Sächsische Zeitung (Großenhain)
Deutlich mehr Firmeninsolvenzen Sundair kauft Marke „Air Berlin“
Vor sechs Jahren noch war die Eisteemarke Nestea mit einem zweistelligen Marktanteil die Nummer eins in Deutschland. Nun hat Nestlé die Marke in Deutschland nach 75 Jahren eingestellt, Eigenmarken der Händler und hippe Newcomer wie 4Bro waren vorbeigezogen. Auch die einstige Kultmarke Punica ist nach 45 Jahren verschwunden. Lizenzinhaber Pepsico konnte den Umsatzeinbruch nicht stoppen.
Immer mehr etablierte Marken geraten unter Druck. Die Kaufzurückhaltung in Zeiten der Inflation verschärft die Auslese, wie aktuelle Daten zeigen. Verglichen mit 2020 haben die 100 größten globalen Brands 20 Prozent an Wert verloren, ermittelte Marktforscher Kantar. Ihr Umsatz ist gleichzeitig um mehr als fünf Milliarden Euro gesunken.
Nach jüngsten Zahlen des Marktforschers GFK kaufen Verbraucher andererseits verstärkt preisgünstige No-name-produkte. Zwischen Juli 2022 und Juni 2023 stieg ihr Marktanteil in Deutschland zum Vorjahreszeitraum um 3,6 Punkte auf 45 Prozent. Insbesondere besonders billige Einstiegsmarken wie „Ja“oder „Gut & Günstig“gewinnen. Ist das Zeitalter der großen Marken vorbei?
Laut Kantar haben selbst Topmarken zweistellig an Markenwert eingebüßt: Nespresso (minus 17 Prozent), Lindt (minus 16 Prozent), L’oréal (minus 20 Prozent) oder Kinder-schokolade (minus 15 Prozent). Nur die Kultmarke Coca-cola gilt als Ausnahmeerscheinung: Im aktuellen Kantar-ranking legte die Markenfamilie mit Coke (plus neun Prozent), Fanta (plus 15 Prozent) und Sprite (plus 12 Prozent) kräftig zu.
Siegeszug der Handelsmarken
Mittlerweile führen Hersteller sogar Traditionsmarken nicht mehr um jeden Preis fort, wenn sie nicht genügend Marge bringen. So verschwanden Ende 2022 die legendären Streifengummis des jahrzehntelangen Marktführers Wrigley vom deutschen Markt. Kunden bevorzugten heute Kaudragees, argumentiert Hersteller Mars.
Noch in der Pandemie waren Marken gefragt. Während die Verbraucher unter den Restriktionen litten, wollten sich viele von ihnen vermeintlich hochwertigere Produkte gönnen. Doch seit der Krieg in der Ukraine und die Inflation die Wirtschaft belasten, müssen viele Menschen sparen. Günstige Handelsmarken gewinnen in vielen Kategorien Marktanteile.
War vielen der Wechsel zu Eigenmarken früher unangenehm, machen sie nun gute Erfahrungen. Laut Stiftung Warentest sind viele Handelsmarken qualitativ genauso gut wie Marken, mitunter sogar besser. Das Angebot der Eigenmarken ist vielfältiger geworden, auch die Verpackungen sehen nicht mehr aus wie billige Kopien. In einer repräsentativen Umfrage des Onlinevermarkterkreises zeigten sich 83 Prozent der Befragten überzeugt, Handelsmarken und Markenartikel seien im Prinzip das
Gleiche. Das einzige Unterscheidungsmerkmal sei oft nur der Preis. Eigenmarken sind laut Vergleichsapp Smhaggle im Schnitt 45 Prozent günstiger als Markenprodukte.
Entwöhnen sich Kunden so dauerhaft von Marken? Hersteller verneinen das zwar. „Verbraucher haben sich in makroökonomischen Krisenzeiten immer in Richtung Handelsmarken bewegt“, sagt etwa Carsten Knobel, Chef des Persil-produzenten Henkel. Bei einer Normalisierung der Lage habe sich das wieder korrigiert.
Das Erstarken der Eigenmarken liegt auch daran, dass der Handel sie stärker zur Profilierung nutzt. Vollsortimenter wie Edeka oder Rewe wollen in Zeiten der Kaufzurückhaltung als preisgünstig wahrgenommen werden. „Der Handel versucht, Kunden zu seinen eigenen Marken zu lenken, indem er sie etwa prominenter im Regal oder im Handzettel platziert“, sagt Okzin Kim, Konsumgüterexpertin bei Nielseniq.
Die Händler sind selbstbewusster geworden, positionieren sich gegenüber den Kunden als Anwalt für günstige Preise. Die Verhandlungen mit den Herstellern sind vor allem bei Edeka eskaliert. Zwischenzeitlich fehlten bei Deutschlands größtem Lebensmitteleinzelhändler die Produkte von rund zwei Dutzend Markenherstellern. Besonders auffällig ist das bei Schokoriegeln und Tierfutter von Mars, die es bei Edeka schon seit fast einem Jahr nicht mehr gibt.
Die Regallücken schließt der Händler mit Eigenmarken oder Marken, die hierzulande noch unbekannt sind. Das zeigt, wie der Handel als Gatekeeper über Regalplätze entscheidet. Viele Markenartikler haben das Nachsehen. „Teile des deutschen Handels
führen einen Kampf gegen die Marken – auch gegen die des Mittelstandes“, klagt Lars Wagener, Chef des Meßmer-tee-produzenten Laurens Spethmann Holding.
