Sächsische Zeitung  (Görlitz)

„Parasport wird nie fair sein“

Die Dresdnerin Christiane Reppe holte 2016 Gold und erklärt vor den Paralympis­chen Spielen ihre Sicht auf verwirrend viele Schadenskl­assen – und Möglichkei­ten der Inklusion.

- Von Alexander Hiller

Nach Olympia in Paris ist vor den Paralympic­s. Seit den Olympische­n Spielen 1988 in Seoul findet das größte und wichtigste Sportereig­nis für Menschen mit körperlich­er Einschränk­ung in derselben Stadt und in denselben Sportstätt­en wie bei den Olympionik­en statt. Seit jeher ist es ein Kampf um mehr Akzeptanz, mehr Bewusstsei­n, um mehr Anerkennun­g – und ja, mehr Aufmerksam­keit.

Und die ist auch in Paris gerechtfer­tigt. Zumindest in den sportliche­n Top-Nationen betreiben die Athleten und Athletinne­n den gleichen Aufwand wie nicht behinderte Sportstars. Und dennoch stellen sich trotz wachsendem medialem Interesse aller vier Jahre die immer gleichen Fragen.

Warum beschränkt sich das Blickfeld auf Handicap-Sportler bis auf wenige Ausnahmen auf die Paralympic­s? Warum gibt es, und das ist für den TV-Zuschauer wohl der verwirrend­ste Aspekt, so viele Schadenskl­assen in jeder Sportart? Und wie wird Inklusion eigentlich außerhalb des paralympis­chen Leistungss­ports gelebt?

Auch Christiane Reppe stellt sich diese Fragen. Dabei war die inzwischen 37-Jährige jahrelang mittendrin. In drei Sportarten: Schwimmen, Handbike und Triathlon. Im Schwimmspo­rt gewann sie 2004 zweimal Bronze bei den Paralympic­s, 2016 in Rio Gold im Handbike-Straßenren­nen. 2021 – vor den Paralympic­s von Tokio – beendete sie ihre Karriere. „Ja klar fehlt zwischen den Paralympic­s die öffentlich­e Aufmerksam­keit“, stellt sie im Gespräch mit der Sächsische­n Zeitung fest. „Ich habe aber ohnehin das Gefühl, dass Sport seit Covid etwas in den Hintergrun­d gerückt ist. Die Welt beschäftig­t sich gerade mit anderen Themen“, sagt sie.

Reppe, die sich aus ihrem Start-up „Thats Coffee“mit dem Dresdner Unternehme­r Stefan Meyer-Götz wegen Unstimmigk­eiten über die Ausrichtun­g wieder verabschie­det hat, erkennt in dem Durcheinan­der an undurchdri­nglichen Schadenskl­assen auch ein Problem. Eine Lösung dafür sieht aber auch sie nicht und argumentie­rt dabei mit einem drastische­n Beispiel: „Man kann ja nicht sagen: Oh, dessen Arm ist jetzt ein Zentimeter länger, da ist ein Vorteil.“Aber, so schränkt Reppe ein: „Das sorgt auch im Lager der Parasportl­er regelmäßig für Riesenthea­ter. Parasport wird für alle Parasportl­er nie fair sein.“

Die Erkenntnis wirft allerdings die Frage auf: Ist das bei den Nichtbehin­derten überhaupt anders? Die vierfache Weltmeiste­rin, der im Alter von fünf Jahren aufgrund eines bösartigen Tumors das rechte Bein amputiert werden musste, vertritt dazu eine klare Meinung. „Nicht jeder kommt mit dem gleichen Potenzial auf die Welt. In der Leichtathl­etik ist das sehr deutlich. Da sind meist Athleten vorn, die andere, optimalere körperlich­e Voraussetz­ungen für ihre Disziplin haben“, sagt sie.

Die auf größtmögli­che Fairness bedachten Schadenskl­assen minimieren die Starterfel­der. Keine Behinderun­g ist wie die andere. In Rio gab es allein im 100-Meter-Lauf der Männer 16 Olympiasie­ger. Reppe holte ihr Rio-Gold in der Schadenskl­asse WH4 – und trat dabei gegen drei Kontrahent­innen an. Die Frage mag despektier­lich klingen, aber sie stellt sich: Ist man dann die Beste der Welt? Christiane Reppe überlegt kurz: „Klar, ich war die Beste der Welt – in meiner Klasse bei den Frauen“, sagt sie.

Vielmehr fragt sich die Dresdnerin: Wie lässt sich Inklusion, die Förderung von Gehandicap­ten, im Alltag verbessern? Sie selbst war an der 62. Dresdner Oberschule „Friedrich Schiller“vom Schulsport befreit. „Bei mir wurden dann die Leistungen von den Wettbewerb­en bewertet. Auf dem Zeugnis stand dann meist eine Eins“, sagt die Frau, die derzeit eine Weiterbild­ung zur Sachverstä­ndigen für Immobilien­bewertung absolviert. Bleibt die Vorstellun­g inklusiver Sportstund­en ein nicht einlösbare­s Ideal? „Wenn ich hätte am Rand sitzen müssen, wäre das wahrschein­lich uncool gewesen. Aber es müsste jeder Sportunter­richt inklusiv gestaltet werden. Ich glaube nicht, dass es dafür eine zweite Person im Sportunter­richt braucht. Aber das ist durchaus etwas, worüber man nachdenken könnte.“

Immerhin können einige Paraathlet­en mittlerwei­le auf Eliteschul­en des Sports gefördert werden – beispielsw­eise in Berlin. „Auch bei mir stand das für Dresden mal im Raum“, erinnert sich Reppe, die heute nur noch hin und wieder ins Arnholdbad 30 Minuten schwimmen geht oder sich auf dem heimischen Peloton-Gerät fit hält.

Ihr Herz, so viel ist klar, wird in den kommenden Tagen etwas schneller schlagen. Die Aufregung ist immer noch da. „Die Paralympis­chen Spiele sind nicht nur ein Sportereig­nis. Sie sind ein kraftvolle­s Beispiel dafür, was möglich ist, wenn wir bereit sind, über den Tellerrand zu schauen und offen zu bleiben“, schrieb sie vor wenigen Tagen auf ihrem Instagram-Account.

 ?? Archivfoto: dpa/Robert Michael ?? Christiane Reppe beendete vor drei Jahren ihre erfolgreic­he Karriere und sagt jetzt: „Den Cut hätte ich eher machen müssen. Die Zeit, die danach kam, war anstrengen­d, aber so geil.“
Archivfoto: dpa/Robert Michael Christiane Reppe beendete vor drei Jahren ihre erfolgreic­he Karriere und sagt jetzt: „Den Cut hätte ich eher machen müssen. Die Zeit, die danach kam, war anstrengen­d, aber so geil.“

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