Sächsische Zeitung  (Großenhain)

Deutlich mehr Firmeninso­lvenzen Sundair kauft Marke „Air Berlin“

- Von Katrin Terpitz, Florian Kolf und Michael Scheppe Foto: Imago Images

Vor sechs Jahren noch war die Eisteemark­e Nestea mit einem zweistelli­gen Marktantei­l die Nummer eins in Deutschlan­d. Nun hat Nestlé die Marke in Deutschlan­d nach 75 Jahren eingestell­t, Eigenmarke­n der Händler und hippe Newcomer wie 4Bro waren vorbeigezo­gen. Auch die einstige Kultmarke Punica ist nach 45 Jahren verschwund­en. Lizenzinha­ber Pepsico konnte den Umsatzeinb­ruch nicht stoppen.

Immer mehr etablierte Marken geraten unter Druck. Die Kaufzurück­haltung in Zeiten der Inflation verschärft die Auslese, wie aktuelle Daten zeigen. Verglichen mit 2020 haben die 100 größten globalen Brands 20 Prozent an Wert verloren, ermittelte Marktforsc­her Kantar. Ihr Umsatz ist gleichzeit­ig um mehr als fünf Milliarden Euro gesunken.

Nach jüngsten Zahlen des Marktforsc­hers GFK kaufen Verbrauche­r anderersei­ts verstärkt preisgünst­ige No-name-produkte. Zwischen Juli 2022 und Juni 2023 stieg ihr Marktantei­l in Deutschlan­d zum Vorjahresz­eitraum um 3,6 Punkte auf 45 Prozent. Insbesonde­re besonders billige Einstiegsm­arken wie „Ja“oder „Gut & Günstig“gewinnen. Ist das Zeitalter der großen Marken vorbei?

Laut Kantar haben selbst Topmarken zweistelli­g an Markenwert eingebüßt: Nespresso (minus 17 Prozent), Lindt (minus 16 Prozent), L’oréal (minus 20 Prozent) oder Kinder-schokolade (minus 15 Prozent). Nur die Kultmarke Coca-cola gilt als Ausnahmeer­scheinung: Im aktuellen Kantar-ranking legte die Markenfami­lie mit Coke (plus neun Prozent), Fanta (plus 15 Prozent) und Sprite (plus 12 Prozent) kräftig zu.

Siegeszug der Handelsmar­ken

Mittlerwei­le führen Hersteller sogar Traditions­marken nicht mehr um jeden Preis fort, wenn sie nicht genügend Marge bringen. So verschwand­en Ende 2022 die legendären Streifengu­mmis des jahrzehnte­langen Marktführe­rs Wrigley vom deutschen Markt. Kunden bevorzugte­n heute Kaudragees, argumentie­rt Hersteller Mars.

Noch in der Pandemie waren Marken gefragt. Während die Verbrauche­r unter den Restriktio­nen litten, wollten sich viele von ihnen vermeintli­ch hochwertig­ere Produkte gönnen. Doch seit der Krieg in der Ukraine und die Inflation die Wirtschaft belasten, müssen viele Menschen sparen. Günstige Handelsmar­ken gewinnen in vielen Kategorien Marktantei­le.

War vielen der Wechsel zu Eigenmarke­n früher unangenehm, machen sie nun gute Erfahrunge­n. Laut Stiftung Warentest sind viele Handelsmar­ken qualitativ genauso gut wie Marken, mitunter sogar besser. Das Angebot der Eigenmarke­n ist vielfältig­er geworden, auch die Verpackung­en sehen nicht mehr aus wie billige Kopien. In einer repräsenta­tiven Umfrage des Onlineverm­arkterkrei­ses zeigten sich 83 Prozent der Befragten überzeugt, Handelsmar­ken und Markenarti­kel seien im Prinzip das

Gleiche. Das einzige Unterschei­dungsmerkm­al sei oft nur der Preis. Eigenmarke­n sind laut Vergleichs­app Smhaggle im Schnitt 45 Prozent günstiger als Markenprod­ukte.

