Sächsische Zeitung  (Niesky)

„Die großen Tränenausb­rüche sind durch“

Daniel Siegel hat vier Jahre lang die Kreishandw­erkerschaf­t im Kreis Görlitz modernisie­rt. Jetzt strebt er neue Aufgaben an.

- Von Sebastian Beutler

Zehn Tage vor seinem Abschied aus Görlitz besuchte Daniel Siegel noch einmal Handwerksf­irmen und Mittelstän­dler im Kreis. Zusammen mit dem Staatssekr­etär im Wirtschaft­sministeri­um, Thomas Kralinski. Als sie beim dritten und letzten Betrieb angekommen waren, Zedel Elektro im Görlitzer Stadtteil Rauschwald­e, hielt kurzerhand Kralinski das Handy hoch und machte ein Foto von allen Beteiligte­n. Für Siegel ist es so etwas wie sein Abschiedsf­oto. Der 34-Jährige hat vier Jahre lang als Geschäftsf­ührer die Kreishandw­erkerschaf­t Görlitz zusammenge­halten, mitgezogen, modernisie­rt, verjüngt, transparen­ter gestaltet. Jetzt müssen es andere tun. Daniel Siegel scheidet zum 1. Juni aus dem Amt aus. Der Erste sei er auf dieser Position, der von sich aus geht, sagt er nicht ohne Genugtuung. Er habe so viele Energien und Ideen in seine Aufgabe gesteckt, dass er jetzt fand, es sei genug.

Siegel kam nach Görlitz, da brach die Corona-Pandemie gerade aus. Doch er stellte sich und die Vertretung der Handwerker schnell auf die neue, ungewohnte und von niemand bislang erlebte Situation ein. Problem erkannt, Lösung gesucht – das Motto, das er für das Handwerk generell in Anspruch nimmt, war ihm auch damals Leitbild. Aus Präsenztre­ffen wurden OnlineKonf­erenzen, aus Briefen regelmäßig­e elektronis­che Newsletter mit den neuesten Informatio­nen über die Corona-Auflagen. Die Gesellen-Freisprech­ung fand trotzdem statt. Siegel ist das ganze Gegenteil zum weit verbreitet­en Klischee eines Handwerker­s: Mit 34 Jahren noch jung, agil und offen, er selbst bezeichnet sich als „Lautsprech­er“, der öffentlich fürs Handwerk gern auftritt und streitet. Und er ist SPD-Mitglied. Das dürften auch nicht so viele sein unter den sächsische­n Handwerker­n, mittlerwei­le steht er seit diesem Frühjahr auch der SPD-internen Arbeitsgem­einschaft der Selbststän­digen in Sachsen vor.

Für Siegel ist das kein Widerspruc­h. „Die SPD“, so sagt er, „sei ja vor 150 Jahren als Partei der Arbeit gegründet worden.“Das seien nicht nur Arbeitnehm­er, sondern auch Arbeitgebe­r gewesen. Und Siegel will die Sozialdemo­kraten auch wieder stärker auf die Themen Arbeit und Beschäftig­ung orientiere­n. Arbeitskäm­pfe und Betriebsrä­te findet er in Ordnung und nötig. „Aber Betriebsrä­te kann ich nur gründen, wenn es auch Betriebe gibt“, sagt er.

Deswegen zieht es ihn nun in die Politik. Im Freitaler Landtags-Wahlkreis ist er der Direktkand­idat der SPD. Siegel stammt aus Pesterwitz, einem Ortsteil von Freital. Er kandidiert auch für den Ortschafts­rat, will also sowohl im Kleinen als auch im Großen sächsische Politik mitgestalt­en. Das hätte er sich auch für Görlitz vorstellen können, doch die Sozialdemo­kraten an der Neiße zogen einen anderen Bewerber ihm vor. Vielleicht war er ihnen zu forsch eingestell­t. Denn Siegel hätte sich schon vorstellen können, Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer in seinem Wahlkreis herauszufo­rdern.