Zur Krise der Marken haben einige Hersteller selbst beigetragen. „Markenhersteller können sich nicht mehr allein auf ihren Namen verlassen, sondern müssen verstärkt auf ihre Marke aufmerksam machen“, mahnt Nielseniq-expertin Kim. Doch genau da sparen viele Markenartikler: Die 60 größten Hersteller von Alltagsprodukten haben laut Nielsen Media 2022 zehn Prozent weniger für Werbung ausgeben als im Vorjahr. Ein Grund: Hersteller kämpfen mit nie dagewesenen Mehrkosten für Rohstoffe und Fracht und konnten diese nicht im gesamten Umfang weitergeben. Kurzfristig versuchen Markenartikler, ihren Absatz durch vermehrte Sonderangebote anzukurbeln. So wurden zuletzt mehr als acht von zehn Packungen Iglo-fischstäbchen, Ehrmann-almigurt oder Dallmayr-kaffee in Aktionen gekauft, wie Smhaggle ermittelte. Fachleute warnen jedoch, dass sich Marken durch das Verramschen nicht nur preislich, sondern auch in der Reputation abwerten.
Der Abstieg der Mittelmarken
Von der Krise sind vor allem Mittelmarken betroffen. „Die Mega-marken werden ihre Dominanz verteidigen können“, schätzt Rainer Münch, Leiter der europäischen Praxisgruppe Handel und Konsumgüter bei der Beratung Oliver Wyman. „Bei den Bund C-marken wird es dagegen einen Bereinigungsprozess geben.“
Das zeigt sich bei Henkel. Der Konzern hat vor allem Mittelmarken im schwächelnden Kosmetikgeschäft im Wert von 200 Millionen Euro Umsatz eingestellt oder verkauft – etwa die Haarpflegemarke Pert oder das Mundpflegegeschäft von Theramed. Henkel will auf weniger, aber margenstärkere Marken setzen.
Früher gab es im Handel hohe Eintrittsbarrieren – praktisch eine Bestandsgarantie für bisherige Marken, so Berater Münch. „Heute ist es für B- und C-marken sehr viel unbarmherziger geworden, das Ein- und Auslisten von Marken geht jetzt schneller.“Künftig würden neben der A-marke und der Eigenmarke überwiegend innovative Hersteller ihren Platz im Regal finden, die es schaffen, ihre Marke durch besondere Eigenschaften aufzuladen.
Während etablierte Markenhersteller im Handel straucheln, schaffen es junge Start-ups wie Glossybox oder Junglück, mit dem Direktvertrieb von Waren über eigene Onlineshops und soziale Netzwerke kräftig zu wachsen. Durch die direkte Ansprache können sie sehr gezielt auf Kundenwünsche reagieren.
„Die jungen Social-commerce-marken werden ihren Marktanteil weiter ausbauen“, so Oliver-wyman-experte Münch. Sie würden neue Trends prägen und damit ein ganz anderes Momentum hinter ihre Marke bringen. Deshalb werde es künftig nicht weniger Marken geben, „aber es gibt eine schnellere Veränderung“.
Dass jungen Marken oft ein schneller Aufstieg gelingt, erklärt sich Markenexperte Grünewald so: „Klassische Marken geben wie eine elterliche Instanz Orientierung im Alltag und machen Vorgaben.“Das komme bei jüngeren Käufern nicht immer gut an. „Start-up-marken fungieren wie der große Bruder oder die große Schwester.“Sie würden auf Augenhöhe auftreten und vorleben, wie man es anders mache – dialogisch statt tonangebend. (Handelsblatt)
Kamenz. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist in Sachsen deutlich gestiegen. Im ersten Halbjahr hätten 377 Firmen einen entsprechenden Antrag bei den Amtsgerichten gestellt. Das sei ein Anstieg um fast ein Drittel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, teilte das Statistische Landesamt am Dienstag in Kamenz mit. Dabei hätten Gläubiger Forderungen von 270 Millionen Euro angemeldet. Am stärksten betroffen waren demnach Unternehmen aus dem Baugewerbe. Laut dem Handelsverband Sachsen (HVS) zeigt die veröffentlichte Statistik allerdings nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich sterbe der Handel größtenteils leise. Die meisten Schließungen würden in keiner Insolvenzstatistik auftauchen, sagte der Hvs-hauptgeschäftsführer René Glaser. (dpa)
Berlin/frankfurt. Sechs Jahre nach der Pleite der Fluggesellschaft ist der Markenname „Air Berlin“an einen Luftverkehrsunternehmer verkauft worden. Käufer ist der Sundair-gründer Marcos Rossello, wie Insolvenzverwalter Lucas Flöther am Dienstag bestätigte. Zuerst hatte das Portal Aerotelegraph berichtet und einen Kaufpreis von 120.190 Euro genannt. Air Berlin war 2017 als damals zweitgrößte deutsche Airline in die Pleite geflogen. Um die Markenrechte hat es nun ein Bieterverfahren gegeben. Ob Rossello die bekannte Marke wieder an den Himmel bringen wird, blieb zunächst unklar. Dem Aerotelegraph sagte er, dass er einige Ideen habe. Es sei aber unwahrscheinlich, dass er den Namen für die von ihm gegründete Sundair verwenden werde. (dpa)