Steinbruchbetreiber plant neues Werk
Es ist Freitag, später Nachmittag. 18 Uhr beginnt im Dom das ökumenische Friedensgebet. Ich habe Dienst und sollte rechtzeitig da sein. Wie so oft: Ich bin knapp dran. Ich hetze zur Reichenstraße. Nur keine Zeit verlieren. Am Reichenturm sehe ich von Weitem einen Mann sitzen. Er sieht etwas verwahrlost aus. Ich sehe einen Pappbecher in seiner Hand. Er hofft wohl auf den einen oder anderen Cent. Mich bewegt der Mann. Wie er wohl in diese Situation geraten ist? Ich habe gehört, wie schnell das gehen kann. Schnellen Schrittes komme ich ihm näher. Die Zeit drängt. Jetzt nur nicht in sein Gesicht schauen. Schon betrete ich den Dom. Vielfältige Aufgaben warten auf mich. Fast schon habe ich den Mann vergessen. Am Ende des Friedensgebetes sitze ich noch in der Bankreihe. Mein Blick schweift auf das farbige Kreuz im Dom. Nächste Woche beginnt die Karwoche. Menschen bedenken das Leiden und Sterben Jesu. Die Gefangennahme wird erzählt. Ebenso die Folterung beim Verhör. Schließlich richtet sich der Blick auf die Hinrichtung am Kreuz. Da wird hingeschaut. „Jesus hat für uns gelitten“, wird es an vielen Stellen heißen. Was ist damit gemeint? Leicht zu verstehen ist es nicht. Vermutlich gibt es nicht die eine Antwort drauf. Ich frage mich: „Könnte das vielleicht auch etwas mit dem Mann zu tun haben, den ich am Reichenturm gesehen habe? Oder mit mir und dem Mann?“Fest steht, Jesus ist dem Leid nicht ausgewichen. Vermutlich hätte er das gekonnt. Viele seiner Freunde hatten genau das erwartet. Jesus geht einen anderen Weg. Er lässt sich hinrichten. Er weicht dem Leid nicht aus. Von daher ist ihm Leid nicht fremd. Darauf blicken wir kommende Woche. Mir fällt ein Satz von Jesus ein: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“– „Hinschauen, statt Wegschauen, wenn gelitten wird“, so deute ich das. Da gibt es in meinem Umfeld viel zu sehen. Der Mensch an der Straße mit seinem Pappbecher. Die Frau, die drei Arbeitsverhältnisse hat, weil das Geld sonst nicht reicht. Der Mensch mit körperlicher Beeinträchtigung, der von vielen Dingen ausgeschlossen ist. Der junge Mann, der nach seiner Flucht gehofft hat, hier Frieden zu finden. Für all das viele Leid in der Welt kenne ich keine Lösung. Wegschauen ist einfach. Die kommende Karwoche will mich ermutigen hinzuschauen. Ich weiß, ich kann das Problem des Obdachlosen in der Reichenstraße nicht lösen. Aber wenn ich den Mut habe, ihm ins Gesicht zu schauen, und vielleicht sogar noch ein Gespräch wage, dann wird etwas passieren. Dann gebe ich ihm die Würde als Mensch zurück. Das wird ihn, aber auch mich verändern.