Sächsische Zeitung (Großenhain)
„Wir sind keine Sterbestation“
Seit zehn Jahren wird Schwerkranken auf der Palliativstation in Kamenz geholfen. Das Ziel: den letzten Tagen mehr Leben geben.
Konrad Gebler schaut an diesem Nachmittag Fernsehen. Es ist nicht wichtig, was da flimmert, aber es lenkt ab. Sein Interesse am Leben ist nicht erloschen. Das Wetter, die Nachrichten, ein bisschen Sport - warum nicht? Morgen ist ein neuer Tag. Konrad Gebler ist schwerkrank. Ja, das wisse er. Der Krebs habe ganze Arbeit geleistet, doch er sei hier, weil er noch ein bisschen mitmischen möchte. Und das mit so viel Lebensqualität wie möglich. Das Personal auf der Palliativstation des Kamenzer Krankenhauses hat den Rentner eine Woche lang umhegt und gepflegt. Eingestellt auf Medikamente. Schmerzen gelindert, Vorschläge gemacht, nach Verbesserungen gesucht, wie man die Zeit daheim ein bisschen leichter angehen kann.
Die Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte haben an kleinen Schräubchen gedreht, damit der Patient am nächsten Tag nach Hause gehen kann. Nicht zum Sterben. Zum Leben!
Während Konrad Gebler an der Fernbedienung die Lautstärke des Fernsehers wieder lauter stellt, wird draußen auf dem Gang gefeiert. Zehn Jahre besteht die Palliativstation im St. Johannes-krankenhaus im April 2024. Es gibt Reden in der Gemeinschaftsküche, Sekt oder O-saft zum Anstoßen. Und eine riesige Torte mit Aufschrift. Lecker ist sie. Ein paar Teller zum Kosten wandern später in das ein oder andere Patientenzimmer. Alles, was die Patienten glücklich macht, darf sein.
Viele Wegbegleiter der Palliativstation, ehemalige und aktuelle Mitarbeiter, Ärzte aus anderen Stationen, Hospizteams aus Niesky, Herrnhut und Bischofswerda sind gekommen. Mit Blumen, Geschenken. Und vielen guten Worten. Diese Station ist außergewöhnlich. Und wichtig.
Zwei Zimmer auf der Station St. Rafael stehen heute leer. Zwei Patienten sind am Morgen entlassen worden, die neuen noch nicht da. Da können die vielen Besucher einmal neugierig hineinschauen. Selten sei das. „Eigentlich haben wir eine sehr lange Warteliste“, erzählt Dr. Cornelia Meißner, Fachärztin für Anästhesie und Palliativmedizin. Und Chefin der Station.
Sieben Betten gibt es. Sieben Betten, in denen täglich schwerstkranke Menschen liegen. Menschen, die eben manchmal auch schon die Hoffnung verloren haben. Menschen mit Krebserkrankungen, schweren chronischen Leiden. Ältere, aber auch viel zu junge. Und ganz oft braucht es sehr viel Empathie, um sie aufzufangen. Trotzdem: „Wir sind nicht die Sterbestation“, sagt Dr. Cornelia Meißner. Oftmals eile ihnen dieser Ruf voraus. „Wir versuchen, den letzten Tagen mehr Leben zu geben“, treffe es eher. „Sicherlich sterben Patienten auch bei uns, aber zwei Drittel machen wir so fit, dass sie wieder nach Hause können“, so die 58-Jährige. Das sei der Wunsch der meisten. Und großer Anspruch.
Palliativ-medizin sei die ganzheitliche Behandlung von schwerkranken Menschen. Im Vordergrund steht bei allen die Linderung von Schmerzen und von anderen belastenden Beschwerden, wie Luftnot, Übelkeit, Erbrechen. Nicht selten auch zwischen zwei Chemo-zyklen einer Krebsbehandlung. Es gehe außerdem um die Pflege von schlimmen Wunden, um jegliche Hilfe bei psychischen, sozialen aber auch schon mal spirituellen Problemen.
Man arbeite mit Massagen, Dufttherapie. Mit Menschlichkeit. „Wir sind dem Patientenwohl verpflichtet, nicht nur Dienstleister“, bringt es Oberärztin Cornelia Meißner auf den Punkt. „Dabei hatten wir anfangs nicht nur Fürsprecher“, erinnert sie sich. Bereits seit 2009 gab es erste Überlegungen im Kamenzer Krankenhaus. Trotz vieler Umwege und etwas Gegenwind begann die Planung. Seitdem habe man hier ein wunderbares Angebot für Menschen geschaffen, die an nicht mehr heilbaren Erkrankungen leiden.
Palliativmedizinerin Dr. Cornelia Meißner erinnert sich noch an diese ersten Jahre. An die Ausbildung des Personals, den Umbau, die wohnliche Gestaltung der Station - das alles seien Schritte auf dem Weg zu einem besonderen Angebot gewesen, das noch immer seinesgleichen sucht in der Region. „Das Blatt hat sich seitdem gewendet“, freut sich die Ärztin. Schon lange würden vor allem Hausärzte, aber auch andere Kliniken die Kamenzer Palliativstation sehr schätzen. Manchmal sei sie der letzte Ausweg für Patienten. Diese bringen alle viele Symptome mit. Die täglichen Herausforderungen für das Team seien groß. Nicht immer sei es leicht, alles zu verarbeiten, was man hier erlebt.
Das weiß auch Krankenschwester Antje Knop. „Manche Schicksale berühren einen mehr als andere. Vor allem, wenn die Patienten im eigenen Alter sind“, sagt die 41Jährige. Das nehme man ab und zu mit in den Feierabend. Einmal im Quartal gibt es deshalb eine Supervision, wo jemand von außen auf die Arbeit des Teams schaut und psychologische Unterstützung leistet. Auch Krankenhaus-seelsorger Vincenc Böhmer ist hier ein oft und gern gesehener Kollege.
Und natürlich für die Patienten da. Schon läuft Antje Knop weiter über den Gang, schaut in die Zimmer. Erklärt Angehörigen, was heute hier los ist.
Aufregung und Freude über das zehnjährige Jubiläum der Station sind groß. Das überträgt sich auf die Patienten. Einigen von ihnen schmeckt mittlerweile die Torte. Fünf Einzelzimmer, ein Doppelzimmer. Eine große Wohnküche, wo auch schon mal auf Wunsch ein Rührei in die Pfanne kommt oder ein Eis oder Bier auf den Tisch. Balkons mit Blick ins Grüne. Wenn man sich Mühe gibt, sieht man seitlich den Turm von St. Marien blitzen. Überall freundliche Deko. Ein bisschen wie zu Hause. Im Gang liegt eine Art Gästebuch. Die Einträge darin rühren zu Tränen.
„In der Regel sind die Patienten für eine Woche bei uns, aber diese ist intensiv. Oft sind die Angehörigen auch mit da, diese können hier übernachten, wenn die Angst zu groß wird. Oder es doch einmal zu Ende geht“, erklärt die Oberärztin.
Konrad Gebler aber hat es geschafft: Für ihn geht es frisch gestärkt an Leib und Seele nach Hause nach Großröhrsdorf. Noch ein bisschen leben …