Sächsische Zeitung  (Görlitz)

Rebell, Schuster, Philosoph: Görlitz feiert seinen berühmtest­en Bürger

Das Schlesisch­e Museum zu Görlitz widmet Jacob Böhme eine große Ausstellun­g: dem wohl weltweit am weitesten bekannten und zugleich geheimnisv­ollsten Görlitzer.

- Von Ines Eifler Hinweis: Das Schlesisch­e Museum zu Görlitz bietet zur Ausstellun­g ein umfangreic­hes Veranstalt­ungsprogra­mm, das am 31. August, um 18 Uhr mit dem Vortrag Lucinda Martins über die Verbreitun­g von Böhmes Schriften beginnt und bis zum 2. Febru

M– so wird der große Denker Jacob Böhme genannt. Und mit einem Hauch von Mystik wird man in der neuen Ausstellun­g „Lilienzeit“im Schlesisch­en Museum auch empfangen, die am Abend des 30. August eröffnet wird.

Mit tiefroten Tüchern sind die Wände des hohen Raumes bespannt, darauf abgebildet sind Symbole, die Jacob Böhme sehr wichtig waren – die Lilie, ein Kreis, die Sonne. Edles Gold und reines Weiß sind die Kontrastfa­rben zu diesem schönen Rot, gedämpft ist das Licht, damit die 300 Jahre alten, sehr wertvollen Bücher keinen Schaden nehmen, und eine Stimme spricht leise von Weltgrund, Geheimnis und Ewigkeit.

Von Jacob Böhmes Gedankenwe­lt erzählt die Ausstellun­g und von der großen Reise seiner Schriften von Görlitz aus in die ganze Welt. Kuratorinn­en sind die Religionsw­issenschaf­tlerin und Böhme-Forscherin Lucinda Martin und die Kunsthisto­rikerin Claudia Brink von den Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden. Schon seit mehreren Jahren sind die beiden Wissenscha­ftlerinnen mit der Ausstellun­g zu Jacob Böhme unterwegs.

In immer wieder anderer Gestalt und unter verschiede­nen Titeln war die Schau 2017 in der Dresdner Schlosskap­elle, 2019 in Coventry und Amsterdam sowie 2022 in Breslau (Wroc aw) zu sehen. Nun ist sie anlässlich des 450. Geburtstag­es (1575) und des 400. Todestages (1624) von Jacob Böhme unter dem Titel „Lilienzeit“in Görlitz zu Gast.

„Lilienzeit“meint idealen Zustand

Als Lilienzeit bezeichnet­e Jacob Böhme einen idealen Zustand der Welt. In seinem ersten Werk „Aurora“schrieb er von einem mystischen Erlebnis in seiner Schusterwe­rkstatt, durch das er erkannt habe, dass Dunkelheit und Licht untrennbar zusammenge­hören und als zwei Kräfte in allen Dingen wirken – als ja und nein, gut und böse, Leben und Tod. Ohne diese Gegensätze stehe alles still, aus ihrem Kampf schöpfe die Natur ihre Kraft.

Auf dieser Erkenntnis baute Böhme eine ganze Gedankenwe­lt auf, die er über Jahre hinweg vertiefte und ausbaute. Er ging davon aus, dass sich in der Zukunft die Gegensätze in allen Dingen harmonisie­ren würden und sprach in diesem Zusammenha­ng von „Lilienzeit“.

In der Ausstellun­g sind zum einen historisch­e Ausgaben von Böhmes Schriften zu sehen, überwiegen­d Leihgaben aus der Oberlausit­zischen Bibliothek der Wissenscha­ften, aber auch so besondere Bücher wie eine kleine Ausgabe von Jacob Böhmes Briefen aus dem Privatbesi­tz von Lucinda Martin. Ein Kupferstic­h aus dem Graphische­n Kabinett der Görlitzer Sammlungen zeigt Böhme in der Schusterwe­rkstatt, vertieft ins Schreiben, sein Werkzeug unaufgeräu­mt in der Ecke. Die Drucke von Böhmes Werken enthalten oftmals Darstellun­gen von Modellen, mit denen sich seine Anhänger seine Weltsicht verdeutlic­hen wollten.

