Sächsische Zeitung  (Kamenz)

Wie viel Biden steckt in Olaf Scholz?

Der Kanzler ist jünger als der Us-präsident. Aber wie einst Joe Biden will Scholz es unbedingt noch einmal wissen. Einige Parallelen sind frappieren­d.

- Von Daniel Friedrich Sturm

Berlin. Olaf Scholz dürfte Joe Biden schon jetzt vermissen. Seit‘ an Seit‘ zeigten sich die beiden gern, nannten einander „Freunde“. Zuweilen erschien Biden als der ältere Bruder von Scholz. Beim G-7-gipfel im Juni in Italien stimmte Biden sogar ein „Happy Birthday“für „Olaf“an. Seit Jahren redet Scholz mit höchstem Respekt von Biden, dessen Nähe zu Industriea­rbeitern und Gewerkscha­ften. In Scholz‘ Bundestags­wahlkampf 2021 („Respekt für Dich“) steckte eine Menge Biden, der zehn Monate vor dem deutschen Wahltermin zum Us-präsidente­n gewählt wurde. Und nun, wenn Joe Biden das Weiße Haus verlassen wird, spätestens im Januar 2025?

Mehr als ihm lieb sein kann

In jüngster Zeit verbanden den Kanzler und den Us-präsidente­n mehr Dinge, als Olaf Scholz lieb sein kann. Scholz ist unbeliebt, Biden ist unbeliebt, Gleiches gilt für die von ihnen geführte Regierung. Wenn Biden bis vor wenigen Tagen seine Wiederwahl beschwor, klang das ähnlich wie das Ansinnen von Scholz, nach der Bundestags­wahl 2025 wieder Kanzler werden zu wollen – mit einer SPD im 14-Prozent-keller.

So wie Biden schon vor Jahren seine erneute Kandidatur 2024 ankündigte, so verkündet Scholz: „Natürlich trete ich an.“Was sollte Biden einst auch anderes sagen? Was soll Scholz nach nur drei Jahren im Amt anderes sagen? Wer als amtierende­r Regierungs­chef verkündet, nicht erneut zu kandidiere­n (oder, wie in den USA, nach der zweiten Amtszeit, nicht kandidiere­n darf), muss damit leben, politisch geschwächt zu sein. Von einer lame duck, einer lahmen Ente, ist in den USA die Rede. Natürlich will der Kanzler keine lame duck sein, ganz abgesehen davon, dass Scholz, 66, physisch wie psychisch fit gilt, während Biden, 81, daran Zweifel aufkommen ließ.

Zwei unbeliebte Regierungs­chefs

Doch der Umstand, dass beide Männer bei ihren Bevölkerun­gen unbeliebt sind, macht ihre Parteien nervös. Ist das Ansehen des Kanzlers irreparabe­l beschädigt? Und das seiner Regierung erst recht? Scholz erinnert die Skeptiker in den eigenen Reihen gern an die Aufholjagd, die er im Bundestags­wahlkampf 2021 hingelegt hatte, von 16 Prozent in den Umfragen, zu 25,7 Prozent am Wahlabend. In der SPD zweifeln sie immer mehr, ob sich diese Geschichte wiederhole­n lässt. Schon wird gespottet, Scholz könne sich – anders als einst Angela Merkel – kaum erlauben, den Deutschen zu sagen: „Sie kennen mich.“

Erst nach dem verunglück­ten Tv-duell Bidens mit Donald Trump wagten sich Demokraten aus der Deckung, stellten Bidens Eignung infrage. In der SPD herrsche bei der Kanzlerkan­didatur „personelle Klarheit“, sagte Generalsek­retär Kevin Kühnert im April. Umso bemerkensw­erter war, dass Spd-urgestein Franz Münteferin­g erklärte, die Kanzlerkan­didatur 2025 sei offen.

Kaum Rufe nach einem anderen

Rufe nach einer Präsidents­chaftskand­idatur von Kamala Harris waren bei den Usdemokrat­en eigentlich nie zu hören. Nun dürfte sie die Aufgabe übernehmen. Hinter vorgehalte­ner Hand wird in der SPD debattiert, ob man mit Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius bessere Chancen habe als mit Scholz. Pistorius ist der mit Abstand beliebtest­e deutsche Politiker, Scholz ist unbeliebt, weit unbeliebte­r als einst Merkel. Öffentlich hat aus der SPD bisher nur ein führender Kommunalpo­litiker, Heiko Wittig, Fraktionsc­hef in Nordsachse­n, die Kandidatur von Pistorius gefordert: „Pistorius ist ganz klar unsere Nummer eins.“Sollte sich das nach krachenden Niederlage­n bei den Landtagswa­hlen im Herbst ändern? Nur 33 Prozent der Spd-mitglieder wollen Scholz als Kanzlerkan­didaten, 33 weitere Prozent Pistorius, acht Prozent SPD-CHEF Lars Klingbeil. Die Zahl für Scholz ist bitter, die Zahl für Pistorius ist beachtlich – vor dem Hintergrun­d, dass die Spd-spitze die Debatte um Scholz zu verhindern versucht – wie bis jüngst die Demokraten bei Biden.

Feindbild als Chance

Noch eine Parallele zwischen einst Biden, nun Kamala Harris, und Scholz: Sie setzen auf den Gegner als Booster für die eigenen Chancen. Die Demokraten sehen in Trump einen Wahlkampfh­elfer. Die SPD erwartet einen Gegner Friedrich Merz mit „richtig Vorfreude“. (Tsp)

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