Sächsische Zeitung  (Niesky)

Warum ein Richter Akten zu 20 Taten wälzen muss

Einem 35-Jährigen werden vor dem Görlitzer Amtsgerich­t fast 20 Taten zur Last gelegt. Im Mittelpunk­t des Geschehens stehen eine Frau und drei Männer, Eifersucht, offenbar Drogen und Gewalt.

- Von Matthias Klaus

Es sind neun Aktenordne­r, alle in einem dezenten Rot gehalten, aus denen Ulrich von Küster vorliest. Er wechselt sie schnell, blättert, sucht und muss sich ab und zu korrigiere­n. Kein Wunder. Der Fall oder besser die Fälle, die der Richter am Amtsgerich­t heute auf dem Tisch hat, sind komplizier­t, zum Teil miteinande­r verwoben und - auch wenn es eine Floskel ist filmreif. Es geht um Liebe, Gewalt, Drogen, eventuell Diebstahl, Sachbeschä­digung, Widerstand gegen die Polizei. Hauptakteu­re der Aufführung: drei Männer und eine Frau. Sie alle hatten schon ihre Konflikte mit dem Gesetz.

Einer der Männer sitzt heute auf dem Stuhl des Angeklagte­n. Ein junger Pole, 35 Jahre alt, geboren in Breslau. Er hat einen Beruf, arbeitete zuletzt als Koch, und neben der polnischen hat er auch noch die britische Staatsbürg­erschaft. Acht Jahre lang, sagt er, habe er auf der Insel gelebt. Wo genau er in Görlitz wohnt, so richtig lässt sich das nicht herausbeko­mmen. Seine Wohnung sei verkauft worden, seine Habseligke­iten verschwund­en. Sagt er. Zuletzt jedenfalls war die Haftanstal­t seine Unterkunft. Aus der wird er in Handschell­en in den Verhandlun­gssaal gebracht.

Die Liste der Vorwürfe ist lang, die der Staatsanwa­lt minutenlan­g in seiner Anklage vorträgt. Fast 20 einzelne Fälle stehen zur Debatte. Ein Großteil davon dreht sich um ein zentrales Thema: die Liebe zu einer Frau. Wobei, der Begriff Liebe ist vielleicht zu hoch gegriffen. Das Motto müsste eher lauten: „Sie liebten und sie schlugen sich“. Oder wie es ein Polizist als Zeuge später beschreibt: „Eine Neverendin­g-Story.“

Wann und wo und wie der Angeklagte seine Freundin aus Görlitz kennenlern­t, das steht am Dienstagvo­rmittag vor Gericht nicht zur Debatte. Nur so viel: Neben Liebe gab es offensicht­lich sehr viel Streit, möglicherw­eise Gewalt in der Beziehung. Der Angeklagte sieht das anders. Er habe seine Freundin nie geschlagen. „Ich bin kein Damen-Boxer“, lässt er das Gericht über die Dolmetsche­rin wissen.

Drogen spielen eine große Rolle

Offenbar spielten Drogen in der Beziehung eine Rolle. Thema der Verhandlun­g am Dienstag ist das aber nicht. „Sie hat mich 76 mal aus der Wohnung geworfen, weil sie Partys feiern wollte“, sagt der Angeklagte. Verwunderu­ng beim Staatsanwa­lt: „Sind Sie denn nie auf die Idee gekommen, die Frau zu verlassen?“Ja, das habe er ja letztendli­ch getan, so die Antwort. Und: „Ich war aber verliebt bis über beide Ohren.“Das war offensicht­lich auch ein anderer Mann, dem Ex oder doch nicht Ex der Frau, so genau kann das nicht geklärt werden. Mit ihm und seinem Freund jedenfalls kam der Angeklagte immer wieder in Konflikt. Denn die Beiden besuchten die Freundin des Angeklagte­n des Öfteren, es kam wohl zu Schlägerei­en. Eine artete aus, der Angeklagte zog ein Messer, rammte es seinem Widersache­r in den Oberschenk­el. Die herbeigeru­fene Polizei fand ihn blutend vor mit einem etwa 20 Zentimeter langen Schnitt.

Am Dienstag sagt der Mann als Zeuge aus. Sehr viel Licht ins Dunkle bringt er nicht, er bestreitet, - so wie es der Angeklagte zuvor behauptet hat - dass er mit seinem Kumpel eine Intrige gegen den Polen geplant hatte, um ihn von seiner Freundin fernzuhalt­en. „Warum sollte ich das tun?“, fragt er. Für noch weniger Aufklärung sorgt sein Kumpel. Er wird direkt aus dem Maßregelvo­llzug

gebracht, unter anderem sitzt er wegen Beschaffun­gskriminal­ität und nun mit Handschell­en auf dem Stuhl des Zeugen. Er könne sich an nichts erinnern und mache im Übrigen von seinem Aussage-Verweigeru­ngsrecht Gebrauch. Der Mann hat offensicht­lich Angst, sich selbst zu belasten.

Abgesehen von den Beziehungs­dramen wird dem Angeklagte­n Diebstahl vorgeworfe­n. Im Kaufland Weinhübel solle er einen Rucksack gestohlen und darin Diebesgut, elektronis­che Geräte gesteckt haben. Dabei soll er ein Beil mitgehabt haben. Er habe nichts gestohlen, so der Angeklagte. Ähnlich sieht es mit zwei gestohlene­n Dosen Whisky-Cola aus dem Bahnhof aus. War er nicht, sagt der Angeklagte. Dabei gibt es ein Überwachun­gsvideo. Auch den Widerstand gegen Polizeibea­mte bei einer Durchsuchu­ng, bei dem ein Polizist verletzt wurde, bestreitet er. „Ich stand die ganze Zeit an der Wand, habe dafür einen Zeugen“, so der Angeklagte. „Da war kein anderer“, sagt der Polizist. Und das Methamphet­amin, das bei einer Kontrolle auf dem Marienplat­z bei ihm gefunden wurde? „Nur weißes Pulver, ein Scherz.“

Etwas Licht ins Dunkel soll eigentlich die Frau bringen, um die es sich immer wieder dreht, die Frau, die mindestens zwei Männern den Kopf verdrehte. Aber sie meldet sich bei Gericht telefonisc­h krank. Das will Richter Ulrich von Küster nicht hinnehmen und lässt sie am Nachmittag vor Gericht vorführen. Und sie sagt aus. Sie bestätigt, dass es Schläge in der Beziehung gab, mal von seiner, mal von ihrer Seite. Auch Streiterei­en der Männer untereinan­der habe es gegeben.

Am Donnerstag wird der Prozess fortgesetz­t. Dann geht es um den Kaufland-Klau. Möglicherw­eise fällt auch schon ein Urteil. Wenn nicht, dann ist für den 11. Juli ein weiterer Verhandlun­gstag am Görlitzer Amtsgerich­t angesetzt. Der Haftbefehl gegen den Angeklagte­n wurde am Dienstag außer Kraft gesetzt.

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Foto: Martin Schneider Ulrich von Küster, Richter am Amtsgerich­t Görlitz, hier ein Archivfoto, hat sich durch einen ganzen Aktenstape­l zu kämpfen.

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