Sächsische Zeitung (Großenhain)
„Kann ich das alleine schaffen?“
Eine Dresdnerin wünscht sich ein Kind, findet aber keinen Partner. Das belastet sie so sehr, dass sie depressiv wird. Dann entscheidet sich die junge Frau für eine Samenspende.
Der kleine Jonathan steht im Sand des Spielplatzes, greift in die Brotdose mit den Himbeeren – und streckt sie seiner Mama entgegen. „Mama“, sagt er: Die Botschaft ist eindeutig. Er möchte, dass sie die Himbeere isst. Etwa anderthalb Jahre ist er alt - und das Spiel mit dem Füttern gefällt ihm gerade gut. Und seine Mama macht es mit. Sie lacht und nimmt die Himbeere. Glücklich sieht sie in diesem Moment aus.
Doch genau das war nicht immer so, erzählt Antonia Hielscher: „Ich war erst lange deprimiert, dann wurde ich sogar depressiv.“Sie habe Suizidgedanken gehabt, sagt sie. Eigentlich heißen die Dresdnerin und ihr Kind anders, aber ihren echten Namen will die junge Mutter nicht in der Zeitung lesen. Der Grund dafür und für ihre Depression: Antonia Hielscher hatte einen starken Kinderwunsch. Sie wollte ein Kind, besser sogar mehrere. Nur eine Sache fehlte eben: der Partner. „Ich hatte da kein glückliches Händchen“, sagt sie.
Dass die Lage heute so anders ist, dass ihr kleiner Sohn so zufrieden vor ihr im Sand steht, ist das Ergebnis einer mutigen Entscheidung, die die junge Frau mit Ende 20 traf. Sie war zwar allein und ohne Partner - aber sollte sie deshalb auf ihr Kind verzichten? Antonia Hielscher bekam es: per Samenspende. Indem sie ihre Geschichte nun erzählt, will sie anderen Mut machen. Sie erinnert sich noch gut an den Prozess, in dem die Entscheidung gefallen ist. Damals war sie im Ausland auf Reisen. „Schön wäre jetzt natürlich, ich könnte die Geschichte erzählen, wie ich mich beim Strandspaziergang entschieden hätte“, sagt sie - und lacht. Tatsächlich sei die Entscheidung aber eher unromantisch in ihrem Zimmer am anderen Ende der Welt gefallen, gebeugt über To-do- und Pro-contra
Listen. „Ich bin ein Listenmensch und habe mich gefragt: Kann ich das alleine schaffen?“Denn nicht nur, dass da kein Partner ist, mit dem sie sich die Aufgabenaufteilen kann. Da ist auch keine Familie, die sie im Alltag unterstützen kann. Ihre Verwandten wohnen zwei bis drei Stunden Autofahrt entfernt, sagt sie.
Drei-jahres-plan
Sie recherchierte, welche Möglichkeiten es gibt – und machte sich einen Drei-jahresPlan. „Die Idee war schnell da.“Die Entscheidung hingegen dauerte. Dennoch sei dann irgendwann klar gewesen: „Wenn ich zurück in Deutschland bin, dann mache ich das.“Sie googelte nach Kliniken und entschied sich für eine in Dänemark. Warum nicht in Deutschland? „Dort ist es günstiger“, begründet Antonia Hielscher. Sie entschied sich für eine Spende, bei der sie Informationen über den Vater erhält. „Auch eine anonyme Spende wäre in Dänemark möglich gewesen“, sagt sie.
Nun hat ihr Sohn die Möglichkeit, später mindestens einmal mit dem Mann in Kontakt zu treten. Denn dazu hat sich der Spender vertraglich verpflichtet. Und das sei ihr auch wichtig gewesen: Diese Möglichkeit wolle sie ihrem Sohn nicht nehmen. Sie selber kenne den Mann nicht, habe aber Informationen über dessen Gesundheit, ob er eine Brille trage – und wie er als Kind aussah. Rund 1.500 Euro habe sie insgesamt bezahlt; weil es beim ersten Versuch gleich klappte. Das wusste sie allerdings nicht sofort, erinnert sie sich. „Ich habe damals einen Frühtest gemacht“, erzählt sie. Das Ergebnis: negativ – und für sie niederschmetternd. „Ich habe damals eine Woche lang durchgeheult“, sagt sie.