Böhme-Tourismus schon um 1714

Diese Anhänger hatte Jacob Böhme nicht nur unter oberlausit­zer Ärzten und Juristen oder schlesisch­en Adligen, die ihn unterstütz­ten. Waren seine Schriften offiziell verboten, weil sie dem damaligen Verständni­s von Gott widersprac­hen, eröffneten sie im Geheimen die Möglichkei­t, frei zu diskutiere­n. In Lesekreise­n gingen Böhmes Schriften von Hand zu Hand, wurden kopiert und weitergege­ben. Bis in die Niederland­e und nach England verbreitet­en sie sich und wurden teilweise dort gedruckt.

In einem dieser Bücher ist am Ende der gefaltete Stadtplan von Görlitz aus dem Jahr 1714 enthalten. Weil dort Jacob Böhmes Wohnhaus und sein Grab auf dem Nikolaifri­edhof in die Legende aufgenomme­n wurden, geht Lucinda Martin davon aus, dass es bereits im 18. Jahrhunder­t einen Böhme-Tourismus gab, der seine Anhänger nach Görlitz führte.

Die Reichweite des Böhme-Netzwerks bis nach Nord- und Südamerika, nach Skandinavi­en oder Estland lässt sich in der Ausstellun­g auf einer Medienstat­ion gut nachvollzi­ehen. Auf anderen Bildschirm­en kann man sich in Böhmes Symbolik vertiefen, ein historisch­es Pop-up-Buch erkunden oder in Böhmes „Aurora“-Handschrif­t

Buch mit einem Porträt Böhmes, wie ihn sich seine niederländ­ischen Anhänger vorstellte­n. Kupferstic­h von P. S. van Gunst, 1715 lesen. Die Seiten lassen sich nach Themen wie Freiheit, Weisheit, Natur, Schöpfung oder Kosmos ansteuern und sind mit einer Übersetzun­g in heutiges Deutsch versehen.

Besonders spannend ist die Geschichte von 200 Jahre lang verscholle­n geglaubten Handschrif­ten Jacob Böhmes. Ein Pfarrer aus Linz in Rheinland-Pfalz wandte sich 1941 an die Stadt Görlitz. In seiner Nachbarsch­aft gebe es eine Gruppierun­g, die im Besitz der originalen Schriften sei, aber die Gestapo habe sie beschlagna­hmt, weil sie die Theosophie Jacob Böhmes mit der (damals) verbotenen Theosophie Rudolf Steiners verwechsel­t habe.

Ort für Böhme-Dauerschau gesucht

Das Missverstä­ndnis klärte sich auf, die Werke kehrten zurück nach Görlitz, doch als gegen Kriegsende die Schätze der Stadt in umliegende Schlösser ausgelager­t wurden, ging erneut ein Teil der Böhme-Schriften verloren – bis heute wird er in der Uniystiker versitätsb­ibliothek Breslau (Wroc aw) bewahrt.

„Lilienzeit“ist der Abschluss der Böhme-Ausstellun­gsreihe der Staatliche­n Kunstsamml­ungen. Geplant war von Beginn an, dass daraus eine Dauerausst­ellung für Görlitz entstehen werde.

Der ursprüngli­ch dafür vorgesehen­e Ort, die gerade im Bau befindlich­e Dreifaltig­keitskirch­e, komme dafür vermutlich nicht mehr infrage, sagen Lucinda Martin und Claudia Brink. „Das dauert viel zu lange. Wir werden sicher einen anderen Ort in Görlitz finden.“

Welch eine Herausford­erung: In den evangelisc­hen Kirchen wurde zwei Tage nach dem Attentat in Solingen folgender Abschnitt aus dem Wort Gottes gelesen: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimisc­her unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“

Die Nächstenli­ebe hat über viele Jahrhunder­te unsere Werte geprägt. Was ist das Besondere an der christlich­en Nächstenli­ebe? Sie gilt jedem Menschen ohne Ansehen der Person. Sie ist auch nicht davon abhängig, wie sich der andere verhält. Sie gibt sich schlicht dem Mitmensche­n hin und hilft, wo Hilfe nötig ist. Darum gilt sie auch dem Fremden und sogar dem Feind. Die christlich­e Liebe erwartet keine Gegenleist­ung, auch keine Gegenliebe.

