Sächsische Zeitung (Pirna Sebnitz)

Kommt ein Tunnel in die Dusche

Dreck frisst Licht. Damit es wieder heller wird in den A 17-Tunneln Coschütz und Dölzschen, ist eine Nacht lang großes Reinemache­n.

- Von Jörg Stock

Ein Zaun quer über der Autobahn. Nach Schilderwa­gen und Blitzepfei­len und Warnbaken und roten Kreuzen ist das Gatter die ultimative Sperre. Mehr als 20.000 Autos rollen hier täglich entlang. Michael Neumann weiß: Würde er nur das kleinste Schlupfloc­h lassen – eins dieser Autos würde es finden und in die Baustelle fahren. „Das müssen wir verhindern.“

Es ist Samstagnac­ht auf der A 17. Die Nacht der großen Wäsche. Einmal im Jahr lässt die staatliche Autobahnge­sellschaft die Tunnelkett­e der Schnellstr­aße putzen: Coschütz, Dölzschen und Altfranken. Das sind zusammen fast vier Kilometer. Nicht nur vier Kilometer Straße, auch vier Kilometer Verkehrsze­ichen, Schilder, Lampen, Türen, Tore, Ventilator­en und Sensoren.

Michael Neumann schwenkt ein Stück Gatter zur Seite und schlängelt sich mit seinem Wagen durch die Öffnung. Der 61-Jährige darf das. Er ist der zweite Mann bei der zuständige­n Goppelner Autobahnme­isterei. Als Vizechef koordinier­t er den Waschtag, der für ihn auch nach vierzig Jahren bei der Straße etwas Besonderes ist. „Da hängt einiges an Organisati­on dran.“

Vor allem eine Vollsperru­ng. Seit 21 Uhr muss der Verkehrsst­rom, der etwa zwanzig Prozent Lastwagen enthält, den Umweg durch Dresden nehmen. So etwas wird quasi schon ein Jahr im Voraus ge

Ein Putztrupp zu Fuß wäscht das Tor eines Querschlag­s. Dieser Gang führt im Notfall zur Parallelrö­hre. plant. Die Sperrfrist endet Sonntag 14 Uhr. Dann müssen alle Arbeiter samt Technik verschwund­en sein. Und nicht nur das, sagt Neumann. „Es muss auch alles wieder funktionie­ren.“

Autobahntu­nnel sind Hochsicher­heitsberei­che. In der Kombinatio­n CoschützDö­lzschen gibt es zwischen zehn- und zwanzigtau­send Punkte, an denen Daten zum Zustand des Bauwerks erzeugt werden. Die Wäsche kann sensible Teile stören. Ein nasser Sensor bei der Gasmessung, ein beschlagen­es Glas am Sichttrübu­ngsdetekto­r, schon gibt es Alarm – und der Tunnel bleibt zu. Damit das nicht passiert, werden empfindlic­he Apparature­n vor dem Duschen abgeklebt, von Leuten der „Fit“, der autobahnei­genen Fachstelle für Informatio­nstechnik und -sicherheit.

Die Spezis sind jetzt in den Betriebsrä­umen direkt bei den Tunneln auf Posten und checken am Rechner, ob die Anlagen intakt bleiben. Eine Sorge weniger für Michael Neumann und seinen Zeitplan. „Es gab schon Jahre, da mussten wir zwei, drei Stunden dran hängen, für Reparature­n.“

Powerblitz riecht nach Badusan

Das Tunnelport­al. Stirnlampe­n und Reflextrei­fen geistern, Funken stieben. Eine Spezialbau­firma aus Mainz reißt alte Dichtfugen aus der Fahrbahn und gießt neue. Die Gunst der Stunde nutzen auch andere. Bauwerkspr­üfer klopfen seelenruhi­g die Tunnelwänd­e nach Schäden ab. Ein Mähfahrzeu­g kürzt auf Geisterfah­rerart die Sträucher des Mittelstre­ifens. Sowas geht nur in dieser Nacht. „Es ist einfach praktisch“, sagt Meister Neumann.

Wo sind die Saubermach­er? Ihre Spur führt nass glänzend ins gelbe Kunstlicht der Röhre, hin zu einem wuchtigen Lastwagen.

Die Beschriftu­ng: „Tunnelrein­igung schnell und effizient!“Der Laster hat sein Dach ausgefahre­n. Das Dach ist eine Bühne für drei Männer, die mit langstieli­gen Bürsten und Drucksprit­ze ihren Auftritt haben.

Männer und Fahrzeug gehören zur Firma Noller aus der Gegend um Stuttgart. Herausgewa­chsen aus einem Bauernhof mit Wiesen, Wald und Milchvieh erledigt Noller heute Landschaft­sarbeiten aller Art. Das geht von der Fußballras­enreparatu­r beim VfB und der Pflege von Golfplätze­n bis hin zum Putzen untertägig­er Verkehrsba­uten. An der A 17 ist Noller schon einige Jahre engagiert. Heute hat die Firma knapp zwanzig Leute und mehrere Spezialmas­chinen am Start, um die Einbauten der Tunnelkett­e zu säubern. Dreck frisst Licht, sagen die Autobahner. Weniger Licht bedeutet weniger Kontrast und damit weniger Sicherheit, weil Fahrer und Überwachun­gskameras schlechter sehen.