Der Gedanke, noch einmal in die Klinik zu müssen, war nicht der schönste – und auch die Sorge, dass es auch beim nächsten Mal nicht klappen könnte, tat weh. „Ich hatte mir fünf Versuche gegeben – damit war ja einer bereits weg.“Warum fünf ? Das sei auch eine Geldfrage gewesen, sagt sie.
Wenig später machte sie dann einen weiteren Schwangerschaftstest. Zu diesem hatte sie sich auch im Vertrag mit der Klinik verpflichten müssen. „Den muss man machen und dann auch das Ergebnis der Klinik mitteilen. So soll verhindert werden, dass es eine Häufung von Spendern in einer Stadt gibt“, erklärt sie. „Es soll ausgeschlossen werden, dass die Spenderkinder vom selben Vater zufällig aufeinandertreffen.“Und dieser zweite Test, der sei dann positiv gewesen – zu ihrer Überraschung und Freude. „Ich hatte in der Zwischenzeit Unterleibsschmerzen und dachte, es wäre ein Abgang. Das war dann wohl der Einnistungsschmerz“, sagt sie. „Ich war damals im siebten Himmel.“
Wie ihre Familie und Freunde das alles aufgenommen hätten? Gut. Die meisten hätten mitgefiebert und sie unterstützt. Sicher ändere sich jetzt einiges in der Beziehung zu den Freunden: Sie und Jonathan gebe es nur im Doppelpack. Abends in die Bar? Da ist sie nicht dabei. „Aber meine Freunde haben Verständnis“, sagt sie.
Wissentlich alleinerziehend: Ist das hart? Antonia zuckt mit den Schultern. „Manchmal glaube ich, dass es fast einfacher ist. Denn es ist immer klar, egal was ist, dass es meine Aufgabe ist“, sagt sie. Bei anderen Eltern erlebe sie oft Streitigkeiten um Gerechtigkeitsfragen: Wer macht mehr, wer kommt zu kurz? „Das habe ich nicht.“
Wenn Antonia heute mit Jonathan spricht, merkt man, wie sehr sie den kleinen Menschen wertschätzt und liebt: ihr Kind. Wie sie abwägt, was sie sagt – und wie sie es sagt, sodass sich auch der kleine Mann damit wohlfühlt. Was sie tut, wirkt durchdacht und bewusst.
Sie führt ein Sprachtagebuch, indem sie notiert, welche Wörter er lernt. Sie nimmt ihn auf dem Arm und tröstet ihn, als Jonathan frustriert ist, weil sein Spielzeugbagger nicht dorthin fährt, wo er soll. Da ist keine Genervtheit, als sie ihm hinterherlaufen muss, weil er die Welt erkundet – sie aber eigentlich gerade ganz andere Pläne hat. Ein Ergebnis der so besonders durchdachten Entscheidung für das Kind? Weil dieser Wunsch so stark war?
Als Antwort auf die Frage schildert sie, wie Leute reagieren, wenn sie berichtet, dass Jonathan jetzt in die Krippe geht. Dann höre sie immer wieder die Aussage, dass sie den Kleinen ja nun immerhin endlich in die Krippe geben könne, um auch mal Zeit für sich zu haben. „Aber so empfinde ich gar nicht“, sagt sie. „Ich muss ja arbeiten, um über die Runden zu kommen – lieber wäre ich aber nicht von Jonathan getrennt. Ich habe ihn gerne um mich.“
Heute, da geht es ihr jedenfalls nicht nur besser, sondern richtig gut, sagt Antonia. „Klar, ein Kind alleinerziehend groß zu ziehen, kann auch mal anstrengend sein“, sagt sie. Keine Frage. Ihre Depressionen seien heute aber komplett verschwunden; dafür habe sie keinen Grund mehr. Der kleine Jonathan sei alles gewesen, was sie wollte. Und nun ist ihr Glück da – und füttert sie auf dem Spielplatz mit Himbeeren.