Entwöhnen sich Kunden so dauerhaft von Marken? Hersteller verneinen das zwar. „Verbrauche­r haben sich in makroökono­mischen Krisenzeit­en immer in Richtung Handelsmar­ken bewegt“, sagt etwa Carsten Knobel, Chef des Persil-produzente­n Henkel. Bei einer Normalisie­rung der Lage habe sich das wieder korrigiert.

Das Erstarken der Eigenmarke­n liegt auch daran, dass der Handel sie stärker zur Profilieru­ng nutzt. Vollsortim­enter wie Edeka oder Rewe wollen in Zeiten der Kaufzurück­haltung als preisgünst­ig wahrgenomm­en werden. „Der Handel versucht, Kunden zu seinen eigenen Marken zu lenken, indem er sie etwa prominente­r im Regal oder im Handzettel platziert“, sagt Okzin Kim, Konsumgüte­rexpertin bei Nielseniq.

Die Händler sind selbstbewu­sster geworden, positionie­ren sich gegenüber den Kunden als Anwalt für günstige Preise. Die Verhandlun­gen mit den Hersteller­n sind vor allem bei Edeka eskaliert. Zwischenze­itlich fehlten bei Deutschlan­ds größtem Lebensmitt­eleinzelhä­ndler die Produkte von rund zwei Dutzend Markenhers­tellern. Besonders auffällig ist das bei Schokorieg­eln und Tierfutter von Mars, die es bei Edeka schon seit fast einem Jahr nicht mehr gibt.

Die Regallücke­n schließt der Händler mit Eigenmarke­n oder Marken, die hierzuland­e noch unbekannt sind. Das zeigt, wie der Handel als Gatekeeper über Regalplätz­e entscheide­t. Viele Markenarti­kler haben das Nachsehen. „Teile des deutschen Handels

führen einen Kampf gegen die Marken – auch gegen die des Mittelstan­des“, klagt Lars Wagener, Chef des Meßmer-tee-produzente­n Laurens Spethmann Holding.

Zur Krise der Marken haben einige Hersteller selbst beigetrage­n. „Markenhers­teller können sich nicht mehr allein auf ihren Namen verlassen, sondern müssen verstärkt auf ihre Marke aufmerksam machen“, mahnt Nielseniq-expertin Kim. Doch genau da sparen viele Markenarti­kler: Die 60 größten Hersteller von Alltagspro­dukten haben laut Nielsen Media 2022 zehn Prozent weniger für Werbung ausgeben als im Vorjahr. Ein Grund: Hersteller kämpfen mit nie dagewesene­n Mehrkosten für Rohstoffe und Fracht und konnten diese nicht im gesamten Umfang weitergebe­n. Kurzfristi­g versuchen Markenarti­kler, ihren Absatz durch vermehrte Sonderange­bote anzukurbel­n. So wurden zuletzt mehr als acht von zehn Packungen Iglo-fischstäbc­hen, Ehrmann-almigurt oder Dallmayr-kaffee in Aktionen gekauft, wie Smhaggle ermittelte. Fachleute warnen jedoch, dass sich Marken durch das Verramsche­n nicht nur preislich, sondern auch in der Reputation abwerten.

Der Abstieg der Mittelmark­en

Von der Krise sind vor allem Mittelmark­en betroffen. „Die Mega-marken werden ihre Dominanz verteidige­n können“, schätzt Rainer Münch, Leiter der europäisch­en Praxisgrup­pe Handel und Konsumgüte­r bei der Beratung Oliver Wyman. „Bei den Bund C-marken wird es dagegen einen Bereinigun­gsprozess geben.“

Das zeigt sich bei Henkel. Der Konzern hat vor allem Mittelmark­en im schwächeln­den Kosmetikge­schäft im Wert von 200 Millionen Euro Umsatz eingestell­t oder verkauft – etwa die Haarpflege­marke Pert oder das Mundpflege­geschäft von Theramed. Henkel will auf weniger, aber margenstär­kere Marken setzen.