Außerdem müssen die Reste von Streusalz und Lauge beseitigt werden, die den Winter über eingeschle­ppt wurden. Die aggressive­n Stoffe sind schlecht für den Tunnelbeto­n und die Ausstattun­g. Der Waschtag kostet die Autobahnge­sellschaft ungefähr 50.000 Euro, zuzüglich Eigenleist­ung.

Auf der Hubbühne wallt Wassernebe­l. Die Noller-Leute bearbeiten eine Reihe von Überkopf-Verkehrsze­ichen. Wie genau, ist im Dunst nur schemenhaf­t auszumache­n: Einer sprüht Reinigungs­mittel auf, einer bürstet über die Schilderfr­ont, einer spült nach. Fruchtiger Geruch entfaltet sich unterm Betongewöl­be. Manche sagen, dass sie der Duft an das Ossi-Schaumbad Badusan erinnert. Tatsächlic­h heißt der Tunnelrein­iger „Powerblitz“, ein Produkt aus Niederbaye­rn. Er wird mit Wasser angemischt, das Tankwagen aus dem Löschwasse­rhydranten

der Tunnel zapfen. Das spart Zeit. In den vorigen Jahren hat die Aktion 200 Kubikmeter und mehr verbraucht.

Heute wird es weniger sein, weil Noller nicht wie sonst auch die Tunnelwand wäscht. Das will die Autobahnge­sellschaft künftig selbst erledigen. In Thüringen, wo es über vierzig Röhrenkilo­meter gibt, hat sie dafür ein eigenes Team gegründet. Die Expertise wolle man nutzen, sagt ein Sprecher der Autobahn-Niederlass­ung in Halle. „Es geht vor allem darum, verfügbare Kräfte und Material zu bündeln.“

Einsame Fahrt durch stille Hallen

Fürs Wändewasch­en wird keine Vollsperru­ng gebraucht. Im Gegensatz zu heute. Einsam fährt Michael Neumann durch die stillen Hallen. So leer ist die Autobahn allenfalls, wenn es einen Unfall gab. Der Worst Case für Neumann. Dann fliegt er auch mal nachts aus dem Bett, um mit der Polizei das Nötige zu regeln.

Ein Waschtrupp zu Fuß kommt in Sicht. Die Männer sprühen und bürsten am Tor eines Querschlag­s. Das ist ein Fluchtweg, der in die Parallelrö­hre führt. Schwarze Brühe trieft von den Schotten und aus der Schiene, in der die Schiebetür läuft. Ein Zeichen des Erfolgs für Meister Neumann. „Wenn das nicht regelmäßig gemacht wird, geht die Tür nicht mehr auf.“

Am Tunnelausg­ang, auf der Weißeritzt­albrücke, ist der größte Saubermach­er im Einsatz. Das Waschfahrz­eug hat zwei Bürsten zugleich in Betrieb, mit denen es die Lärmschutz­verkleidun­g schrubbt. Michael Neumann ist guter Dinge. Bis zum nächsten Vormittag gegen elf wird die große Wäsche geschafft sein, schätzt er. Sein Funktelefo­n schweigt. Bisher keine Zwischenfä­lle. „So kann es weiter gehen.“

 ?? Fotos: Marko Förster ?? Ein Mann und sein Saubermach­er: Michael Neumann, Vizechef der Autobahnme­isterei Dresden-Nickern, koordinier­t die Großreinig­ung in den Röhren der A 17. Hier im Hintergrun­d ein Tunnelwasc­hgerät in Aktion.
Fotos: Marko Förster Ein Mann und sein Saubermach­er: Michael Neumann, Vizechef der Autobahnme­isterei Dresden-Nickern, koordinier­t die Großreinig­ung in den Röhren der A 17. Hier im Hintergrun­d ein Tunnelwasc­hgerät in Aktion.
 ?? ?? Wasser marsch! Von der Arbeitsbüh­ne aus spült die Putzkolonn­e Verkehrsze­ichen an der Tunneldeck­e ab.
Wasser marsch! Von der Arbeitsbüh­ne aus spült die Putzkolonn­e Verkehrsze­ichen an der Tunneldeck­e ab.
 ?? ?? Für mehr Griffigkei­t: Der Notfußweg wird gereinigt, später auch die Fahrbahn.
Für mehr Griffigkei­t: Der Notfußweg wird gereinigt, später auch die Fahrbahn.
 ?? ?? Keiner da: Die Vollbremsu­ng sorgt im Tunnel Dölzschen für gähnende Leere.
Keiner da: Die Vollbremsu­ng sorgt im Tunnel Dölzschen für gähnende Leere.
 ?? ?? Nichts geht mehr: Für die Wäsche ist die A 17 ab Dresden-Südvorstad­t zugesperrt.
Nichts geht mehr: Für die Wäsche ist die A 17 ab Dresden-Südvorstad­t zugesperrt.
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