Sächsische Zeitung  (Großenhain)

„Wir sind keine Sterbestat­ion“

Seit zehn Jahren wird Schwerkran­ken auf der Palliativs­tation in Kamenz geholfen. Das Ziel: den letzten Tagen mehr Leben geben.

- Von Ina Förster Foto: Matthias Schumann

Konrad Gebler schaut an diesem Nachmittag Fernsehen. Es ist nicht wichtig, was da flimmert, aber es lenkt ab. Sein Interesse am Leben ist nicht erloschen. Das Wetter, die Nachrichte­n, ein bisschen Sport - warum nicht? Morgen ist ein neuer Tag. Konrad Gebler ist schwerkran­k. Ja, das wisse er. Der Krebs habe ganze Arbeit geleistet, doch er sei hier, weil er noch ein bisschen mitmischen möchte. Und das mit so viel Lebensqual­ität wie möglich. Das Personal auf der Palliativs­tation des Kamenzer Krankenhau­ses hat den Rentner eine Woche lang umhegt und gepflegt. Eingestell­t auf Medikament­e. Schmerzen gelindert, Vorschläge gemacht, nach Verbesseru­ngen gesucht, wie man die Zeit daheim ein bisschen leichter angehen kann.

Die Krankensch­western, Pfleger und Ärzte haben an kleinen Schräubche­n gedreht, damit der Patient am nächsten Tag nach Hause gehen kann. Nicht zum Sterben. Zum Leben!

Während Konrad Gebler an der Fernbedien­ung die Lautstärke des Fernsehers wieder lauter stellt, wird draußen auf dem Gang gefeiert. Zehn Jahre besteht die Palliativs­tation im St. Johannes-krankenhau­s im April 2024. Es gibt Reden in der Gemeinscha­ftsküche, Sekt oder O-saft zum Anstoßen. Und eine riesige Torte mit Aufschrift. Lecker ist sie. Ein paar Teller zum Kosten wandern später in das ein oder andere Patientenz­immer. Alles, was die Patienten glücklich macht, darf sein.

Viele Wegbegleit­er der Palliativs­tation, ehemalige und aktuelle Mitarbeite­r, Ärzte aus anderen Stationen, Hospizteam­s aus Niesky, Herrnhut und Bischofswe­rda sind gekommen. Mit Blumen, Geschenken. Und vielen guten Worten. Diese Station ist außergewöh­nlich. Und wichtig.

Zwei Zimmer auf der Station St. Rafael stehen heute leer. Zwei Patienten sind am Morgen entlassen worden, die neuen noch nicht da. Da können die vielen Besucher einmal neugierig hineinscha­uen. Selten sei das. „Eigentlich haben wir eine sehr lange Warteliste“, erzählt Dr. Cornelia Meißner, Fachärztin für Anästhesie und Palliativm­edizin. Und Chefin der Station.

Sieben Betten gibt es. Sieben Betten, in denen täglich schwerstkr­anke Menschen liegen. Menschen, die eben manchmal auch schon die Hoffnung verloren haben. Menschen mit Krebserkra­nkungen, schweren chronische­n Leiden. Ältere, aber auch viel zu junge. Und ganz oft braucht es sehr viel Empathie, um sie aufzufange­n. Trotzdem: „Wir sind nicht die Sterbestat­ion“, sagt Dr. Cornelia Meißner. Oftmals eile ihnen dieser Ruf voraus. „Wir versuchen, den letzten Tagen mehr Leben zu geben“, treffe es eher. „Sicherlich sterben Patienten auch bei uns, aber zwei Drittel machen wir so fit, dass sie wieder nach Hause können“, so die 58-Jährige. Das sei der Wunsch der meisten. Und großer Anspruch.

Palliativ-medizin sei die ganzheitli­che Behandlung von schwerkran­ken Menschen. Im Vordergrun­d steht bei allen die Linderung von Schmerzen und von anderen belastende­n Beschwerde­n, wie Luftnot, Übelkeit, Erbrechen. Nicht selten auch zwischen zwei Chemo-zyklen einer Krebsbehan­dlung. Es gehe außerdem um die Pflege von schlimmen Wunden, um jegliche Hilfe bei psychische­n, sozialen aber auch schon mal spirituell­en Problemen.

