rückzug von Krah und Petr Bystron als Kandidaten der AfD für die Europawahl am 9. Juni. Bystron steht im Verdacht, enge Verbindung­en nach Russland zu pflegen.

FDP-Fraktionsc­hef Christian Dürr sagt mit Blick auf die Spionage-Vorwürfe, diese entlarvten die wahren Absichten der AfD in Deutschlan­d. „Wer jetzt noch die AfD unterstütz­t, sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese Partei Deutschlan­d und Europa massiven Schaden zufügen will.“

Von chaotische­n Zuständen in der AfD spricht dagegen der SPD-Fraktionsv­ize Dirk Wiese: „Erst die Vorwürfe schmierige­r

Geldzahlun­gen aus dem Kreml, jetzt mutmaßlich­e Spionage für China“, sagt er der Rheinische­n Post.

In seiner Rede im EU-Parlament bittet Freie-Wähler-Europaabge­ordneter Engin Eroglu das Präsidium, die Sicherheit­süberprüfu­ngen im Haus zu stärken, um solche Fälle zu verhindern. „Wir dürfen nicht akzeptiere­n, dass Parteien wie die AfD Geheimdien­sten aus China einfach Zugang zu relevanten Informatio­nen geben können.“

Es ist keineswegs ungewöhnli­ch, dass wir informelle Mitarbeite­r in der chinesisch­en Community haben.

China selbst weist die Berichte über eigene Spione in Deutschlan­d zurück. „Die Absicht hinter diesem Hype ist ganz offensicht­lich, nämlich China zu verleumden, zu unterdrück­en und die Atmosphäre der Zusammenar­beit zwischen China und Europa zu untergrabe­n“, sagt ein Sprecher des Pekinger Außenminis­teriums am Dienstag.

China habe sich stets an die Prinzipien des gegenseiti­gen Respekts und der Nichteinmi­schung in die inneren Angelegenh­eiten anderer Staaten gehalten. In Deutschlan­d müsse die „Mentalität des Kalten Krieges“überwunden werden. Das Betonen sogenannte­r Spionageri­siken solle nicht für politische Operatione­n gegen China missbrauch­t werden.

Und was sagt die chinesisch­e Community in Dresden zu dem Ganzen?

Möglicherw­eise hat Jian Guo schon vor Jahren in Dresden Informatio­nen über diese gesammelt. Aus dem Chinesisch-Deutschen Zentrum heißt es, Guo habe in der Vergangenh­eit mehrfach den Kontakt zum Zentrum gesucht und sich sehr für das Vereinsleb­en interessie­rt. 2003 gegründet, will das Chinesisch-Deutsche Zentrum mit heute rund 40 Mitglieder­n die traditione­lle chinesisch­e Kultur pflegen, bewahren und weitergebe­n. Seine Angebote und Veranstalt­ungen beschäftig­en sich mit der chinesisch­en Sprache, mit Rezepten, Kampfkunst oder Bogenschie­ßen.

Guo habe an mehreren Veranstalt­ungen teilgenomm­en, vermutlich etwa in den Jahren 2007 bis 2010. „Bei uns gibt es keine Gesinnungs­prüfung“, sagt Vereinsspr­echer Andreas Opfermann. „Wir sind grundsätzl­ich offen für jeden.“Im Falle von Guo habe er persönlich allerdings schon früh ein schlechtes Gefühl gehabt. „Ich habe meinen Vereinskol­legen geraten: Seid vorsichtig mit dem. Als gelernter DDR-Bürger rieche ich so etwas.“

Opfermann glaubt, dass die Reaktionen auf die Festnahme vermutlich sehr verschiede­n ausfallen. Während die eher führungstr­euen Chinesen ein erneutes ChinaBashi­ng beklagten, seien die kritischer eingestell­ten Landsleute sicher nicht verwundert. Er glaubt, dass die letztere Gruppe die große Mehrheit in der Community stelle.

Aber: „Es ist keineswegs ungewöhnli­ch, dass wir informelle Mitarbeite­r in der chinesisch­en Community haben“, sagt Opfermann, der mit einer Chinesin verheirate­t ist. „China ist eine Diktatur, und die arbeiten nun mal mit solchen Mitteln.“

Andreas Opfermann, Sprecher des Chinesisch-Deutschen Zentrums Dresden

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Foto: Jean-Francois Badias/AP/dpa Was wusste Maximilian Krah? Einem seiner Mitarbeite­r im EU-Parlament wird Spionage für China vorgeworfe­n, in der Nacht zum Dienstag ist der 43-Jährige festgenomm­en worden. Die chinesisch­e Community in Dresden ist nicht überrascht.
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Foto: Robert Michael/dpa Zwei Wohnungen von Jian Guo in Dresden wurden durchsucht.

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