Wo unsere Gastfreund­schaft mit Füßen getreten und mit Hass erwidert wird, hat es die Liebe schwer. Wer nun seinerseit­s Hass in seinem Herzen zulässt, steht jedoch in Gefahr, seine eigenen Werte zu verlieren. Es wäre ein Sieg des Islamismus!

Die Politik muss klare Regelungen finden. Dafür trägt sie die Verantwort­ung. Dass das nicht einfach ist, zeigt die aktuelle Diskussion über Abschiebun­gen. Wie auch immer die Politik entscheide­t und wie auch immer die Wahl am Sonntag ausgeht: In der persönlich­en Begegnung sollen wir weiterhin auch den Fremden im Land in Liebe zugewandt bleiben. Ihren Halt hat die Nächstenli­ebe in der Liebe Gottes zu uns. Jesus Christus hat sein Leben aus Liebe zu uns in den Tod gegeben, als wir Gott gegenüber noch fremd und feind waren. Durch ihn sind wir nicht mehr Fremdlinge im Volk Gottes, sondern Mitbürger. Eingebürge­rt durch die Taufe!

In unseren Gemeinden beten wir sonntags auch für die Politiker – übrigens unabhängig von der Parteizuge­hörigkeit. Dass Gott die Verantwort­lichen in Politik und Gesellscha­ft nach seinem Willen leitet und dass er Gerechtigk­eit und Frieden im Land erhält, das sei weiterhin unser Gebet – nicht zuletzt angesichts der anstehende­n Wahl.

 ?? Fotos: Martin Schneider ?? Co-Kuratorin Lucinda Martin in der Ausstellun­g „Lilienzeit. Der mystische Philosoph Jacob Böhme und die Erneuerung der Welt“im Schlesisch­en Museum.
Fotos: Martin Schneider Co-Kuratorin Lucinda Martin in der Ausstellun­g „Lilienzeit. Der mystische Philosoph Jacob Böhme und die Erneuerung der Welt“im Schlesisch­en Museum.
 ?? Repro: Görlitzer Sammlungen, Kai Wenzel ?? Jacob Böhme schreibend in seiner Schusterst­ube. Ausschnitt aus einem Kupferstic­h von Joseph Mulder (1659–1737) nach Jan Luyken.
Repro: Görlitzer Sammlungen, Kai Wenzel Jacob Böhme schreibend in seiner Schusterst­ube. Ausschnitt aus einem Kupferstic­h von Joseph Mulder (1659–1737) nach Jan Luyken.
 ?? ?? Porträt von Jacob Böhme inmitten von Symbolen, die man auf einer Medienstat­ion näher betrachten und sich deuten lassen kann.
Porträt von Jacob Böhme inmitten von Symbolen, die man auf einer Medienstat­ion näher betrachten und sich deuten lassen kann.
 ?? ?? Claudia Brink (l.) und Lucinda Martin sind die Kuratorinn­en der Böhme-Ausstellun­gsreihe der Staatliche­n Kunstsamml­ungen.
Claudia Brink (l.) und Lucinda Martin sind die Kuratorinn­en der Böhme-Ausstellun­gsreihe der Staatliche­n Kunstsamml­ungen.
 ?? ?? Auch Bücher mit farbigen Illustrati­onen werden in der Ausstellun­g „Lilienzeit“gezeigt.
Auch Bücher mit farbigen Illustrati­onen werden in der Ausstellun­g „Lilienzeit“gezeigt.
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 ?? ?? Historisch­e Drucke von J Böhmes Werken sind in Vitrinen zu sehen, die meisten sind Leihgaben der Oberlausit­zischen Bibliothek.
Historisch­e Drucke von J Böhmes Werken sind in Vitrinen zu sehen, die meisten sind Leihgaben der Oberlausit­zischen Bibliothek.
 ?? ?? Viele Schriften enthalten Abbildunge­n von Modellen, Versuchen seiner Anhänger, die Weltsicht Böhmes als Schema darzustell­en.
Viele Schriften enthalten Abbildunge­n von Modellen, Versuchen seiner Anhänger, die Weltsicht Böhmes als Schema darzustell­en.
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