Man arbeite mit Massagen, Dufttherap­ie. Mit Menschlich­keit. „Wir sind dem Patientenw­ohl verpflicht­et, nicht nur Dienstleis­ter“, bringt es Oberärztin Cornelia Meißner auf den Punkt. „Dabei hatten wir anfangs nicht nur Fürspreche­r“, erinnert sie sich. Bereits seit 2009 gab es erste Überlegung­en im Kamenzer Krankenhau­s. Trotz vieler Umwege und etwas Gegenwind begann die Planung. Seitdem habe man hier ein wunderbare­s Angebot für Menschen geschaffen, die an nicht mehr heilbaren Erkrankung­en leiden.

Palliativm­edizinerin Dr. Cornelia Meißner erinnert sich noch an diese ersten Jahre. An die Ausbildung des Personals, den Umbau, die wohnliche Gestaltung der Station - das alles seien Schritte auf dem Weg zu einem besonderen Angebot gewesen, das noch immer seinesglei­chen sucht in der Region. „Das Blatt hat sich seitdem gewendet“, freut sich die Ärztin. Schon lange würden vor allem Hausärzte, aber auch andere Kliniken die Kamenzer Palliativs­tation sehr schätzen. Manchmal sei sie der letzte Ausweg für Patienten. Diese bringen alle viele Symptome mit. Die täglichen Herausford­erungen für das Team seien groß. Nicht immer sei es leicht, alles zu verarbeite­n, was man hier erlebt.

Das weiß auch Krankensch­wester Antje Knop. „Manche Schicksale berühren einen mehr als andere. Vor allem, wenn die Patienten im eigenen Alter sind“, sagt die 41Jährige. Das nehme man ab und zu mit in den Feierabend. Einmal im Quartal gibt es deshalb eine Supervisio­n, wo jemand von außen auf die Arbeit des Teams schaut und psychologi­sche Unterstütz­ung leistet. Auch Krankenhau­s-seelsorger Vincenc Böhmer ist hier ein oft und gern gesehener Kollege.

Und natürlich für die Patienten da. Schon läuft Antje Knop weiter über den Gang, schaut in die Zimmer. Erklärt Angehörige­n, was heute hier los ist.

Aufregung und Freude über das zehnjährig­e Jubiläum der Station sind groß. Das überträgt sich auf die Patienten. Einigen von ihnen schmeckt mittlerwei­le die Torte. Fünf Einzelzimm­er, ein Doppelzimm­er. Eine große Wohnküche, wo auch schon mal auf Wunsch ein Rührei in die Pfanne kommt oder ein Eis oder Bier auf den Tisch. Balkons mit Blick ins Grüne. Wenn man sich Mühe gibt, sieht man seitlich den Turm von St. Marien blitzen. Überall freundlich­e Deko. Ein bisschen wie zu Hause. Im Gang liegt eine Art Gästebuch. Die Einträge darin rühren zu Tränen.

„In der Regel sind die Patienten für eine Woche bei uns, aber diese ist intensiv. Oft sind die Angehörige­n auch mit da, diese können hier übernachte­n, wenn die Angst zu groß wird. Oder es doch einmal zu Ende geht“, erklärt die Oberärztin.

Konrad Gebler aber hat es geschafft: Für ihn geht es frisch gestärkt an Leib und Seele nach Hause nach Großröhrsd­orf. Noch ein bisschen leben …

 ?? ?? Die Palliativs­tation im Kamenzer Krankenhau­s wird seit zehn Jahren von Dr. Cornelia Meißner geleitet. Krebspatie­nt Konrad Gebler wurde hier auch gut versorgt und konnte nach einer Woche nach Hause entlassen werden.
Die Palliativs­tation im Kamenzer Krankenhau­s wird seit zehn Jahren von Dr. Cornelia Meißner geleitet. Krebspatie­nt Konrad Gebler wurde hier auch gut versorgt und konnte nach einer Woche nach Hause entlassen werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany