Sächsische Zeitung (Großenhain)
Letzter Weckruf vor der Wahl
Nach dem brutalen Angriff auf den Europa-spitzenkandidaten der sächsischen SPD zu glauben, dass da gerade etwas am „Kippen“sei in Sachsen, zeugt von unfassbarer Ignoranz und erschreckender Unwissenheit. Wenn man den verharmlosenden Begriff des „Kippens“überhaupt verwenden kann, dann ist das bereits vor vielen Jahren geschehen.
Aus Worten sind längst Taten geworden. Ob gegen Politiker aller Parteien, gegen Journalisten, gegen Polizisten oder Rettungskräfte, gegen Migranten, gegen Juden oder gegen engagierte Bürgerinnen und Bürger – es gehört zur Ehrlichkeit hinzu, die nun endlich auch der Letzte nicht mehr wegdrücken sollte, um – wie es dann heißt – „das Land nicht schlechtzureden“– doch, ja, Sachsen hat ein gravierendes Problem.
Dazu gehört ein über viele Jahre verharmlosender und nivellierender Umgang mit Rechtsextremismus in diesem Bundesland, der sich inzwischen weit in die bürgerliche Mitte hineingefressen hat. Da hat sich bereits etwas scheinbar normalisiert. Die Empörung über platte, populistische, menschen- und demokratiefeindliche Parolen bleibt zu oft aus. Sie wird nicht einmal mehr als anstößig oder störend empfunden. Und nach Jahren der lokalen Vorarbeit sind zahlreiche Vertreter mit extremistischen Parolen jetzt dabei, sich von unten nach oben in sächsische Kommunalvertretungen und Kreistage hochzuarbeiten. Gewalt und Gewaltaufrufe gehören dabei fest dazu. Es geht darum, Angst zu verbreiten und einzuschüchtern, politische Mitbewerber wegzuhalten.
Der brutale Angriff auf den SPD-SPITzenkandidaten Matthias Ecke muss für alle ein Weckruf sein. Dafür, dass die beängstigende Spirale der Gewalt gestoppt werden muss. Dass wir uns nicht damit abfinden dürfen und ohnmächtig danebenstehen dürfen, wie die Faust das Wort ersetzt. Dass Demokratinnen und Demokraten Vorbild für einen anderen Umgang miteinander sein müssen – auch und gerade, wenn sie ihre inhaltlichen Unterschiede austragen. Dass es ganz wichtig, aber nicht ausreichend ist für jeden Einzelnen, sich nur einmal in eine große Demonstration einzureihen. Dass der genervte Rückzug ins Private leider nur den Falschen nützt. Und dass es entscheidend ist, dass sich möglichst viele und dauerhaft für das engagieren – in Parteien, Vereinen, Verbänden, Kirchen oder Gewerkschaften –, für das es sich so sehr lohnt, mitzutun. Nicht nur bis zum nächsten Wahltag.