Sächsische Zeitung (Hoyerswerda)
Die BMS öffnet sich auch für Menschen mit Beeinträchtigungen
So wird ein sehbehinderter 22-Jähriger jetzt Ergotherapeut.
Hoyerswerda. „Schule bedeutet nicht nur Lernen, sondern auch gemeinsam Lebenszeit gestalten“, sagt Torsten Rentsch, der Leiter der Bildungsstätte für Medizinal- und Sozialberufe (BMS) Hoyerswerda. Deshalb lernen Besucher des Tages der offenen Tür am Samstag nicht nur Lehrberufe kennen, sondern im Hof bieten Schüler und Menschen aus der Stadt Kindersachen sowie Spielzeug auf einem Flohmarkt an.
Neu ist, dass die BMS ab dem Schuljahr 2023/24 auch junge Menschen mit Behinderung oder vielfältigen Arten der Entwicklungsbeeinträchtigung unterrichten darf, sagt Torsten Rentsch. Eine Lehrkraft ist jetzt für sechs Stunden pro Monat Ansprechpartner für diese Schüler. Das Landesamt für Schule und Bildung hat dem offiziell zugestimmt. In den Ausbildungen zum Ergotherapeuten, Krankenpflegehelfer sowie Masseur und medizinischer Bademeister läuft die inklusive Beschulung erfolgreich. Die beiden letztgenannten Berufe eignen sich auch für Schüler mit Hauptschulabschluss, sagt die Verwaltungsmitarbeiterin Ines Latoschinski. Wenn sie einen Notenschnitt von besser als 3,0 erreichen, bekommen sie den Abschluss der 10. Klasse zuerkannt und können dann Pflegefachmann/-fachfrau oder Physiotherapeut werden. Wegen ihrer abgeschlossenen Ausbildungen kann die Lehrzeit verkürzt werden, erklärt Ines Latoschinski. Für die Berufe Krankenpflegehelfer sowie Masseur und medizinischer Bademeister werden immer Schüler gesucht. Die Klassen für Erzieher, Physio- und Ergotherapeuten sind meist gut besetzt.
Der erste Azubi zum Ergotherapeuten, der eine körperliche Beeinträchtigung hat, ist Justin Richter. Er hat wegen seiner starken Kurzsichtigkeit eine Ausbildung zum Sozialassistenten abbrechen müssen, obwohl Erzieher sein Traumberuf war. Nun will er kranken Kindern und Erwachsenen mit Aktivitäten wie Töpfern oder Specksteinschnitzen mehr Lebensqualität schenken. Solche Erfolge ermutigen die Menschen und sie können ihren Alltag besser meistern, weiß Justin Richter. Da er im Nahbereich alles sieht, kann er wie jeder andere Ergotherapeut beurteilen, ob der Klient die Arbeitstechniken richtig ausführt. Im Unterricht sitzt der 22-Jährige immer vorn, damit er die Texte an der digitalen Tafel gut sieht. „Die Schrift kann auch vergrößert werden“, sagt er. Die BMS stellt ihm einen Laptop zur Verfügung, den er im Zehnfingersystem bedient. Das hat er vorher an der Landesschule für Blinde und Sehbehinderte Chemnitz gelernt. Wenn die Lehrer allen angehenden Ergotherapeuten handwerkliche Arbeitstechniken erklären, hört er gut zu und bekommt diese hinterher noch einmal so gezeigt, dass er sie genau sehen und nachvollziehen kann. Im nächsten Schuljahr will er bei den Praktika gern zeigen, was er bisher gelernt hat, sagt Justin Richter.
Dominique Tittes lernt im dritten Jahr Erzieherin. Sie ist selbst Mutter, lässt sich vom manchmal trubeligen Alltag nicht stressen und erfährt in der Schule mehr darüber, wie Kinder mit bestimmten Situationen umgehen und auf welchen Wegen Erzieher die Lage entspannen können. In der Ausbildung lernen sie auch Beschäftigungsangebote für Gruppen kennen, erzählt Dominique Tittes. Action Painting haben die angehenden Erzieher und Heilerziehungspfleger in der Kulturfabrik ausprobiert und mit Achtklässlern des Oberschulzweiges des Johanneums umgesetzt. Ergebnisse dieses Projektes sind im Flur der BMS ausgestellt und Hoyerswerdaer Bürger können sie während der Öffnungszeiten der Einrichtung besichtigen.