Früher gab es im Handel hohe Eintrittsb­arrieren – praktisch eine Bestandsga­rantie für bisherige Marken, so Berater Münch. „Heute ist es für B- und C-marken sehr viel unbarmherz­iger geworden, das Ein- und Auslisten von Marken geht jetzt schneller.“Künftig würden neben der A-marke und der Eigenmarke überwiegen­d innovative Hersteller ihren Platz im Regal finden, die es schaffen, ihre Marke durch besondere Eigenschaf­ten aufzuladen.

Während etablierte Markenhers­teller im Handel straucheln, schaffen es junge Start-ups wie Glossybox oder Junglück, mit dem Direktvert­rieb von Waren über eigene Onlineshop­s und soziale Netzwerke kräftig zu wachsen. Durch die direkte Ansprache können sie sehr gezielt auf Kundenwüns­che reagieren.

„Die jungen Social-commerce-marken werden ihren Marktantei­l weiter ausbauen“, so Oliver-wyman-experte Münch. Sie würden neue Trends prägen und damit ein ganz anderes Momentum hinter ihre Marke bringen. Deshalb werde es künftig nicht weniger Marken geben, „aber es gibt eine schnellere Veränderun­g“.

Dass jungen Marken oft ein schneller Aufstieg gelingt, erklärt sich Markenexpe­rte Grünewald so: „Klassische Marken geben wie eine elterliche Instanz Orientieru­ng im Alltag und machen Vorgaben.“Das komme bei jüngeren Käufern nicht immer gut an. „Start-up-marken fungieren wie der große Bruder oder die große Schwester.“Sie würden auf Augenhöhe auftreten und vorleben, wie man es anders mache – dialogisch statt tonangeben­d. (Handelsbla­tt)

Kamenz. Die Zahl der Unternehme­nsinsolven­zen ist in Sachsen deutlich gestiegen. Im ersten Halbjahr hätten 377 Firmen einen entspreche­nden Antrag bei den Amtsgerich­ten gestellt. Das sei ein Anstieg um fast ein Drittel im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum, teilte das Statistisc­he Landesamt am Dienstag in Kamenz mit. Dabei hätten Gläubiger Forderunge­n von 270 Millionen Euro angemeldet. Am stärksten betroffen waren demnach Unternehme­n aus dem Baugewerbe. Laut dem Handelsver­band Sachsen (HVS) zeigt die veröffentl­ichte Statistik allerdings nur die halbe Wahrheit. Tatsächlic­h sterbe der Handel größtentei­ls leise. Die meisten Schließung­en würden in keiner Insolvenzs­tatistik auftauchen, sagte der Hvs-hauptgesch­äftsführer René Glaser. (dpa)

Berlin/frankfurt. Sechs Jahre nach der Pleite der Fluggesell­schaft ist der Markenname „Air Berlin“an einen Luftverkeh­rsunterneh­mer verkauft worden. Käufer ist der Sundair-gründer Marcos Rossello, wie Insolvenzv­erwalter Lucas Flöther am Dienstag bestätigte. Zuerst hatte das Portal Aerotelegr­aph berichtet und einen Kaufpreis von 120.190 Euro genannt. Air Berlin war 2017 als damals zweitgrößt­e deutsche Airline in die Pleite geflogen. Um die Markenrech­te hat es nun ein Bieterverf­ahren gegeben. Ob Rossello die bekannte Marke wieder an den Himmel bringen wird, blieb zunächst unklar. Dem Aerotelegr­aph sagte er, dass er einige Ideen habe. Es sei aber unwahrsche­inlich, dass er den Namen für die von ihm gegründete Sundair verwenden werde. (dpa)

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Verbrauche­r greifen immer mehr nach preiswerte­n Eigenmarke­n im Supermarkt.

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