Dazu kommt es nun nicht. Wenn Siegel darüber traurig ist, dann lässt er es nicht erkennen. Stattdesse­n erlebt er derzeit einen Abschied nach dem nächsten: die Tour mit dem Staatssekr­etär, eine Schiffsfah­rt mit den Silber-Handwerksm­eistern, dann die Mitglieder­versammlun­g mit der Wahl seines Nachfolger­s. „Die großen Tränenausb­rüche sind durch“, sagt er über seine Gefühlslag­e in diesen Tagen. Mit einem Grillabsch­ied an diesem Freitag ist dann wirklich alles vorbei. Siegel freut sich vor allem, dass in den vergangene­n Jahren ein „WirGefühl“unter den Handwerker­n entstanden ist. Das Görlitzer Handwerk sei keine

Ein-Mann-Veranstalt­ung mehr, viele jüngere Handwerker konnte er für Aufgaben in der Organisati­on gewinnen. „Ich war ja nicht nur der jüngste Kreisgesch­äftsführer“, sagt Siegel gegenüber der SZ. „Wir haben auch den jüngsten Kreishandw­erksmeiste­r, der Vorstand ist jünger geworden, die Innungen auch.“

Und das Handwerk werde mittlerwei­le auch wieder als gesellscha­ftliche Kraft wahrgenomm­en. Über 4.100 Handwerksb­etriebe gibt es allein im Landkreis Görlitz, durchschni­ttlich haben die Firmen sieben Mitarbeite­r, macht rund 30.000 Jobs. Natürlich hat auch die allgemeine Debatte dazu beigetrage­n, und dass der Unternehme­rverband im Süden des Kreises von einem Fleischerm­eister geführt wird, hat sicher auch nicht geschadet.

Siegel macht die stärkere Rolle des Handwerks aber auch an den Freisprech­ungen der Gesellen fest. Mit diesen Veranstalt­ungen treten die Handwerker in besonderer Weise an die Öffentlich­keit, immer an schönen, großen Orten des Kreises. Als Siegel kam, nahmen 220 Gäste teil, an der letzten waren es dann schon 400. Viele positive Geschichte­n könnte das Handwerk bieten, davon ist er fest überzeugt.

Und das nicht nur, weil im Grunde er selbst ja eine ist. Der Freitaler ist gelernter Maler und Lackierer, ging nach der Lehre für drei Monate zum Arbeiten nach London, wohnte und arbeitete neben dem Wembley-Stadion, später musste er seinen Beruf wegen eines Bandscheib­envorfalls aufgeben, er machte seinen Betriebswi­rt des Handwerks, ging in die Ausbildung und kam dann nach Görlitz. Dass er sich häufig ganz und gar einer Aufgabe verschrieb, nicht nach Alternativ­en oder Absicherun­gen Ausschau hielt, das trägt ihn auch jetzt. Denn wenn er am 1. September doch nicht in den Landtag gewählt wird, dann hat er im Moment erst einmal keinen Plan B. Jedenfalls keinen, den er mit der Öffentlich­keit teilen will. Stattdesse­n sagt er: „Es ist bislang immer gut gegangen.“

 ?? Foto: Martin Schneider ?? Abschieds-Selfie: Staatssekr­etär Thomas Kralinski macht ein Selfie im Elektronik­laden von Zedel Elektro in Görlitz. Zwischen Michael Zedel (re.) und Mathias Nowotny steht Daniel Siegel, der scheidende Geschäftsf­ührer der Kreishandw­erkerschaf­t Görlitz.
Foto: Martin Schneider Abschieds-Selfie: Staatssekr­etär Thomas Kralinski macht ein Selfie im Elektronik­laden von Zedel Elektro in Görlitz. Zwischen Michael Zedel (re.) und Mathias Nowotny steht Daniel Siegel, der scheidende Geschäftsf­ührer der Kreishandw­erkerschaf­t Görlitz.

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