Nieskyer spürt gefallene Soldaten des Weltkriegs auf
Michael Kubitz wollte nur die Familiengeschichte seines Großvaters erforschen. Das Nachforschen lässt ihn genauso wie das Schicksal gefallener Soldaten aus Rothenburg und Görlitz nicht mehr los.
Niesky. Mit seinem Hobby hat ein Nieskyer bereits etwa 4.000 Gefallenen des Zweiten Weltkrieges ein Gesicht gegeben. Michael Kubitz war auf der Suche nach seinem Großvater, als er feststellte, dass es sehr viele Lücken in den ehemaligen Kreisen Rothenburg und Görlitz bei Vermissten des Weltkrieges gibt. Der 64-Jährige recherchierte in verschiedenen Datenbanken, darunter auch US-amerikanischen.
Der Nieskyer stellte fest, dass viele Denkmale für Vermisste, auf denen Namen von Weltkriegsopfern eingraviert sind, nicht vollständig sind. So fehlen beispielsweise in Zodel, in Horka und in Weißkeißel einige Namen von Menschen, die dort starben. Seit der Hobby-Ahnenforscher vor fünf Jahren mit der Suche nach vermissten Gefallenen begann, hat er bereits 14 Orte im ehemaligen Kreis Rothenburg komplett untersucht. (SZ)
Seine Quellen verrät Michael Kubitz nicht. Aber er ist ein Fuchs, was Ahnenforschung und Vermisste angeht, denen der Nieskyer ihre Identität zurückgibt. „Im Internet steht so viel, man muss es nur finden“, sagt der 64-Jährige. Und was er da als Hobbyhistoriker zusammengetragen hat, ist beeindruckend. Sein Laptop ist gefüllt mit Namen von vermissten Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem die aus dem früheren Kreis Rothenburg, aber auch aus dem Kreis Görlitz. Dass die Deutschen so akribisch bei ihren Toten waren und alles registriert haben, davon profitiert nun Kubitz. Er ist vor allem in amerikanischen, mitunter kostenpflichtigen Datenbanken unterwegs, die mehr hergeben als die von deutschen Organisationen, die sich mit Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen.
Rund 4.000 im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten und Offizieren hat Michael Kubitz inzwischen ihre Identität wiedergegeben. Er hat zum Großteil herausgefunden, wann und wo sie gestorben und beerdigt sind. Das heißt, er hat 120 Orte mit den Gefallenen erfasst. Eine erste Orientierung geben ihm die Kriegsdenkmäler in den Ortschaften. „Sie sind fast immer unvollständig. In Zodel, zum Beispiel, fehlen 40 gefallene Soldaten, für Horka habe ich 20 bisher
Vermisste ausfindig gemacht und weiß, wo sie liegen. Weißkeißel hat insgesamt 45 Gefallene, also weitaus mehr als auf dem Gedenkstein“, erzählt Michael Kubitz. Er hat aber auch die Erfahrung gemacht, dass nicht alle Familienangehörigen wollten, dass ihr Sohn oder Vater auf so einem Denkmal erwähnt wird. „Auffallend ist, dass die Soldaten sehr jung gefallen sind, meistens erst um die 20
Jahre waren. Die überwiegende Mehrzahl sind Infanteristen gewesen. Die größte Zahl an Opfern hatte die Wehrmacht in der Ukraine und weniger in Russland. Das offenbarte sich erst jetzt für mich, als ich beide Länder verglich“, berichtet Michael Kubitz von seinen Recherchen. Manches Schicksal geht auch ihm nahe, wie das der beiden Zwillingsbrüder aus Friedersdorf, die in Belgrad gekämpft haben. „Sie sind am selben Tag zur selben Stunde im Kriegsgefecht gestorben.“
Wenn sich einer so wie Michael Kubitz in die Historie hineinkniet, dann stößt er auch auf manche Unwahrheit. „Nicht jeder, der als gefallen oder vermisst gilt, ist im Krieg oder an der Front ums Leben gekommen. Todesfälle hat es in der Zeit des Zweiten Weltkrieges auch durch Unfälle, Krankheiten und Lazarettaufenthalte oder besonders zum Kriegsende hin durch Selbstmord gegeben.“Dieser Personenkreis betrifft Kubitz zufolge immerhin rund 20 Prozent seiner recherchierten Gefallenen. Kubitz musste auch erfahren, dass die Datenlage Vermisster und Gestorbener ihre Grenzen hat. Besonders, wer in den letzten Kriegsmonaten ums Leben kam, ist schwer zu erforschen. „Da ging es im Deutschen Reich drunter und drüber, so dass kaum noch aussagefähige Aufzeichnungen angefertigt wurden und wenn, dann sehr oberflächlich.“
Dass seine Nachforschungen so ein Ausmaß annehmen, das hat sich Kubitz nicht vorstellen können, als er vor fünf Jahren begonnen hat. Inzwischen hat er die Gefallenen in 14 Orten des ehemaligen Kreises Rothenburg zusammen. Die erste Person, nach der er forschte, war sein Großvater. Er war von 1906 bis 1929 Pächter des Rittergutes Quitzdorf. Jener Ort, der 1969 der Talsperre Quitzdorf Platz machen musste. Daher hat Michael Kubitz eine enge Verbindung zu dem bereits im Mittelalter erstmals erwähnten Dorf mit zuletzt rund 150 Einwohnern. Er gehört mit zu den drei Initiatoren, die 2016 einen Stein zur Erinnerung an den Stausee setzten.
Bereits bei seinem Großvater lernte der Disponent bei der Deutschen Bahn und jetzt Rentner den Aufwand der Recherche kennen. „Zu Nachforschungen war ich 15 Mal im Ratsarchiv und habe rund 5.000 Stunden in die Geschichte meines Großvaters und seiner Familie investiert“, erzählt Michael Kubitz. Damit sich das gelohnt hat, will der Enkel die Familiengeschichte in einem Buch aufschreiben. Das hat er sich fest vorgenommen. „Es soll ein Buch für meine Familie werden, nicht für den Buchmarkt“, schränkt der Autor ein.
Überhaupt ist Kubitz ein Forscher im Verborgenen. „Ich mache das hauptsächlich für mich, weil ich große Freude daran habe. Natürlich helfe ich gern anderen bei Nachforschungen.“Jüngstes Beispiel ist ein Archäologe aus Pilsen. Jan Vladar wollte mehr über einen in Nordböhmen abgestürzten Piloten der Luftwaffe erfahren. Michael Kubitz fand binnen fünf Minuten heraus, dass es sich bei Otto Franz Hofbauer um einen Görlitzer Ingenieur handelt. Und noch eine Entdeckung machte Kubitz: Der betreffende Flugplatz, von dem Hofbauer gestartet ist, war ein Ausbildungsplatz für deutsche Flugschüler. „Der Großteil der Flugzeugabstürze geschah nicht bei Kriegshandlungen und Luftgefechten, sondern bei Trainings- und Übungsflügen“, stellte Kubitz anhand der Todesursachen fest.
Wer mit Michael Kubitz aufgrund seiner Nachforschungen zu Kriegsgefallenen in Kontakt treten möchte, wendet sich bitte mit einer E-Mail an die Redaktion der SZ. Wir leiten sie an ihn weiter. Mail: sz.goerlitz@saechsische.de.