„Die großen Tränenausbrüche sind durch“
Daniel Siegel hat vier Jahre lang die Kreishandwerkerschaft im Kreis Görlitz modernisiert. Jetzt strebt er neue Aufgaben an.
Zehn Tage vor seinem Abschied aus Görlitz besuchte Daniel Siegel noch einmal Handwerksfirmen und Mittelständler im Kreis. Zusammen mit dem Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Thomas Kralinski. Als sie beim dritten und letzten Betrieb angekommen waren, Zedel Elektro im Görlitzer Stadtteil Rauschwalde, hielt kurzerhand Kralinski das Handy hoch und machte ein Foto von allen Beteiligten. Für Siegel ist es so etwas wie sein Abschiedsfoto. Der 34-Jährige hat vier Jahre lang als Geschäftsführer die Kreishandwerkerschaft Görlitz zusammengehalten, mitgezogen, modernisiert, verjüngt, transparenter gestaltet. Jetzt müssen es andere tun. Daniel Siegel scheidet zum 1. Juni aus dem Amt aus. Der Erste sei er auf dieser Position, der von sich aus geht, sagt er nicht ohne Genugtuung. Er habe so viele Energien und Ideen in seine Aufgabe gesteckt, dass er jetzt fand, es sei genug.
Siegel kam nach Görlitz, da brach die Corona-Pandemie gerade aus. Doch er stellte sich und die Vertretung der Handwerker schnell auf die neue, ungewohnte und von niemand bislang erlebte Situation ein. Problem erkannt, Lösung gesucht – das Motto, das er für das Handwerk generell in Anspruch nimmt, war ihm auch damals Leitbild. Aus Präsenztreffen wurden OnlineKonferenzen, aus Briefen regelmäßige elektronische Newsletter mit den neuesten Informationen über die Corona-Auflagen. Die Gesellen-Freisprechung fand trotzdem statt. Siegel ist das ganze Gegenteil zum weit verbreiteten Klischee eines Handwerkers: Mit 34 Jahren noch jung, agil und offen, er selbst bezeichnet sich als „Lautsprecher“, der öffentlich fürs Handwerk gern auftritt und streitet. Und er ist SPD-Mitglied. Das dürften auch nicht so viele sein unter den sächsischen Handwerkern, mittlerweile steht er seit diesem Frühjahr auch der SPD-internen Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in Sachsen vor.
Für Siegel ist das kein Widerspruch. „Die SPD“, so sagt er, „sei ja vor 150 Jahren als Partei der Arbeit gegründet worden.“Das seien nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber gewesen. Und Siegel will die Sozialdemokraten auch wieder stärker auf die Themen Arbeit und Beschäftigung orientieren. Arbeitskämpfe und Betriebsräte findet er in Ordnung und nötig. „Aber Betriebsräte kann ich nur gründen, wenn es auch Betriebe gibt“, sagt er.
Deswegen zieht es ihn nun in die Politik. Im Freitaler Landtags-Wahlkreis ist er der Direktkandidat der SPD. Siegel stammt aus Pesterwitz, einem Ortsteil von Freital. Er kandidiert auch für den Ortschaftsrat, will also sowohl im Kleinen als auch im Großen sächsische Politik mitgestalten. Das hätte er sich auch für Görlitz vorstellen können, doch die Sozialdemokraten an der Neiße zogen einen anderen Bewerber ihm vor. Vielleicht war er ihnen zu forsch eingestellt. Denn Siegel hätte sich schon vorstellen können, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in seinem Wahlkreis herauszufordern.
Dazu kommt es nun nicht. Wenn Siegel darüber traurig ist, dann lässt er es nicht erkennen. Stattdessen erlebt er derzeit einen Abschied nach dem nächsten: die Tour mit dem Staatssekretär, eine Schiffsfahrt mit den Silber-Handwerksmeistern, dann die Mitgliederversammlung mit der Wahl seines Nachfolgers. „Die großen Tränenausbrüche sind durch“, sagt er über seine Gefühlslage in diesen Tagen. Mit einem Grillabschied an diesem Freitag ist dann wirklich alles vorbei. Siegel freut sich vor allem, dass in den vergangenen Jahren ein „WirGefühl“unter den Handwerkern entstanden ist. Das Görlitzer Handwerk sei keine
Ein-Mann-Veranstaltung mehr, viele jüngere Handwerker konnte er für Aufgaben in der Organisation gewinnen. „Ich war ja nicht nur der jüngste Kreisgeschäftsführer“, sagt Siegel gegenüber der SZ. „Wir haben auch den jüngsten Kreishandwerksmeister, der Vorstand ist jünger geworden, die Innungen auch.“
Und das Handwerk werde mittlerweile auch wieder als gesellschaftliche Kraft wahrgenommen. Über 4.100 Handwerksbetriebe gibt es allein im Landkreis Görlitz, durchschnittlich haben die Firmen sieben Mitarbeiter, macht rund 30.000 Jobs. Natürlich hat auch die allgemeine Debatte dazu beigetragen, und dass der Unternehmerverband im Süden des Kreises von einem Fleischermeister geführt wird, hat sicher auch nicht geschadet.
Siegel macht die stärkere Rolle des Handwerks aber auch an den Freisprechungen der Gesellen fest. Mit diesen Veranstaltungen treten die Handwerker in besonderer Weise an die Öffentlichkeit, immer an schönen, großen Orten des Kreises. Als Siegel kam, nahmen 220 Gäste teil, an der letzten waren es dann schon 400. Viele positive Geschichten könnte das Handwerk bieten, davon ist er fest überzeugt.
Und das nicht nur, weil im Grunde er selbst ja eine ist. Der Freitaler ist gelernter Maler und Lackierer, ging nach der Lehre für drei Monate zum Arbeiten nach London, wohnte und arbeitete neben dem Wembley-Stadion, später musste er seinen Beruf wegen eines Bandscheibenvorfalls aufgeben, er machte seinen Betriebswirt des Handwerks, ging in die Ausbildung und kam dann nach Görlitz. Dass er sich häufig ganz und gar einer Aufgabe verschrieb, nicht nach Alternativen oder Absicherungen Ausschau hielt, das trägt ihn auch jetzt. Denn wenn er am 1. September doch nicht in den Landtag gewählt wird, dann hat er im Moment erst einmal keinen Plan B. Jedenfalls keinen, den er mit der Öffentlichkeit teilen will. Stattdessen sagt er: „Es ist bislang immer gut gegangen.“